Anmerkung von
JR Dr. Wolfgang Litzenburger
Aus beck-fachdienst Erbrecht 11/2023 vom 29.11.2023
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Sachverhalt
Der Kläger hatte 2012 von seinem Vater schenkweise einen hälftigen Miteigentumsanteil an unbebauten Grundstücken erworben (Vorerwerb). Für Zwecke der Schenkungsteuer wurden mit Feststellungsbescheiden im Jahre 2016 die Grundbesitzwerte für alle übertragenen wirtschaftlichen Einheiten festgestellt; der auf den Kläger entfallende Anteil betrug insgesamt 87.392 €. Die Feststellungsbescheide wurden bestandskräftig. Die festgestellten Grundbesitzwerte wurden dem Schenkungsteuerbescheid vom 25.04.2016 für den Vorerwerb zu Grunde gelegt. Die Schenkungsteuer wurde mit 0 € festgesetzt.
2017 erhielt der Kläger von seinem Vater unentgeltlich 400.000 € durch einen Forderungsverzicht (Erwerb). Das Finanzamt setzte für den Erwerb Schenkungsteuer in Höhe von 9.603 € fest. Dabei berücksichtigte es den Vorerwerb mit dem 2016 festgestellten Wert von 87.392 €.
Mit seinem Einspruch machte der Kläger geltend, der Grundbesitzwert sei 2016 im Feststellungsbescheid unzutreffend festgestellt worden. Der Vorerwerb sei mit dem materiell-rechtlich zutreffenden Wert einzubeziehen. Das Finanzamt lehnte dies ab.
Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise zusammengerechnet, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert zugerechnet werden und von der Steuer für den Gesamtbetrag die Steuer abgezogen wird, die für die früheren Erwerbe zur Zeit des letzten Erwerbs zu erheben gewesen wäre.
Aufgrund der Selbständigkeit der Besteuerung der einzelnen Erwerbe ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs der in die Zusammenrechnung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG einzubeziehende Vorerwerb dem letzten Erwerb mit dem materiell-rechtlich zutreffenden Wert hinzuzurechnen. Dies gilt auch dann, wenn bei der vorangegangenen Steuerfestsetzung für den Vorerwerb ein materiell-rechtlich nichtzutreffender Wert berücksichtigt wurde oder keine Steuerfestsetzung für den Vorerwerb erfolgt ist (BFH BeckRS 2018, 34112).
Bei der wertmäßigen Berücksichtigung des Vorerwerbs sind jedoch die verfahrensrechtlichen Besonderheiten in Bezug auf die Feststellung des Grundbesitzwerts zu beachten.
Nach § 179 Abs. 1 AO werden die Besteuerungsgrundlagen durch Feststellungsbescheid gesondert festgestellt, soweit dies in der Abgabenordnung oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist. Nach § 12 Abs. 3 ErbStG ist der Grundbesitz mit dem nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG auf den Bewertungsstichtag festgestellten Wert anzusetzen, wenn die Werte für die Erbschaftsteuer von Bedeutung sind. Nach § 1 Abs. 2 ErbStG gilt dies auch für Schenkungen unter Lebenden.
Ein Bescheid, der den Grundbesitzwert auf den Bewertungsstichtag für Zwecke der Schenkungsteuer feststellt, ist bindender Grundlagenbescheid im Sinne des § 182 Abs. 1 Satz 1 AO für alle ihm nachfolgenden Schenkungsteuerbescheide, bei denen der Grundbesitzwert ‑ auch als Vorerwerb im Sinne des § 14 ErbStG ‑ in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließt.
Für das Feststellungsverfahren nach § 151 BewG gelten nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß. Feststellungsbescheide sind nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO, auch wenn sie noch nicht unanfechtbar sind, für andere Feststellungsbescheide, für Steuermessbescheide, für Steuerbescheide und für Steueranmeldungen (Folgebescheide) bindend, soweit die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Feststellungen für diese Folgebescheide von Bedeutung sind. Einwendungen, die sich auf die gesonderte Wertfeststellung beziehen, können daher nicht gegen den Schenkungsteuerbescheid als Folgebescheid geltend gemacht werden. Dies schließt es aus, einen Sachverhalt, über den im Feststellungsverfahren entschieden worden ist, im Folgeverfahren einer hiervon abweichenden Beurteilung zu unterwerfen (vgl. BFH BStBl II 2019, 419, Rz. 14). Eine Entscheidung in einem solchen Feststellungsbescheid kann daher nur durch Anfechtung des Feststellungsbescheids, nicht aber durch Anfechtung des Folgebescheids angegriffen werden (vgl. § 351 Abs. 2 AO).
Auch nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BewG i.V.m. § 1 Abs. 2 ErbStG ist die Bindungswirkung der Wertfeststellung nicht auf einen nachfolgenden Schenkungsteuerbescheid begrenzt, der die Schenkungsteuer für den Vorerwerb festsetzt, für den das Schenkungsteuerfinanzamt die Feststellung des Grundbesitzwerts angefordert hat. Nach dem Wortlaut der Vorschrift erfolgt die gesonderte Feststellung der Grundbesitzwerte, wenn dieser Wert für die Erbschaftsteuer beziehungsweise die Schenkungsteuer von Bedeutung ist. Eine Einschränkung dahingehend, dass die gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen nur für bestimmte Erwerbe gelten sollen, enthält die Vorschrift nicht. Es liegt gerade in der Natur der gesonderten Feststellung, diese bei allen Steuerfestsetzungen zu berücksichtigen, für die sie materiell-rechtlich von Bedeutung ist. Die Bindungswirkung der gesondert festgestellten Werte nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG gilt folglich nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO auch für nachfolgende Erbschaftsteuer- oder Schenkungsteuerbescheide, in denen im Rahmen der Zusammenrechnung innerhalb von zehn Jahren nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG der Wert der Vorerwerbe Berücksichtigung findet.
Dies gilt unabhängig davon, ob die Wertfeststellung zu einer Steuerfestsetzung geführt hat.
Die BFH-Rechtsprechung zum Ansatz von materiell-rechtlich richtigen Werten für den Vorerwerb im Rahmen der Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe innerhalb eines Zehnjahreszeitraums nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG (s. hierzu BFH BeckRS 2018, 34112) steht danach der Pflicht zur Berücksichtigung eines nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BewG i.V.m. § 1 Abs. 2 ErbStG festgestellten Grundbesitzwerts in Bezug auf einen Vorerwerb bei einem späteren Erwerb nicht entgegen, selbst wenn dieser materiell-rechtlich unzutreffend sein sollte. Diese Rechtsprechung bezieht sich lediglich auf Werte für Vorerwerbe, die als nicht selbständig anfechtbare Besteuerungsgrundlagen in einem Schenkungsteuerbescheid für den Vorerwerb berücksichtigt wurden, nicht hingegen auf einen aufgrund eines gesonderten Feststellungsverfahrens bindend zu berücksichtigenden Wert.
Ebenso wenig steht der Berücksichtigung der gesondert festgestellten Grundbesitzwerte entgegen, dass nach der Rechtsprechung des BFH der für den Vorerwerb ergangene Schenkungsteuerbescheid für die Steuerfestsetzung für den nachfolgenden Erwerb keine Bindungswirkung etwa im Sinn eines Grundlagenbescheids entfaltet (vgl. BFH BeckRS 2017, 122271 Rz 11). Diese Rechtsprechung bezieht sich nicht auf Feststellungsbescheide im Sinne des § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG, denen kraft Gesetzes (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO) Bindungswirkung für Folgebescheide zukommt.
Die unterschiedliche Behandlung von Werten abhängig davon, ob sie in einem gesetzlich angeordneten gesonderten Feststellungsverfahren festzustellen sind oder eine solche Feststellung nicht vorliegt, führt nicht zu einem Verstoß gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG normierten allgemeinen Gleichheitssatz.
Die Bindungswirkung eines Wertfeststellungsbescheids für einen Vorerwerb im Rahmen der Wertermittlung für den nachfolgenden Erwerb trägt im Rahmen des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG auch zur Rechtssicherheit bei. Der Steuerpflichtige kann darauf vertrauen, dass ein bestandskräftig festgestellter Wert auch nachfolgenden Erbschaftsteuer- beziehungsweise Schenkungsteuerbescheiden zu Grunde gelegt wird. Ist der Steuerpflichtige der Auffassung, der festgestellte Wert sei unzutreffend, ist es ihm zumutbar, bereits im Rahmen des Vorerwerbs den Wertfeststellungsbescheid rechtzeitig anzufechten. Es würde der Effizienz des Besteuerungsverfahrens und den gesetzlichen Vorgaben zur Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden widersprechen, müsste die Finanzverwaltung für denselben Stichtag bei nachfolgenden Erwerben erneut ein Feststellungsverfahren zur Wertbestimmung des Vorerwerbs durchführen.
Praxishinweis
Nicht immer stimmt der Satz von Helmut Kohl, dass entscheidend sei, was hinten herauskomme. Selbst bei im Ergebnis steuerfreien Schenkungen kann es besser sein auch auf die zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen zu achten. Diese höchstrichterliche Entscheidung zeigt nämlich, dass auch im Falle der Nichtentstehung von Schenkungsteuer es dringend anzuraten ist, sich die zugrunde gelegten Wertfeststellungen genauestens anzusehen und im Falle der Unrichtigkeit dagegen fristgerecht Einspruch einzulegen. Der Kläger hatte dies im vorliegenden Fall versäumt und muss sich bei der nachfolgenden Schenkung die aus seiner Sicht zu hohen Grundbesitzwerte anrechnen lassen, so dass er im Ergebnis mehr Erbschaftsteuer zu zahlen hat als rechtlich notwendig.
Diese Entscheidung unterscheidet sich von den bisherigen BFH-Entscheidungen zu diesem Problemkreis dadurch, dass in allen vorangegangenen Entscheidungen die Werte nicht nach § 151 Abs. 1 S. 1 BewG für Zwecke der Erbschaft- oder Schenkungsteuer gesondert festzustellen waren (Kapitalforderungen, Geldschenkungen, Autos, Schmuck usw.). In all diesen Fällen schied mangels verbindlicher Wertfeststellung eine Bindungswirkung an die früheren Bescheide allein schon deshalb aus. Ungeklärt war jedoch bislang, ob diese Rechtsprechung auch für Fälle gilt, in denen für die Besteuerung des Vorerwerbs eine gesonderte Wertfeststellung vorgesehen ist. Diese Frage hat der BFH nunmehr dahin geklärt, dass die Rechtssicherheit durch Festhalten an den Rechtsfolgen des früheren Feststellungsverfahrens Vorrang vor dem Interesse des Steuerschuldners an der Besteuerung nach materiell richtigen Werten haben müsse (Kugelmüller-Pugh DStR 2023, 2226). Im Gegensatz zu in einem Steuerbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen, die gemäß § 157 Abs. 2 AO einen nicht selbständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids bilden, kommt den gemäß § 179 Abs. 1 AO gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlagen folglich eine erhöhte Wirkung zu, weil sie nach § 182 Abs. 1 AO für nachfolgende Steuerbescheide bindend sind (Kugelmüller-Pugh a.a.O.).
Diese Entscheidung hat dabei nicht nur für Grundbesitzwerte (§ 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BewG) Bedeutung, sondern ebenso für die gesonderte Feststellung des Werts von Betriebsvermögen (§ 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 95 ff. BewG), von Kapitalgesellschaftsanteilen (§ 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i.V.m. § § 11 Abs. 2 BewG) und des Wertanteils an mehreren Personen zustehenden Vermögensgegenständen (§ 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BewG), wenn diese Werte für die Schenkung- bzw. Erbschaftsteuer relevant sind.
In all diesen Fällen darf der Steuerpflichtige es daher – anders als der Kläger im entschiedenen Fall - nicht versäumen, Einspruch gegen den Feststellungsbescheid einzulegen, wenn er die getroffenen Wertfeststellungen für unrichtig hält, und zwar selbst dann, wenn er gar nicht weiß, ob weitere steuerpflichtige Erwerbe in den nächsten 10 Jahren folgen werden.
Diese Bindungswirkung ist unabhängig davon, ob der Wert – wie im entschiedenen Fall – zu hoch oder zu niedrig angesetzt worden ist. Die Finanzverwaltung ist an ihre Feststellung später auch dann gebunden, wenn sie den festgestellten Wert für zu niedrig hält. Sie hat auch in diesem Fall den für den Steuerpflichtigen günstigeren Wert der Besteuerung des Erwerbs zu Grunde zu legen (Kugelmüller-Pugh DStR 2023, 2226).
Diese Entscheidung begründet die Pflicht aller steuerberatenden Berufe auch im Falle der Nichtfestsetzung von Schenkungsteuer bei potentiellen Vorerwerben für künftige Schenkung- oder Erbschaftsteuern i.S.d. § 151 Abs. 1 S. Nrn. 1 – 4 BewG die zugrunde gelegten Wertfeststellungen zu überprüfen und im Zweifel zur Einlegung des Einspruchs zu raten.
Für die Finanzverwaltung hat diese Entscheidung auf der anderen Seite zur Konsequenz, dass sie selbst in Fällen, in denen sie im Erwerbsfall überhaupt keine Schenkungsteuer festgesetzt hat, allein wegen der sonst eintretenden Bindungswirkung für spätere Besteuerungsfälle der zugrundeliegenden Feststellungen mit Rechtsbehelfsverfahren rechnen muss, und zwar völlig unabhängig davon, ob überhaupt ein späteres Besteuerungsverfahren wegen einer Nachschenkung oder eines Erbfalls sich anschließt. In nicht wenigen Fällen wird der Streit um die Wertfeststellung mit dem Steuerpflichtigen folglich praktisch bedeutungslos bleiben. Diese höchstrichterliche Entscheidung erkauft also auf der Grundlage geltenden Rechts den Rechtsfrieden um den Preis einer Ineffizienz des Besteuerungsverfahrens. Der Gesetzgeber sollte allerdings entscheiden, ob er diesen zusätzlichen bürokratischen Aufwand wirklich will, oder ob es nicht besser wäre, aus Gründen des Abbaus überflüssiger Bürokratie die endgültige Wertfestsetzung dem Steuerverfahren vorzubehalten, in dem es darum geht, ob wirklich Schenkung- bzw. Erbschaftsteuer festgesetzt werden muss. Effizienter wäre das allemal.
BFH, Urteil vom 26.7.2023 – II R 35/21 BeckRS 2023, 26377