NJW-Editorial
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Der Berg kreißte und gebar eine Maus. So mögen sich die Verfechter der ­audiovisuellen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung fühlen. Denn was im Bundestag beschlossen wurde, ist nur noch ein Schatten dessen, womit das Bundesjustizministerium ins Rennen gegangen ist.

30. Nov 2023

Zu groß war der Widerstand der Länder (aus finanziellen Gründen und der schon jetzt zu konstatierenden Überforderung mit der Digitalisierung) und der Strafjustiz (aus emotionalen Gründen). Der Referentenentwurf sprach noch von einer verpflichtenden Aufzeichnung in Bild und Ton; jetzt ist die Bildaufzeichnung den Ländern überlassen.

Mit dem Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG) in der Fassung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 20/9359) gilt nun: In einer Hauptverhandlung, die erst­instanzlich vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfindet, erfolgt eine Tonaufzeichnung, die automatisiert in ein elektronisches Textdokument (Transkript) zu übertragen ist. Die Staatsanwaltschaft, der Verteidiger und der Vertreter des Neben­klägers erhalten während des laufenden Verhandlungstages (also leider nicht live) oder unverzüglich danach hierzu Zugang. Anwälte dürfen die Aufzeichnungen nicht ihrem Mandanten überlassen, um so Missbrauch vorzubeugen. Die Verwendung der Aufzeichnungen und Transkripte ist grundsätzlich nur für Zwecke des Strafverfahrens zulässig. Sie dürfen aber mit Einwilligung auch in anderen gerichtlichen oder behördlichen Verfahren verwendet werden.

Bei technischen Störungen hat die Hauptverhandlung Vorrang. Außerdem kann das ­Gericht in Ausnahmefällen von der Aufzeichnung absehen, beispielsweise wenn eine Gefährdung des Zeugen zu besorgen ist oder ein minderjähriger Zeuge oder ein Verletzter einer Sexualstraftat vernommen wird. Aufzeichnungen und Transkripte sind in der eigenen Hauptverhandlung keine Beweismittel („keine Beweisaufnahme über die Beweisaufnahme“). In der Revision ist zur Prüfung eines behaupteten Verfahrensmangels ein Beweisinhalt nur dann heranzuziehen, wenn der Verfahrensmangel daraus ohne weiteres erkennbar ist. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn es möglich ist, dass weitere Beweiserhebungen dem Beweisinhalt die maßgebliche Bedeutung für das Urteil genommen haben, oder wenn lediglich Feststellungen oder Wertungen ange­griffen werden, die dem Tatgericht vorbehalten sind. Für die Tonaufzeichnung und ihre Transkription sind nur Äußerungen in deutscher Sprache maßgeblich. Allerdings kann KI nicht nur Schwäbisch, sondern auch Sächsisch, wie in der Aussprache im Bundestag launig angemerkt wurde.

Zunächst gilt eine Pilotierungsphase. Spätestens ab dem 1.1.​2028 erfolgt die digitale Dokumentation von Hauptverhandlungen bei den Staatsschutzsenaten der Oberlandes­gerichte. Flächendeckend gilt die Regelung ab dem 1.1.​2030. Vier bzw. sechs Jahre Vorbereitungszeit müssten auch der Strafjustiz reichen.

Dr. Stephan Beukelmann ist Fachanwalt für Strafrecht bei Beukelmann Müller Partner in München.