Urteilsanalyse
Corona: Keine Deckung in Betriebsschließungsversicherung auch bei AVB ohne tabellarische Auflistung
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Dirk-Carsten Günther / BLD

Definieren die AVB den Begriff der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger als die im Infektionsschutzgesetz namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, wobei eine Auflistung von Krankheiten und Krankheitserreger innerhalb der AVB nicht erfolgt, besteht keine Deckung für die «erste Welle». Das OLG Celle argumentiert, dass der SARS-Coronavirus zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls nicht in §§, 67 IfSG aufgenommen worden war.

15. Okt 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 20/2021 vom 06.10.2021

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Versicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Versicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Versicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

IfSG §§ 67; BGB §§ 305c I307 I 2, II Nr. 2

Sachverhalt

Die Klägerin, Betreiberin einer Shisha-Bar, macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten gehaltenen Betriebsschließungsversicherung geltend. Vereinbart sind die Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 12).

Ziffer 3.1 BBSG 12 lautet: «Der Versicherer leistet bis zu den in Ziffer 9 genannten Entschädigungsgrenzen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4)

3.1.1 den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt; (…)»

Ziffer 3.4 BBSG 12 lautet: «Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG.»

Mit Allgemeinverfügung des Landkreises Stade vom 17.03.2020 wurden zum Schutz der Bevölkerung vor der Verbreitung des Corona Virus SARS-CoV-2 auf dem Gebiet des Landkreises Stade unter anderem Bars, Kneipen und ähnliche Einrichtungen für den Publikumsverkehr geschlossen.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

Rechtliche Wertung

Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Eine Auslegung der Versicherungsbedingungen ergebe, dass die Beklagte für die streitgegenständliche Betriebsschließung aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht einstandspflichtig gemäß § 1 Abs. 1 VVG in Verbindung mit Ziffer 3.1, 3.4 BBSG 12 ist, so das OLG Celle.

Soweit Ziffer 3.1 BBSG 12 eine behördliche Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger verlange, habe zwar eine meldepflichtige Krankheit im Sinn des Infektionsschutzgesetzes vorgelegen. In das Infektionsschutzgesetz seien die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) und der Erreger SARS-CoV-2 zwar erst mit Wirkung vom 23.05.2020, also erst nach dem Zeitraum der im Streit stehenden Betriebsschließung, eingefügt worden. Allerdings habe eine entsprechende Meldepflicht gleichwohl schon ab dem 01.02.2020 gemäß der Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus («2019-nCoV») vom 30.01.2020 bestanden.

Indes sei der im Infektionsschutzgesetz verwendete Begriff der meldepflichtigen Krankheiten nicht deckungsgleich mit dem Begriff der meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinn der Versicherungsbedingungen. Letztere seien in Ziffer 3.4 BBSG 12 definiert. Da die BBSG 12 keine enumerative Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten Krankheiten und Krankheitserreger enthalten, sondern den Umfang des Versicherungsschutzes durch einen Verweis auf §§ 67 IfSG definieren, sei von einer dynamischen Verweisung auf die genannten Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes auszugehen. Maßgebend sei die jeweils aktuelle Fassung des Gesetzes zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls, sodass auch neuartige Krankheiten und Erreger vom Versicherungsschutz umfasst seien.

Indes seien der Krankheitserreger SARSCoV-2 und die Krankheit COVID-19 erst mit Wirkung vom 23.05.2020 in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen worden und damit im Zeitraum der streitgegenständlichen Betriebsschließung noch nicht in den §§ 67 IfSG enthalten. Hieran vermöge es auch nichts zu ändern, dass mit der Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 30.01.2020 die Meldepflicht im streitgegenständlichen Zeitraum auf diese neue Erkrankung ausgedehnt wurde. Denn die Krankheit und ihr Erreger seien damit - anders als in der Gesetzesfassung seit dem 23.05.2020 - gleichwohl nicht in den §§ 67 IfSG aufgeführt gewesen, weil sich die Meldepflicht insoweit aus der Verordnung (in Verbindung mit § 15 Abs. 1 IfSG) ergeben habe. Eine namentliche Nennung im Infektionsschutzgesetz selbst habe im fraglichen Zeitraum nicht vorgelegen. Hinzu komme, dass hierbei Ermächtigungsgrundlage § 15 IfSG war.

Eine Unwirksamkeit der in Rede stehenden Versicherungsbedingungen unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten besteht nach Auffassung des Senats nicht. Überraschende oder mehrdeutige Klauseln im Sinn des § 305c BGB lägen nicht vor. Insbesondere sei durch Ziffer 3.4 BBSG 12 klargestellt, dass die Beklagte nicht bei jeder Betriebsschließung aufgrund einer meldepflichtigen Krankheit oder eines meldepflichtigen Krankheitserregers einstandspflichtig ist, sondern nur im Hinblick auf die zum fraglichen Zeitpunkt in den §§ 6 und 7 IfSG aufgeführten Krankheiten und Erreger. Dies werde besonders hervorgehoben durch den Klammerzusatz «(siehe Ziffer 3.4)» in Ziffer 3.1 BBSG 12.

Auch ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB sei nicht ersichtlich. Bei der Klausel handele es sich um eine primäre Risikobeschreibung und nicht um einen Ausschluss. Die Gewährung von Versicherungsschutz nur für die in den §§ 67 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger stelle erkennbar keine treuwidrige Aushöhlung des zu gewährenden Versicherungsschutzes dar. Im Übrigen sei die dynamische Verweisung auf die in §§ 67 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserreger klar und biete für den Versicherungsnehmer den Vorteil, dass auch nach Abschluss des Versicherungsvertrages neu hinzukommende Krankheiten und Krankheitserreger - sofern sie bei Eintritt des Versicherungsfalls bereits in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen waren - Versicherungsschutz genießen. Soweit dies - wie hier - tatsächlich noch nicht der Fall war, sei zu bedenken, dass allein das Interesse des Versicherungsnehmers an lückenloser Einstandspflicht des Versicherers für die Auslegung nicht leitend sein könne.

Praxishinweis

Es dürfte sich bei dem Urteil des OLG Celle wohl um das erste Urteil eines Oberlandesgerichtes zur Konstellation von AVB zur Betriebsschließungsversicherung handeln, bei denen die Krankheiten/Erreger nicht in den AVB aufgelistet werden, sondern in denen «nur» auf die «namentlich» in §§ 6,7 IfSG aufgeführten Krankheiten/Erreger abgestellt wird. Allerdings gab es schon zuvor Urteile/Beschlüsse anderer Oberlandesgerichte, die ähnlich wie das OLG Celle argumentieren, und zwar in der Regel in Form von Hilfsüberlegungen für den Fall, wenn man die AVB mit einer tabellarischen Auflistung für unwirksam ansehen würde. So OLG München vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20, BeckRS 2021, 13077, OLG Frankfurt vom 06.05.2021 - 3 U 318/20, BeckRS 2021, 14597, hierzu FD VersR 2021, 439424 oder OLG Hamburg vom 16.07.2021 - 9 U 199/20, BeckRS 2021, 2155.

Interessant wird die weitere Entwicklung auf Basis der Auffassung des OLG Celle (und wohl auch von OLG München, OLG Frankfurt und OLG Hamburg, jeweils a.a.O.) für Ansprüche aus der zweiten Welle sein, denn zu diesem Zeitpunkt im Herbst 2020 war der SARS-Coronavirus bzw. Covid-19 im IfSG ab dem 23.05.2020 aufgeführt. Geht man von einer «dynamischen Verweisung» aus, bestünde für die «zweite Welle» Deckung, bejaht man eine «statische Verweisung» mit dem Argument, dass maßgeblich auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages abzustellen ist.

Dafür könnte insbesondere der Umstand sprechen, dass in den vom OLG Celle zu beurteilenden Klauseln eine ganz konkrete Erkrankung ausdrücklich nicht gedeckt ist, s.o.: «Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG.». Dann stellen sich weitere Folgefragen, nicht nur die, ob eine intrinsische Gefahr vorliegen muss (verneinend OLG Karlsruhe und OLG Dresden, bejahend OLG Schleswig und OLG Hamburg), sondern ob dort nicht – anders als bei der ersten Welle – die recht großzügigen staatlichen Entschädigungszahlen in Höhe von 75% des jeweiligen Vorjahresumsatz anzurechnen sind.

Das OLG Karlsruhe vertritt, soweit bekannt, als einziges Obergericht (gegenwärtig liegen Urteile/Beschlüsse von 13 Oberlandesgerichten vor, die dieser Auffassung nicht folgen), die Auffassung der fehlenden Transparenz bei AVB mit einer tabellarischen Auflistung. Unter anderem mit der Begründung der «optisch erschlagenden Aufstellung» der Liste und deren Abweichung von dem Katalog in §§ 6,7 IfSG (VersR 2021, 1141; kritisch hierzu Grams in FD-VersR 2021, 440505 und Günther im Besprechungsaufsatz in VersR 2021, 1141 ff). Jedenfalls diese Argumentation trägt bei der vom OLG Celle entschiedenen Fallkonstellation von AVB ohne tabellarische Auflistung nicht.

In den letzten 14 Tagen sind weitere Entscheidungen veröffentlicht worden, die sämtlich die Konstellation von AVB mit einer tabellarischen Auflistung betreffen, und zwar:

Anspruch verneint:

OLG Bremen (3. Zivilsenat), Urteil vom 16.09.2021 - 3 U 9/21

OLG Celle (8. Zivilsenat), Urteil vom 02.09.2021 - 8 U 119/21

OLG Köln (9. Zivilsenat), Urteil vom 07.09.2021 - 9 U 14/21

OLG Köln (9. Zivilsenat), Urteil vom 07.09.2021 - 9 U 14/21

LG Gießen (2. Zivilkammer), Urteil vom 23.08.2021 - 2 O 415/20

AG Siegburg (115. Zivilabteilung), Urteil vom 26.07.2021 - 115 C 2/21 (einen Anspruch wegen fehlender intrinsischer Gefahr ablehenend)

Anspruch bejaht:

LG Darmstadt (28. Zivilkammer), Urteil vom 16.02.2021 - 28 O 218/20

OLG Celle, Urteil vom 02.09.2021 - 8 U 120/21 (LG Stade), BeckRS 2021, 27751