Anmerkung von
RA Dr. Jens Günther, Gleiss Lutz, München
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 03/2022 vom 27.01.2022
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Sachverhalt
Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2019. Dagegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage, der das ArbG im August 2019 stattgab. Gleichzeitig verurteilte es die Beklagte, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen. Ihre Berufung nahm die Beklagte Ende Dezember 2019 zurück. Am 01.10.2019 erschien der Kläger nach Aufforderung der Beklagten zur Arbeitsaufnahme im Betrieb. Hierzu kam es jedoch nicht, weil der Kläger die von der Beklagten verlangte Unterzeichnung einer Vereinbarung über ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis „für die Dauer des noch laufenden Gerichtsverfahrens“ ablehnte. In dem befristeten Prozessarbeitsverhältnis sollte der Kläger Aufgaben ausüben, die nach seiner Einschätzung zu ca. 80 % seinen zuletzt ausgeübten Tätigkeiten entsprachen. Zudem sollte er die bisherige Vergütung, jedoch keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und keinen bezahlten Urlaub bekommen. Der Kläger verlangt Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2019. Die Beklagte lehnt dies ab, weil der Kläger böswillig anderweitigen Verdienst in gleicher Höhe unterlassen habe. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat der Klage auf die Berufung des Klägers stattgegeben.
Entscheidung
Die Revision der Beklagten war erfolglos. Der Kläger habe Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 S. 1 i.V.m. § 611a II BGB. Anderweitigen Verdienst müsse sich der Kläger nicht anrechnen lassen. Gemäß § 11 Nr. 2 KSchG müsse sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen. Maßgebend sei eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls.
Die von der Beklagten angebotene Beschäftigung sei dem Kläger an sich zumutbar gewesen, da diese bei unveränderter Vergütung zu 80 % den Arbeiten entspreche, die er zuletzt bis zur Kündigung schon ausgeübt habe. Damit habe der Kläger zwar vorsätzlich eine ihm bekannte anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bei demselben Arbeitgeber außer Acht gelassen. Daraus könne ihm jedoch kein eine Böswilligkeit begründender Vorwurf gemacht werden. Denn der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, trotz des erstrittenen, vorläufig vollstreckbaren Weiterbeschäftigungsurteils während des laufenden Kündigungsschutzprozesses neben dem gekündigten Arbeitsverhältnis ein befristetes Prozessarbeitsverhältnis einzugehen. § 11 Nr. 2 KSchG regele - wie § 615 S. 2 BGB - eine aus § 242 BGB hergeleitete Obliegenheit, aus Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber einen zumutbaren Zwischenverdienst zu erzielen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers finde jedoch dort eine Grenze, wo der Arbeitnehmer einen (vorläufig) vollstreckbaren Titel und damit einen den Arbeitgeber bindenden Rechtsanspruch habe. Es habe vielmehr der Beklagten - wollte sie das Annahmeverzugsrisiko mindern - oblegen, ihrer Verpflichtung aus dem Weiterbeschäftigungsurteil nachzukommen und die Weiterbeschäftigung des Klägers während des Kündigungsschutzprozesses nicht vom Abschluss eines befristeten Prozessarbeitsverhältnisses abhängig zu machen.
Praxishinweis
Die Weiterbeschäftigung eines gekündigten Arbeitnehmers während der Dauer eines Kündigungsschutzverfahrens kann auf verschiedenen rechtlichen Grundlagen erfolgen. Neben der rein tatsächlichen Beschäftigung aufgrund eines im Weiterbeschäftigungsurteil titulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs kommen vertragliche Abreden in Betracht. Denkbar ist es, die vorübergehende Fortsetzung des gekündigten Arbeitsverhältnisses auflösend bedingt auf die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage zu vereinbaren oder bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu befristen (BAG, FD-ArbR 2020, 431368). Diskutiert wird auch der Abschluss eine weiteren zweckbefristeten Arbeitsvertrages neben dem gekündigten (BAG, FD-ArbR 2021, 440980). Liegt ein vorläufig vollstreckbares Weiterbeschäftigungsurteil vor, kann der Arbeitgeber mit dem Angebot eines befristeten Prozessarbeitsverhältnisses neben dem gekündigten Arbeitsverhältnis den Annahmeverzug nicht beseitigen, wenn der Arbeitnehmer darauf beharrt, dass der Arbeitgeber ihn auf Grundlage des vorläufig vollstreckbaren Titels beschäftigt.
BAG, Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 205/21 (LAG Baden-Württemberg), BeckRS 2021, 40776