NJW-Editorial
Bußgeldhaftung ohne Verschulden?

Beim EuGH ist ein Vorabentscheidungsverfahren (C-807/21) zu der Frage anhängig, auf welcher Grundlage Aufsichtsbehörden Geldbußen wegen Verstößen gegen die DS-GVO gegen Unternehmen verhängen können. Am 17.1. wurde mündlich verhandelt, der Verfasser hielt das Plädoyer der Verteidigung. Am Folge­tag veröffentlichte die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder (DSK) eine ausführliche Stellungnahme zu dem Verfahren. Die hat es in sich.

10. Mrz 2023

Die DSK fordert darin eine verschuldensunabhängige Bußgeldhaftung von Unternehmen nach dem Vorbild des EU-Kartellrechts als „vom europäischen Gesetzgeber gewollte Erleichterung für die Datenschutzaufsichtsbehörden“. Bereits eine „strict liability“ in Form ­eines dem Unternehmen zuzuordnenden objektiven Pflichtenverstoßes solle ausreichen.

Das wäre für das Datenschutzrecht ein Paradigmenwechsel. Art. 83 VIII DS-GVO verweist auf die Verfahrensgarantien des Rechts der Mitgliedstaaten. Das deutsche Bußgeldrecht setzt einen zurechenbaren schuldhaften Verstoß einer Leitungsperson voraus, etwa in Form eines Organisationsverschuldens oder einer sonstigen Aufsichtspflichtverletzung.

Der beim EuGH anhängige Fall zeigt exemplarisch, worum es der DSK mit ihrer Forderung einer „vom europäischen Gesetzgeber gewollten Erleichterung für die Datenschutzaufsichtsbehörden“ geht. Dort legte das KG dem EuGH Fragen zur Feststellung des Verschuldens und zur Zurechnung schuldhafter Handlungen von Unternehmensvertretern vor. Zuvor hatte das LG Berlin das Verfahren eingestellt, da der Bußgeldbescheid unter derart gravierenden Mängeln leide, dass er nicht Grundlage des Verfahrens sein könne (NJW 2021, 2600 – Ls.). Der Bescheid treffe keine hinreichenden Feststellungen zu den zur Last gelegten Datenschutzverstößen. Er enthalte keine Angaben zur konkreten Tathandlung selbst und lasse nicht erkennen, worauf er den Vorwurf ­eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Anforderungen stützt. Die Behörde habe erforderliche Ermittlungen beziehungsweise Feststellungen zu einem dem Unternehmen zuzurechnenden Verschulden und insbesondere einer möglichen Aufsichtspflichtverletzung nicht getroffen. Entgegen der Auffassung der Behörde sei auch nicht ersichtlich, dass in diesem Fall bei Beachtung des deutschen Bußgeldrechts keine wirksamen und abschreckenden Sanktionen hätten verhängt werden können.

Das bestätigt auch die Praxis: Das deutsche Recht gibt den Datenschutzaufsichtsbehörden bereits jetzt umfassende Möglichkeiten, bei Verstößen gegen Unternehmen vorzugehen. Es ist dann aber Aufgabe der Aufsicht, dies ordentlich zu begründen. Unabhängig davon kann man das von der DSK geforderte „supranationale Sanktionsregime“ auch als eine Abkehr von Schuldgrundsatz und Rechtsstaatsprinzip bewerten.

Rechtsanwalt Tim Wybitul ist Partner von Latham & Watkins, Frankfurt a. M..