Urteilsanalyse
Corona-Pflegebonus für Hauswirtschafterinnen
Urteilsanalyse
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Wer als Hauswirtschafterin in einer Pflegeeinrichtung mit dem Anreichen von Nahrung und Flüssigkeit befasst ist und auf einer Station für Demenzkranke den Bewohnern das Essen komplett oder teilweise anreichen muss sowie die Aufnahme der Nahrung überwacht, ist nach einem Urteil des SG Saarbrücken „tatsächlich in der Pflege tätig“ i.S.d. Corona-Pflegebonusrichtlinie Saarland vom 03.06.2020.

1. Sep 2021

Anmerkung von

Rechtsanwältin Christel von der Decken, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 17/2021 vom 27.08.2021

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Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte der Klägerin den Pflegebonus gemäß der Richtlinie über die Gewährung eines Bonus für Pflegekräfte im Saarland vom 03.06.2020 i.V.m. § 150a Abs. 9 SGB XI zu gewähren hat. Die Klägerin, geb. 1959, arbeitete als Angestellte in einer stationären Pflegeeinrichtung als Hauswirtschafterin. Sie begehrt die Gewährung des saarländischen Corona-Pflegebonus, was der Beklagte ablehnte, da die Klägerin nicht „Pflegende“ i.S.d. Richtlinie sei. Ihre berufliche Tätigkeit entsprach nicht dem der Pflege und war mit dieser auch nicht vergleichbar. Die Klägerin macht dagegen geltend, sie stehe in unmittelbarem Kontakt mit den Bewohnern. In dem Wohnbereich, für den sie morgens und mittags die Speisen zubereite und verteile, leben Menschen mit fortgeschrittener Demenzerkrankung. In der Regel bräuchten 10 der Bewohner regelmäßige Hilfe durch Anreichen. Auch die, die alleine essen können, litten oft unter Schluckstörungen. Das Anreichen dauere wesentlich länger als das Zubereiten und Herrichten der Mahlzeiten.

Entscheidung

Das SG gibt der Klage statt. Begünstigte i.S.d. Richtlinie sind

Pflegende in stationären Alten- und Pflegeeinrichtungen sowie ambulanten Pflegediensten. Ebenso begünstigt sind tatsächlich in der Pflege Tätige, deren ausgeübte berufliche Tätigkeit der Pflege entspricht und mit dieser vergleichsbar ist, sowie in der professionellen Betreuung und Aktivierung Tätige …“.

Die Klägerin ist als eine tatsächlich in der Pflege Tätige i.S.d. Richtlinie zu betrachten. Die Richtlinie ist zwar keine Rechtsnorm, so dass sie grundsätzlich einer richterlichen Interpretation nicht unterliegt. Für die gerichtliche Prüfung ist daher entscheidend, wie der Beklagte die Richtlinie in ständiger Praxis handhabt und ob auf Grundlage der Richtlinie überhaupt eine Verteilung der Fördermittel vorgenommen werden konnte.

Die Klägerin hat mit dem Anreichen von Essen und Trinken auf der Demenzstation eine pflegerische Tätigkeit i.S.d. Richtlinie verrichtet. Nach dem prozentualen Verhältnis von Tätigkeit der Pflege und der Hauswirtschaft befragt, hat die zuständige Pflegedienstleiterin die Pflegetätigkeit mit ungefähr 40 % bewertet. Dazu nimmt das Gericht ergänzend Bezug auf die Ausführungen der Klägerin in einem Erörterungstermin.

Praxishinweis

1. Die Corona-Prämie gem. § 150a Abs. 9 SGB XI ist eine einmalige Sonderleistung an Vollzeitbeschäftigte, die in zugelassenen Pflegeeinrichtungen tätig sind. Vor diesem gesetzlichen Hintergrund überzeugt die Entscheidung.

2. Was gilt nun für die Kolleginnen und Kollegen der Klägerin, die – ebenso wie diese – „nur“ als Hauswirtschafter ausgebildet sind, im Jahre 2020 den entsprechenden Antrag aber nicht gestellt hatten, da sie meinten, nach dem Wortlaut der Richtlinie nicht begünstigt zu sein? Die Frage ist, ob heute noch ein Antrag auf rückwirkende Bewilligung für das Jahr 2020 gestellt werden kann. Da die Abrechnung halbjährlich erfolgt, ist dies durchaus zweifelhaft.

3. Die Corona-Prämie ist eigentlich steuerfrei. Ob dies für die ergänzenden Leistungen gilt, ist wohl streitig. Jedenfalls wird aus Bayern berichtet, dass Pflegende auf ihre Corona-Prämie nun doch Steuern zahlen müssen (Die Schwester/Der Pfleger 8/2021, Seite 16). Nach Schlegel (NJW 2020, 1911) handelt es sich jedenfalls bei der Corona-Prämie gem. § 150a SGB XI um eine steuerfreie Leistung – vorausgesetzt es handelt sich um eine in der Zeit vom 01.03. bis 31.12.2020 gewährte Beihilfe bzw. Unterstützung.

4. Das VG München hat mit Urteil vom 01.06.2021 (BeckRS 2021, 19887) entschieden, dass nach der bayerischen Corona-Pflegebonusrichtlinie die MitarbeiterInnen einer Werkstatt für behinderte Menschen keinen Anspruch auf Pflegebonus haben und dass die Abgrenzung in dieser Förderrichtlinie auch nicht gegen Art. 3 GG verstößt.

SG Saarbrücken, Urteil vom 28.06.2021 - S 19 P 147/20, BeckRS 2021, 19959