NJW-Editorial
Commercial Courts und der BGH
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Die Bundesregierung will den Ländern die Errichtung von Commercial Courts ermöglichen. Dies soll einen gleichwertigen Wettbewerb zwischen der Justiz und der Schiedsgerichtsbarkeit ermöglichen, wobei ab einem Streitwert von 1 Mio. Euro die Revision zum BGH uneingeschränkt offen sein soll. Dadurch wird die staatliche Gerichtsbarkeit insgesamt gestärkt und ein wichtiger Beitrag zur Modernisierung der Justiz geleistet.

7. Sep 2023

Die Gerichte haben durch die Rechtsmittelreform von 2002 die Großverfahren zwischen Wirtschaftsunternehmen verloren und an die Schiedsgerichtsbarkeit abgegeben. Das hat Folgen: Auf mehreren Gebieten des Wirtschaftsrechts findet eine Rechtsfortbildung durch den BGH nicht mehr statt. Die Schiedsgerichtsbarkeit befindet sich seitdem für Großverfahren in einer Monopolsituation und braucht die Konkurrenz durch die Gerichte nicht mehr zu fürchten. Die Bundesregierung hat deswegen einen Gesetzentwurf vorgelegt (BR-Drs. 374/23), der den Ländern die Errichtung von Commercial Courts gestattet. Er soll einen gleichwertigen Wettbewerb zwischen den Gerichten und der Schiedsgerichtsbarkeit ermöglichen, wobei ab einem Streitwert von 1 Mio. Euro die Revision zum BGH uneingeschränkt offen sein wird.

Mit dem Gesetzentwurf sind wirtschaftliche Interessen verbunden. Was die Gerichte an Großverfahren hinzugewinnen werden, geht der Schiedsgerichtsbarkeit verloren. Die Statistiken der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) zeigen, dass in den letzten fünf Jahren bei durchschnittlich 120 Schiedsverfahren pro Jahr der ­Streitwert je Verfahren mehr als 15 Mio. Euro betragen hatte. Können die Commercial Courts die gleichen Leistungen wie ein Schiedsgericht anbieten, ist vorhersehbar, dass sie sich in spätestens fünf Jahren die Hälfte der Verfahren zurückgeholt haben werden, die je Fall 245.284 Euro an Gerichtskosten, und damit p.a. mehr als 14,5 Mio. Euro generieren werden. Einnahmen in vergleichbarer Größe entgehen dann der Schiedsgerichtsbarkeit. Es ist verständlich, dass ihr das Gesetzesvorhaben daher nicht gefällt. Die Argumente, die sie dagegen vorbringt, sind die, die das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses 2002 getragen hatten: Erstens der Vorwurf der Zwei-Klassen-Justiz und zweitens die Beseitigung der unmittelbar zulässigen Revision zum BGH für hohe Streitwerte.

Der Vorwurf der Zwei-Klassen-Justiz fällt auf die Schiedsgerichtsbarkeit selbst zurück. Sie ist die Justiz der Luxusklasse, die der Wirtschaft Leistungen anbietet, mit denen die Gerichte gegenwärtig nicht mithalten können. Es ist der Zweck der Commercial Courts, diesen Zustand zu ändern und die Prägekraft des BGH für wesentliche verloren gegangene Rechtsgebiete wiederherzustellen. Dadurch wird die staatliche Gerichtsbarkeit insgesamt gestärkt und ein wichtiger Beitrag zur Modernisierung der Justiz geleistet. Dagegen würde eine Beseitigung des unmittelbaren Zugangs zur Revision für Streitwerte über 1 Mio. Euro den Status quo perpetuieren und damit an der jetzt fehlenden Wettbewerbsfähigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit für Großverfahren nichts ändern. Das sollte der Bundestag bei seinen Beratungen berücksichtigen.

Prof. Hilmar Raeschke-Kessler ist Rechtsanwalt beim BGH, Karlsruhe/Ettlingen, und war bis Ende 2021 Vorstandsmitglied der DIS.