NJW: Woraus ergibt sich für Niedersachsens Gerichte die Verpflichtung, Corona-Besucherlisten zu führen?
Guise-Rübe: Mit Erlass des niedersächsischen Justizministeriums vom 17.4.2020 sind wesentliche Rahmenbedingungen des Publikumsverkehrs und des Sitzungsbetriebs in den Gerichten geregelt worden. Danach sind die Gerichtsleitungen angewiesen worden, ihr Hausrecht dahingehend auszuüben, dass sich alle Besucherinnen und Besucher der Gerichtsgebäude zur Nachverfolgung etwaiger Infektionsketten in ein einheitliches Kontaktformular eintragen. Damit können Infektionsketten durch die Gesundheitsämter schneller nachvollzogen und alle Besucherinnen und Besucher sowie Beschäftigten der niedersächsischen Justiz besser geschützt werden.
NJW: Wie gehen Anwälte und Besucher damit um? Zeigen sie sich kooperativ, oder müssen Sie auch mal Überzeugungsarbeit leisten?
Guise-Rübe: Sowohl die Verfahrensbeteiligten als auch sonstige Besucher verhalten sich nach unserer Erfahrung äußerst kooperativ. Das Verständnis für die gerade auch im gesundheitlichen Interesse aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegenden Infektionsschutzmaßnahmen ist sehr groß.
NJW: Der organisatorische Aufwand bei einem Gericht von der Größenordnung Ihres Hauses mit einem lebhaften Publikumsverkehr und einer Vielzahl an Verfahren, die zum gleichen Zeitpunkt terminiert wurden, ist bestimmt erheblich. Wie stellen Sie sicher, dass die Besucher nicht bis auf die Straße stehen und Verhandlungen gleichwohl pünktlich beginnen können?
Guise-Rübe: Über unsere Infektionsschutzmaßnahmen informieren wir durch einen farblich besonders hervorgehobenen Hinweis auf der Internetseite des Landgerichts. Schon vor einem Besuch können sich alle Besucher also auf die Erfassung ihrer Daten einstellen. Wir bieten dort sogar das Kontaktformular zum Download an, so dass man dieses auch bereits ausgefüllt mitbringen kann. Hierdurch lässt sich eine Zeitverzögerung beim Einlass weitestgehend vermeiden, zumal das Eintragen in die unmittelbar im Eingangsbereich ausliegenden Listen recht zügig geschieht. Der reibungslose Ablauf ist natürlich nicht zuletzt dem hervorragenden Einsatz unserer Wachtmeisterinnen und Wachtmeister zu verdanken.
NJW: Was geschieht mit den Listen am Ende eines Tages? Werden sie in Ihrem Haus oder extern gelagert? Wer hat während der Aufbewahrungsfrist Zugriff darauf, und wie ist die Vernichtung der Listen organisiert?
Guise-Rübe: In Umsetzung der Erlass- und Verfügungslage werden die persönlichen Daten ausschließlich zum Zweck einer etwaigen Übergabe an das zuständige Gesundheitsamt erhoben und deshalb für die Dauer von einem Monat aufbewahrt. Konkret wird die jeweilige Tagesliste am Ende der Öffnungszeiten bei der Verwaltungsgeschäftsstelle des Gerichts hinterlegt, die diese außerhalb des Zugriffsbereichs anderer Personen sicher archiviert und nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet.
NJW: Ist gewährleistet, dass die Daten in den Listen nicht zu anderen, insbesondere nicht zu Ermittlungszwecken genutzt werden?
Guise-Rübe: Aus dem geschilderten Organisationsablauf ergibt sich, dass nur ein sehr kleiner und begrenzter Personenkreis überhaupt Zugriff auf die Listen hat. Ausschließlich auf konkrete Anfrage des zuständigen Gesundheitsamts hin würden diese herausgegeben. Bisher ist dieser Fall allerdings noch nicht eingetreten; dies gilt im Übrigen auch für etwaige Anfragen von (Ordnungs-)Behörden oder anderen Stellen. Im Falle einer gegebenenfalls auch gerichtlich bestätigten Beschlagnahme durch die Polizei oder Staatsanwaltschaft wären wir allerdings zur Herausgabe verpflichtet.
NJW: Können Anwälte einen Nachweis verlangen, dass, ob und wie ihre Daten auf den Corona-Listen tatsächlich vernichtet wurden? Ist schon mal jemand mit dieser Bitte an Sie herangetreten?
Guise-Rübe: Auf entsprechende Anfrage hin würden wir selbstverständlich umgehend eine solche Auskunft erteilen, wenn dies gewünscht wäre. Tatsächlich war dies zumindest bisher aber noch nicht der Fall.
NJW: Wer seine Daten nicht preisgibt, muss draußen bleiben. Manchem Pflichtverteidiger könnte aber genau das gelegen kommen. Und dann?
Guise-Rübe: Wir sind wie gesagt in der glücklichen Lage, dass die Akzeptanz insbesondere bei den zum Teil fast täglich im Gericht erscheinenden Rechtsanwälten sehr groß ist. Bisher ist es deshalb zu keinen derartigen Zwischenfällen oder gar einer Verfahrensbeeinträchtigung gekommen. Insoweit möchte ich mich bei der hannoverschen Anwaltschaft – auch für die hervorragende Kooperation während des Höhepunkts der Corona-Krise im Frühjahr – ganz herzlich bedanken. •
Der gebürtige Nordhesse Dr. Ralph Guise-Rübe studierte Jura in Göttingen; dort promovierte er auch über ein strafprozessuales Thema. 1996 begann er seine juristische Laufbahn zunächst als Richter auf Probe, drei Jahre später wurde er zum Richter am LG Göttingen ernannt. 2002 erfolgten seine Beförderung zum Richter am OLG Celle und seine Abordnung an das niedersächsische Justizministerium. Dort war er bis 2009 tätig, zuletzt als Leitender Ministerialrat. Anschließend übernahm er die Leitung des LG Hildesheim als dessen Präsident. Seit April 2014 steht er an der Spitze des LG Hannover. Guise-Rübe beschäftigt sich außerdem seit vielen Jahren mit den Folgen der Globalisierung und engagiert sich in Projekten der Entwicklungshilfe.