Urteilsanalyse
Bloße Möglichkeit eines späteren Interessenkonflikts hindert nicht gemeinsame Vertretung von Pflichtteilsberechtigtem und Alleinerben
Urteilsanalyse
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Es besteht kein Interessenwiderstreit im Sinne des § 43a Abs. 4 BRAO, wenn ein Rechtsanwalt für den Pflichtteilsberechtigten und den Alleinerben die in ihrem Miteigentum stehenden Immobilien veräußert und ihre gemeinsamen Verbindlichkeiten und den Nachlassbestand klärt, da hier die Interessen beider Mandanten gleichgerichtet sind. Die bloße Möglichkeit eines späteren Interessenkonflikts steht - so das OLG Koblenz - dieser gemeinsamen Vertretung nicht entgegen.

8. Jun 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 11/2022 vom 03.06.2022

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Sachverhalt

Die Beteiligten stritten um die vom Kläger geltend gemachte Rechtsanwaltsvergütung. Erstinstanzlich stützte der Kläger die Klage zunächst auf eine Vergütung für seine Tätigkeit in Nachlass- und Immobilienangelegenheiten der Beklagten. In der Nachlassangelegenheit wurde er für die Beklagte zu 2 als Alleinerben und die Beklagte zu 1 als Pflichtteilsberechtigte tätig, wobei der Umfang der Beauftragung und die Frage einer Interessenkollision des Klägers streitig waren. Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens änderte er die Klage dahin, dass er seinen der Höhe nach unverändert aufrecht erhaltenen Klageantrag nur noch auf einen Gebührenanspruch im Zusammenhang mit der Veräußerung von Immobilien stützte. Die Immobilien standen zunächst im gemeinsamen Eigentum der Beklagten zu 1 und ihres verstorbenen Ehemannes, dessen hälftiger Miteigentumsanteil auf die Beklagte zu 2 als Alleinerbin übergegangen ist. Die Beklagte zu 1 hingegen war nur pflichtteilsberechtigt. Das LG gab der Klage teilweise statt. Gegen dieses Urteil richteten sich die Berufungen der Beklagten. Sie beriefen sich (weiterhin) auf die Nichtigkeit der Beauftragung des Klägers wegen Interessenkollision gemäß § 134 BGB i. V. m. § 43a Abs. 4 BRAO.

Entscheidung: Klammerwirkung des Erbfalls, aber gleichgerichtetes Interesse

Der Senat beabsichtigt, die Berufungen gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Er erachtet sie einstimmig als unbegründet.

Der Kläger habe den zuerkannten Gebührenanspruch aus der Beauftragung der Veräußerung der Immobilien. Der Anspruch beruhe auf einem wirksamen Anwaltsdienstvertrag. Er sei nicht wegen Verstoßes gegen das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, gemäß § 134 BGB i. V. m. § 43a Abs. 4 BRAO nichtig. § 3 BORA konkretisiere dieses Verbot dahingehend, dass der Rechtsanwalt nicht tätig werden dürfe, wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten habe oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 BRAO beruflich befasst gewesen sei. Zwei Mandate deckten sich grundsätzlich in sachlicher Hinsicht, wenn sie jeweils ein verklammerndes Element (etwa eine Ehe oder einen Erbfall) beinhalteten, das in beiden Mandaten von rechtlicher Bedeutung sei.

Hier ergebe sich keine Vertretung widerstreitender Interessen aus der von den Beklagten betonten Klammerwirkung des erbrechtlichen Mandats. Zwar könnten sich aufgrund der Klammerwirkung des vom Erbfall bestimmten Nachlassbestands gegenläufige Beratungspflichten eines Rechtsanwalts gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten und einem in Anspruch genommenen Nachlassschuldner ergeben. Von einer solchen Konstellation sei hier jedoch nicht auszugehen. Zwar handle es sich bei den veräußerten Grundstücken auch um Nachlassgegenstände. Diese seien auch im zu erstellenden Nachlassverzeichnis aufzuführen gewesen, wobei mit der Wertermittlung der beweglichen Sachen bis zur Veräußerung der Immobilien habe gewartet werden sollen. Bei der Veräußerung der im gemeinsamen Eigentum der Beklagten stehenden Immobilien sei das Interesse der Beklagten als Verkäufer aber keineswegs gegenläufig, sondern jeweils darauf gerichtet gewesen, den bestmöglichen Kaufpreis zu erlangen. Dies gelte auch für die Beklagte zu 2. Selbst wenn die Höhe des erzielten Kaufpreises Einfluss auf den von ihr als Erbin an die Beklagte zu 1 zu zahlenden Pflichtteil habe, sei sie als Miteigentümerin vor allem daran interessiert, den größtmöglichen Beitrag zur eigenen Verwendung zu erhalten, mithin die Nachlassgegenstände zu einem möglichst hohen Wert zu veräußern. Auch bei der Klärung der Nachlassverbindlichkeiten und des Nachlassbestandes seien die Interessen beider Beklagten nicht gegenläufig, sondern gleichgerichtet auf ein möglichst großes Nachlassvermögen gewesen. Die bloße (latente) Möglichkeit, dass später beim Ausgleich unter den Mandanten unterschiedliche Interessen zutage treten, stehe einer gemeinsamen Vertretung nicht entgegen. 

Praxishinweis

Der Rechtsanwalt darf widerstreitende Interessen nur dann nicht vertreten, wenn sie aus demselben Sachverhalt gegenläufig abzuleiten sind. Überschneiden sich die von verschiedenen Mandanten unterbreiteten Sachverhalte mit den daraus resultierenden Rechtsverhältnissen auch nur teilweise, darf der Rechtsanwalt die sich daraus ergebenden rechtlichen Interessen nicht gegenläufig wahrnehmen (Träger in Weyland, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 43a BRAO Rn. 60). Neben der Sachverhaltsidentität muss auch ein Interessengegensatz vorhanden sein, der Rechtsanwalt muss für zwei oder mehr bei Parteien tätig (gewesen) sein, deren Interessen gegenläufig sind (Träger in Weyland, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 43a BRAO, Rn. 64). Das OLG Koblenz hat herausgearbeitet, dass in der konkreten Situation ein solcher Interessengegensatz trotz des zugrunde liegenden Erbfalls nicht gegeben ist.


OLG Koblenz, Beschluss vom 01.03.2022 - 15 U 1409/21 (LG Trier), BeckRS 2022, 11000