NJW-Editorial
Chaos bei der Schonfristzahlung
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Das Gesetz gibt in Verzug geratenen Wohnraummietern die Möglichkeit, den aufgelaufenen Rückstand auszugleichen und damit eine Kündigung aus der Welt zu schaffen. Doch nach dem Wortlaut der Norm gilt dies nur für einen fristlosen Rauswurf. Politik oder Justiz müssen dies endlich auf fristgerechte Kündigungen erstrecken.

16. Nov 2023

Verblüffende Einigkeit herrscht in der mietrechtlichen Szene in einer Frage: Die Wirkungen einer Schonfristzahlung müssen auf die ordentliche Kündigung erstreckt werden! Worum geht es? In aller Kürze: Das Gesetz gibt dem in Verzug geratenen Wohnraummieter die Möglichkeit, den aufgelaufenen Mietrückstand auszugleichen und damit die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aus der Welt zu schaffen. Oftmals erklären sich auch die auf kommunaler Ebene für die Vermeidung von Obdachlosigkeit zuständigen Ämter dazu bereit, die Mietschulden auszugleichen, um den Wohnungsverlust zu verhindern; sie sind zwingend von den Gerichten vom drohenden Ungemach für die Mieterinnen und Mieter in Kenntnis zu setzen. Nach den Worten des Gesetzes beschränkt sich dieses Szenario allerdings auf die fristlose Kündigung. Erklärt der Vermieter wegen des Zahlungsverzugs, also aus demselben Grund, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietvertrags, verliert der Mieter trotz Schonfristzahlung sein Dach über dem Kopf. Hört sich komisch an, ist aber so.

Trotz der beschriebenen Einmütigkeit im Ergebnis (selbst die Wohnungswirtschaft und der Mieterbund ziehen hier an einem Strang) herrscht ein gewisses Chaos im Mietrecht. Der VIII. Zivilsenat des BGH sieht sich angesichts der Untätigkeit des Gesetzgebers verfassungsrechtlich gehindert, zur Analogie zu greifen, wofür er kritisiert wird. In Zwischentönen nicht zu überhören ist allerdings, dass auch der Senat in der Sache die Rechtslage für unbefriedigend hält. Einzelne Instanzgerichte begehren auf und werden erstaunlicher­weise der Rechtsbeugung bezichtigt, während sie von anderer Seite ob ihrer Demonstra­tion richterlicher Unabhängigkeit gelobt werden.

Wenn auch sprachlich etwas verunglückt, hat man sich im geltenden Koalitionsvertrag darauf geeinigt, den offensichtlich bestehenden Webfehler im BGB zu beheben und die Wirkungen der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung zu erstrecken. Ein fertiger Formulierungsvorschlag liegt dem Bundesjustizministerium vor. Es gab Initiativen der Bundesländer. Allein, passiert ist erstaunlicherweise bislang nichts. Nun hat sich sogar der Petitionsausschuss des Bundestags in seiner Sitzung am 18.10.​2023 der Sache angenommen und mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschlossen, eine dahingehende Petition dem Bundesministerium der Justiz „als Material“ zu überweisen und sie den Fraktionen zur Kenntnis zu geben.

Sollte sich das BMJ dennoch nicht bewegen, sei daran erinnert, dass die Bundesregierung kein Monopol zur Einreichung von Gesetzesinitiativen hat. Auch eine der die Ampel tragenden Fraktionen könnte vorangehen und dem Parlament die Einfügung eines einzelnen Satzes in das BGB vorschlagen, um einen unerträglichen Zustand zu beendigen. Es wäre ganz einfach: § 573 wird wie folgt geändert: a) Nach Abs. 3 wird folgender Abs. 4 eingefügt: „(4) § 543 Abs. 2 S. 2 und 3 sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 und 3 gelten entsprechend.“ b) Der bisherige Abs. 4 wird Abs. 5. 

Prof. Dr. Markus Artz ist Lehrstuhlinhaber und Direktor der Forschungsstelle für Immobilienrecht an der Universität Bielefeld sowie Vorsitzender des Deutschen Mietgerichtstages e.V.