NJW-Editorial
Bußgeldverfahren in Bewegung
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Der Bundesrat hat beschlossen, einen auf Initiative der Bundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen zurückgehenden „Entwurf eines Gesetzes zur Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ (BR-Drs. 91/22) in den Bundestag einzubringen. Dieser sieht einschneidende Änderungen des Ordnungswidrigkeitenrechts vor. Hiernach soll etwa unter erleichterten Voraussetzungen auf die Durchführung einer Hauptverhandlung verzichtet werden können. Zudem verschärft der Entwurf die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtsbeschwerde.

5. Mai 2022

Das Gesetzesvorhaben, das in der vergangenen Legislaturperiode der Diskontinuität zum Opfer fiel, fügt sich in den rechtspolitischen Trend zur scheinbaren „Vereinfachung“ von Verfahren ein: Ziel ist es, Ordnungswidrigkeiten möglichst unkompliziert einer rechtskräftigen Entscheidung zuzuführen. Der Entwurf nimmt die hierfür scheinbar notwendige Verkürzung der Rechte der Verfahrensbeteiligten in Kauf.

Zur Begründung führt das Vorhaben auffallend häufig eine in der Praxis angeblich vermehrt zu beobachtende missbräuchliche Inanspruchnahme der Verfahrensrechte durch Betroffene an (BR-Drs. 107/20 (B), 2, 11, 36). Anstatt deren Rechte zu verkürzen, wäre der Gesetzgeber indes gut beraten, zunächst die Ursachen des behaupteten, aber empirisch bislang nicht belegten rechtsmissbräuchlichen Vorgehens zu eruieren. In einem zweiten Schritt sollten die nach geltendem Recht bestehenden Anreize für ein solches Agieren minimiert werden.

Ein Beispiel aus dem in der Entwurfsbegründung mehrfach erwähnten Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht: § 25 IIa StVG ermöglicht es vielen Betroffenen, das Wirksamwerden des Fahrverbots um bis zu vier Monate nach Eintritt der Rechtskraft zu verschieben. Der nachvollziehbaren Motivation, Einsprüche zu erheben, um den Fristbeginn hinauszuzögern und das Fahrverbot letztlich zum „Wunschtermin“ zu verbüßen, könnte der Gesetzgeber in vielen Fällen durchaus begegnen: Weshalb beginnt diese Frist nicht schon mit der Zustellung des Bußgeldbescheids und wird im Gegenzug von vier auf sechs Monate verlängert? Geht man davon aus, dass über die im Bescheid enthaltene Beschuldigung im genannten Zeitraum rechtskräftig entschieden ist, bestünde infolge der Bezugnahme auf die Zustellung des Bußgeldbescheids als Fristbeginn kein Ansporn zur Verfahrensverzögerung. Justizielle Arbeitsressourcen könnten hierdurch ohne Verkürzung der Rechte Betroffener geschont werden.

Gerade angesichts der zahlreichen Reformvorschläge (vgl. hierzu Bickelhaupt ZRP 2020, 150) sowie der aktuellen Diskussion, geringfügigere Straftaten – etwa das Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) – zu entkriminalisieren und als Ordnungswidrigkeiten zu ahnden, bleibt die weitere Entwicklung des Bußgeldverfahrens spannend. Zu hoffen ist, dass der Gesetzgeber so weit wie möglich die Ursachen etwaiger Missstände beseitigt und nicht nur deren Auswirkungen.

Prof. Dr. Sven Kaltenbach lehrt Straf- und Strafverfahrensrecht​an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg.