Menschen können rund 200 Farbtöne unterscheiden. In den Markenauftritten der deutschen Anwaltskanzleien aber findet sich gefühlt vor allem einer: Dunkelblau. Wie blau die Branche wirklich ist und auf welche anderen Farben Deutschlands Anwälte setzen, zeigt eine Analyse der Logos (als wichtigste optische Repräsentanten der Marken) der nach Berufsträgern 100 größten deutschen Kanzleien.
Von den 80 einfarbigen Logos sind 30 blau. In acht der 20 mehrfarbigen Logos ist Blau ebenfalls eine der prägenden Farben. 38 % der Kanzleien setzen also auf dieselbe Farbe. Die nächstbeliebtesten Farben – Rot mit 14 % und Schwarz mit 9 % – folgen erst mit deutlichem Abstand. In angelsächsisch geprägten Kanzleien, von denen viele zuletzt ihre Markenauftritte aufpoliert haben, ist der Anteil blauer Logos rund 10 Prozentpunkte niedriger als bei Sozietäten mit deutschen Wurzeln.
Im lapislazulifarbenen Nebel
Ein Blick in die Farbenlehre zeigt, dass es für Blau gute Gründe geben kann: Blau steht für Souveränität, Stärke, Verlässlichkeit und Vertrauen – Attribute, die man einer Kanzlei gern zuschreibt. Ausschlaggebend dafür, dass die Wahl so vieler deutscher Kanzleien auf Blau fällt, dürfte aber noch ein anderer Grund sein. Es ist kein besonders guter Grund: Ein (dunkel-)blaues Ergebnis kommt nämlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit heraus, wenn eine größere Gruppe von Männern mittleren Alters mehrheitlich über die Farbe eines Logos oder Markenauftritts entscheidet: Blau ist mit großem Abstand die Lieblingsfarbe von Männern. Und mit dem Alter scheint diese Vorliebe sogar noch zuzunehmen. Kein Wunder also, dass die Mehrheit der weiterhin stark männlich dominierten großen Kanzleien in Deutschland ein blaues Logo und einen entsprechenden Markenauftritt hat: Wenn mit der Lieblingsfarbe genau die Attribute assoziiert werden, die man potenziellen Mandanten gegenüber ausstrahlen möchte, ist doch alles gut. Oder?Keine Kanzlei existiert in einem Vakuum, sondern ist umgeben von Konkurrenz, von der sie sich unterscheiden muss, um wahrgenommen zu werden. Stattdessen verschwimmen, wenn man einen Blick auf die gesamte Branche wirft, die Logos und Marken der Kanzleien zu einem lapislazulifarbenen Nebel. Sie sind kaum voneinander unterscheidbar und alles andere als einzigartig, also das Gegenteil von einer guten Marke.
Blue meets boring
Neben der Verwechselbarkeit gibt es aber einen weiteren Grund, sich bei der Wahl der Markenfarbe nicht von den eigenen Vorlieben leiten zu lassen: Ein Logo sollte primär die Zielgruppe ansprechen. Das sind in allererster Linie Unternehmen.Nach Angaben der Bundesrechtsanwaltskammer für das Jahr 2020 waren 56,52 Prozent der Unternehmensjuristen weiblich. Tendenz: steigend. Zwar mögen auch Frauen Blau am liebsten, aber der Vorsprung vor den folgenden Farben ist deutlich kleiner als bei den Männern. Außerdem betrachten Frauen Farben weitaus differenzierter. Sie unterscheiden zwischen Azur, Türkis oder Teal – Männer sehen einfach nur Blau. Und während Frauen vor allem helle und pastellfarbene Töne bevorzugen, mögen Männer es lieber dunkel.
Auch gegenüber Bewerbern ist ein allzu blauer Auftritt im zunehmenden War for Talents jedenfalls nicht hilfreich. Wenn ein Corporate Design, das aussieht wie das vieler anderer Kanzleien, auf eine Stellenanzeige trifft, die nicht mehr verspricht als „kollegiale Atmosphäre“, „anspruchsvolle Mandate“ und eine „marktgerechte Bezahlung“, dann gibt es schlichtweg keinen Grund für Kandidaten, sich für diesen Arbeitgeber zu interessieren. Wer trotzdem am Anwalts-Blau hängt, kann bei einer neuen Ausrichtung oder einem Refresh der eigenen Marke für bestimmte Zielgruppe ergänzende Farben einsetzen: Eine Magic-Circle-Kanzlei zum Beispiel verwendet nur im Karrierebereich und in HR Marketing- Kanälen ein knalliges Gelb als Kontrast zum Schwarz ihres Logos. So kann man sich gegenüber Mandanten weiterhin mit einer Vertrauen schaffenden und zurückhaltenden Farbe präsentieren, aber dem Auftritt für die Bewerber einen mutigeren Anstrich verpassen. Die Arbeit in einer Kanzlei ist schließlich alles andere als eintönig, wieso sollte es dann das Marketing dafür sein?