Kolumne
Couchwork

Es kursiert gerade eine schöne Geschichte im Internet. Ein Kanzleimitarbeiter aus den USA hat sich nach eigenen Angaben heimlich, still und leise selbst automatisiert. Der IT-Fachmann einer mittelgroßen Wirtschaftssozietät will ein Computerprogramm geschrieben haben, das seine Tätigkeit vollständig ersetzt hat. Bisher sei das keinem aufgefallen – wegen Corona gelte ja die Homeoffice-Pflicht.

4. Feb 2022

Es klingt märchenhaft: Schon seit gut einem Jahr dreht der Mann Däumchen bei vollen Bezügen – immerhin stattliche 90.000 US-Dollar per annum. Genauer gesagt: Er meldet sich morgens im System an, zockt dann Videospiele und macht anderen Kram, wie er auf der Plattform Reddit schreibt. Am Ende des Arbeitstages prüft er anhand der Protokolle, ob alles gut gelaufen ist, und macht dann per Logout offiziell Feierabend. Seine effektive Arbeitszeit pro Arbeitstag: Zehn Minuten. Auch der Programmieraufwand war gering: Innerhalb einer Woche habe er das kurze Skript geschrieben. Bloß ein paar Zeilen Code. Nichts Kompliziertes.

Sicher verifizieren lässt sich die Sache nicht. Der Mann ist im Netz anonym unterwegs und gibt auch den Namen der Kanzlei nicht preis. Unplausibel klingt das Ganze aber nicht. Wie er schreibt, war er in der Kanzlei dafür zuständig, Beweismittel für Gerichtsverfahren von den Festplatten der Kanzleirechner in eine Cloud zu transferieren und sie dort zu verwalten. Seine Software durchsucht nach seinen Angaben alle Computer der Sozietät nach neuen Dateien, erzeugt Hashwerte für diese und überträgt sie dann inklusive einer Datenprüfung in die Cloud. Ein derart standardisierter Prozess lässt sich tatsächlich gut automatisieren. Ähnlich arbeiten auch Legal-Tech-Programme, die in hiesigen Kanzleien verwendet werden. Dass seinem (Nichts-)Tun niemand auf die Schliche kam, erklärt der IT-Experte neben der Homeoffice-Pflicht auch damit, dass außer ihm als Administrator niemand Zugriffsrechte auf die Datenbank hat.

Die Geschichte ist ganz unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt interessant, weil sie im Netz sofort die Fantasie und Ängste vieler Nutzer mobilisierte. Es gab unzählige Kommentare zu seinen Posts, viele Medien griffen sie auf, auch die FAZ berichtete. Fast immer ging es dabei um die Frage: Welche Jobs wird die Digitalisierung dereinst überflüssig machen? Und weil es um einen Kanzleimitarbeiter ging, betraf sie hier ganz konkret auch den Rechtsbereich, also uns. Sogleich stand wieder der Robo-Judge im Raum, offenbar das Schreckensszenario schlechthin vieler Juristen.

Dabei gibt dieser Fall der Maschine-ersetzt-Mensch-Diskussion doch einen ganz neuen, positiven Drive. Bisher ging es immer um die Sorge vor Jobverlust. Jetzt zeigt sich: Tatsächlich geht es um Freizeitgewinn bei vollem Lohnausgleich. Eine 50-Minuten-Woche! In einer Wirtschaftskanzlei! Mit einem Jahresgehalt von 90.000 US-Dollar! Die Zukunft der Arbeitswelt: Gut bezahlte Couchwork statt prekäre Crowd­­work. Bitte schnell her mit dieser Digitalisierung im Rechtsbereich.

Tobias Freudenberg ist Rechtsanwalt und Schriftleiter der NJW, Frankfurt a.M..