Interview
Compliance in der Politik
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Als im März bekannt wurde, dass mehrere Unionsabgeordnete von dubiosen Maskengeschäften massiv finanziell profitiert haben, war die Aufregung groß. Fast schon reflexartig wurden Maßnahmen für den gesamten Politbetrieb gefordert, um solche zweifelhaften Zusatzverdienste künftig zu verhindern. Der Augsburger Staats- und Verfassungsrechtler Prof. Dr. Matthias Rossi hat sich für uns diese Forderungen genauer angesehen.

10. Mai 2021

NJW: Begünstigen die aktuellen Regelungen Fälle wie in der „Masken-“ und „Aserbaidschan-Affäre“?

Rossi: Sie haben sie sicher nicht begünstigt, umgekehrt aber auch nicht verhindert. Wir sollten die generelle Wirksamkeit dieser Regeln aber nicht mit jeder individuellen Missachtung in Frage stellen: Es kennzeichnet doch das Recht, dass die in Normen ausgedrückte Erwartung nicht durch jede Enttäuschung zum Einsturz gebracht wird.

NJW: Was bringt insoweit die von der SPD-Bundestagsfraktion vorgeschlagene Heraufstufung der Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) zum Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr?

Rossi: Wird das von der SPD-Fraktion vorgeschlagen? Meines Wissens überlegt sie noch, während die AfD-Fraktion einen entsprechenden Gesetzentwurf bereits eingebracht hat. Aber unabhängig vom Initianten: Ich bin in mehrfacher Hinsicht skeptisch. Zunächst erscheint die Strafschärfung durch den Gesetzgeber als typischer Reflex auf Fälle, in denen es eher am Vollzug bzw. an einer wirksamen Compliance fehlt. Zudem habe ich Zweifel, dass mit der höheren Strafandrohung eine größere Abschreckungswirkung einhergeht. Vor allem aber wäre ich in großer Sorge, die Befugnisse der Staatsanwaltschaft gegenüber den Abgeordneten durch die mit der Hochstufung zum Verbrechen einhergehende Strafbarkeit von bloßen Versuchshandlungen weiter auszudehnen. Wir wissen alle, dass die Unschuldsvermutung im politischen Geschäft nicht viel zählt – die bloße Aufnahme von Ermittlungen kommt oft einer faktischen Verurteilung gleich. Die Medien spielen hier meist keine rühmliche Rolle, ruinieren einen Ruf lieber, als ihn zu reparieren. Insofern würde ich der Exekutive nicht so viel Macht über die demokratisch gewählten Volksvertreter geben.

NJW: Von verschiedenen Seiten wird immer wieder ein Verbot von Spenden an Abgeordnete verlangt bzw. zumindest eine Verpflichtung der Empfänger, die Spender namentlich zu benennen. Was halten Sie von davon?

Rossi: Ach, ich weiß nicht, ob der Einfluss von Spenden schon auf die individuelle Meinungsbildung einzelner Abgeordneter und erst recht auf die parlamentarische Willensbildung nicht überschätzt wird. Das geltende Recht differenziert in meinen Augen ausreichend zwischen zulässigen und unzulässigen Spenden und geht auch mit Blick auf deren Veröffentlichung einen pragmatischen Weg. Spenden können auch Ausdruck einer legitimen Unterstützung von Abgeordneten sein, die ja auch nach ihrer Wahl als Kommunikationsmittler zwischen Volk und Verfassungsorgan fungieren. Die Abgeordneten werden doch in ein freies Mandat, nicht in einen engmaschigen Kokon gewählt.

NJW: Sollte ein derartiges Verbot dann zumindest für Kandidaten gelten?

Rossi: Damit diese dann noch mehr als jetzt von der Unterstützung einer politischen Partei abhängen? Nein, mir scheint es im Sinne des demokratischen Grundprinzips einer Willensbildung von unten nach oben wichtig zu sein, dass sich Kandidaten um Unterstützung bemühen. Diese Unterstützung muss nicht finanzieller Art sein, sollte es aber sein dürfen. Finanzielle Unterstützung beschränkt doch nicht zwingend die Entscheidungsfreiheit, sondern kann umgekehrt Freiraum gewähren.

NJW: Was leisten die geltenden Publikationspflichten für Nebeneinkünfte in Sachen Transparenz?

Rossi: Die geltenden Publikationspflichten folgen zwei Leitlinien: Sie betonen einerseits den Grundsatz der parlamentarischen Organisationshoheit und bringen anderseits berechtigte Transparenzforderungen in einen Ausgleich mit ebenso berechtigten Geheimhaltungsgründen und pragmatischen Erwägungen. Was in der politischen Diskussion derzeit als unübersichtliches Regelungsregime kritisiert wird, entspricht dem bewährten Prinzip eines gestuften Normsystems: Grundsätzliche außenverbindliche Regelungen im Abgeordnetengesetz, die entsprechend der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestags in binnenparlamentarischen Verhaltensregelungen konkretisiert sind und die zudem in Ausführungsvorschriften erläutert werden. Sie sehen bezüglich der anzeigepflichtigen (Neben-)Einkünfte verschiedene Kategorien und Stufen vor, in denen Art und Höhe offengelegt werden müssen.

NJW: Was würden Nachschärfungen – wie jüngst gefordert – in dem Bereich bringen?

Rossi: Sie betreffen dieses Regelungssystem in zweierlei Hinsicht: Soweit eine Offenlegung „auf Heller und Pfennig“ propagiert wird, scheint mir dies ebenso überflüssig wie zulässig. Allerdings ist die Angabe in Stufen nicht nur pragmatischen Gründen geschuldet, sondern auch Ausdruck einer praktischen Konkordanz mit Geheimhaltungsinteressen. Insofern wird es weiterhin Ausnahmen geben müssen, um nicht entweder grundrechtlich geschützte Geheimnisse preiszugeben oder Angehörige entsprechender Berufsgruppen von einer Bewerbung um ein Mandat abzuhalten. Schwerer aber noch wiegt, dass der gesamte Bereich stärker auf gesetzlicher Ebene geregelt und also der parlamentarischen Binnenorganisation entzogen werden soll. Das schließt zwar nicht aus, dass das Parlament seine eigenen Compliance-Regeln überdenkt und verbessert, engt seinen Gestaltungsspielraum aber erheblich ein und erweitert vor allem die Kontrollbefugnisse der gesetzesunterworfenen Gewalten gegenüber den Mitgliedern des Bundestags. Um einen primär parteipolitisch motivierten Missbrauch dieser Möglichkeiten zu unterbinden, müssen die gesetzlichen Tatbestände besonders eng und scharf formuliert werden. Dies scheint mir angesichts des Umstands, dass derzeit rechtliche und ethische Maßstäbe arg miteinander vermischt werden, eine besondere Herausforderung.

NJW: Die Union will verlorenes Vertrauen in die Unabhängigkeit der Mandatsträger mithilfe eines verbindlichen Verhaltenskodex zurückgewinnen. Eine gute Idee?

Rossi: Der Vorschlag ist zunächst nachvollziehbar, weil keine politische Partei auf dem Schaden sitzen bleiben will, den das Fehlverhalten einer Person angerichtet hat. Aus der Außenperspektive der Regelungswissenschaft ist der Vorschlag auch sinnvoll, weil nach innen wie nach außen klargestellt wird, dass die Unterstützung durch die politische Partei an Grundbedingungen geknüpft wird. Im Idealfall verhindert der Kodex weiteres Fehlverhalten, im Falle einer Enttäuschung kann sich die Partei jedenfalls distanzieren und womöglich auch „exkulpieren“. Wer dagegen (anders als ich) über eine auch empirisch angereicherte Binnenperspektive als Mitglied einer politischen Partei verfügt, mag die Wirksamkeit einer solchen Selbstregulierung vielleicht mit größerer Skepsis betrachten.

NJW: Kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Mitte März hat die Union von ihren Abgeordneten eine Ehrenerklärung verlangt. Eine symbolische Maßnahme?

Rossi: Nein, das würde ich nicht so sehen, auch sie macht im Innenverhältnis klar, dass unter der Flagge der Union nur in den Landtag segeln kann, wer sich zu gewissen Grundprinzipien bekennt, und auch sie signalisiert im Außenverhältnis zum Wahlvolk eine Distanz gegenüber „schwarzen Schafen“. Freilich muss sich die Partei bei dieser Lösung vorhalten lassen, kein wirkliches Compliance-System vorgehalten zu haben. Ob die Maßnahme als symbolisch oder effektiv zu charakterisieren ist, wird sich zeigen, wenn im Laufe der Legislaturperiode das Ehrenwort gebrochen wird.

NJW: Würde in unserem Kontext das geplante Lobbyregister für Verbesserungen sorgen?

Rossi: Sicher, ein Lobbyregister geht die Transparenz quasi von der anderen Seite an. Aber wie lernen wir in Corona-Zeiten gerade jeden Tag: Korrelation bedeutet nicht Kausalität. Insofern müssen auch die Informationen, die ein Lobbyregister liefern wird, stets richtig gelesen und kontextualisiert werden. Die Einbeziehung der Normunterworfenen in die Normsetzung ist jedenfalls ein Gebot guter Gesetzgebung, insofern sollte Lobbyismus nicht per se in einem abwertenden Sinne verstanden werden. •

Sein Jura-Studium absolvierte Prof. Dr. Matthias Rossi in Trier und Nancy. Nach der Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin 2004 folgten Lehrstuhlvertretungen in Augsburg, Bremen und Karlsruhe sowie eine Gastprofessur an der National Law School of India University, Bangalore. An der Universität Augsburg hat er den Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht sowie Gesetzgebungslehre inne.

Interview: Dr. Monika Spiekermann.