Urteilsanalyse
Zwang zur Benutzung des beA bei defektem Faxgerät des Gerichts?
Urteilsanalyse
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Erneut hat der BGH zur Zumutbarkeit der Benutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs zur Übermittlung der Berufungsbegründung an das Berufungsgericht (in der Zeit bis zum Eintritt der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte ab dem 1.1.2022), wenn am Abend des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist eine Übermittlung per Telefax aus von der Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers nicht zu vertretenden Gründen – hier: Defekt des gerichtlichen Empfangsgerätes – scheitert, entschieden.

30. Nov 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 24/2021 vom 26.11.2021

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Sachverhalt

Der vor dem AG unterlegene Beklagte hat fristgerecht Berufung eingelegt. Die Begründungsschrift versandte seine Prozessbevollmächtigte um 23.40 Uhr des Tags des Ablaufs der (verlängerten) Frist zur Begründung der Berufung, einem Freitag, per Telefax an das Berufungsgericht, doch schlug die Übermittlung ausweislich der Sendeprotokolle fehl. Auf telefonische Nachfrage am folgenden Montag teilte die Geschäftsstelle des LG der Prozessbevollmächtigten mit, dass der Schriftsatz aufgrund eines Defekts des Empfangsgeräts beim Gericht nicht habe empfangen beziehungsweise ausgedruckt werden können. Hierauf bezugnehmend und unter Beifügung einer anwaltlichen Versicherung seiner Prozessbevollmächtigten hat der Beklagte noch an diesem Montag vorsorglich beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten, und die Berufungsbegründung an das Gericht übermittelt. Auf den unter Bezugnahme auf OLG Dresden BeckRS 2019, 32256 erteilten Hinweis des Berufungsgerichts, dass ein etwaiger Hinderungsgrund dazu, warum die Nutzung des beA zur Übersendung der Berufungsbegründung nicht möglich gewesen sei, bislang nicht glaubhaft gemacht sei, hat der Beklagte ua vorgetragen, dass seine Prozessbevollmächtigte zwar das beA nutze, ihr eine fristwahrende Übersendung der Berufungsbegründungsschrift jedoch mangels vorhandener Signaturfunktion auf der beA-Karte bereits technisch nicht möglich gewesen wäre.

Das Berufungsgericht hat hierauf den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zwar habe das Faxgerät tatsächlich seit Donnerstagabend und damit auch an dem Tag des Fristablaufs dauerhaft nicht funktioniert. Doch sei von der Prozessbevollmächtigten zu verlangen, dass sie in dem hier vorliegenden Fall einer technischen Störung des Empfangsgeräts im Anschluss an einen gescheiterten Telefaxversand eines fristgebundenen Schriftsatzes diesen über das beA versendet. Auch wenn vor dem 1.1.2022 noch keine aktive Nutzungspflicht für das beA bestehe, begründe dies allein keinen Anspruch eines Rechtsanwalts, vor dem 1.1.2022 die Versendung von Nachrichten über das beA auch in Eilfällen ohne Grund verweigern zu dürfen. Ein Rechtsanwalt könne vielmehr nur dann nach einem gescheiterten Faxversuch eines fristgebundenen Schriftsatzes die Nutzung des beA verweigern, wenn er glaubhaft mache, dass eine elektronische Übermittlung aus dem beA heraus aufgrund technischer oder zwingender organisatorischer Einschränkung ebenfalls nicht möglich sei. Einen solchen Hinderungsgrund habe der Beklagte nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Dass die für das Verfahren zuständige Rechtsanwältin zwar das beA nutze, aber nicht über eine vorhandene Signaturfunktion auf der beA-Karte verfüge, sei allein der (mangelhaften) Organisation der Kanzlei geschuldet.

Entscheidung: Ausweichen auf beA war für die das beA bislang nicht aktiv nutzende Prozessbevollmächtigte nicht zumutbar

Auf die (ohne weiteres statthafte, §§ 574 I 1 Nr. 1, 522 I 4, 238 II 1 ZPO) Rechtsbeschwerde des Beklagten hat der BGH den Beschluss des LG aufgehoben, dem Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gewährt und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Beklagte habe zwar die Berufungsbegründungsfrist versäumt, doch sei ihm antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten (vgl. § 85 II ZPO) an der Einhaltung der Frist für die Berufungsbegründung gehindert gewesen sei (§ 233 S. 1 ZPO) und rechtzeitig um Wiedereinsetzung nachgesucht (§ 234 ZPO) sowie die Übermittlung der Berufungsbegründung nachgeholt (§ 236 II 2 ZPO) habe. Zwar habe die Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit dem Beginn der Telefaxübersendung erst um 23.40 Uhr des Tags des Fristablaufs den nach der Rspr. gebotenen Sicherheitszuschlag von etwa 20 Minuten zusätzlich zur geschätzten Übermittlungszeit (30 Sekunden pro Seite) nicht strikt eingehalten, doch habe sich dieser Verstoß wegen des dauerhaften Defekts des Empfangsgeräts nicht ausgewirkt. Dass die Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründung nicht am Tag des Fristablaufs über das beA gesandt hat, nachdem dies mittels Telefax nicht möglich war, begründe kein dem Beklagten zuzurechnendes Verschulden. Erwägenswert sei zwar, dass dem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet habe, einen Schriftsatz durch Telefax zu übermitteln, zumutbar sei, nicht nur im gewählten Übermittlungsweg nach sich aufdrängenden Alternativen (zB anderer Telefaxanschluss), sondern auch einen anderen als den gewählten Übermittlungsweg wie zB das beA zu suchen, wenn dieser Weg sich aufdränge und der hierfür erforderliche Aufwand geringfügig sei. Hier sei indessen ein Ausweichen auf die Nutzung des beA nicht zumutbar gewesen, weil sich dieser Übermittlungsweg vor Beginn der aktiven Nutzungspflicht für einen Rechtsanwalt, der – wie die Prozessbevollmächtigte des Beklagten – das beA bisher nicht aktiv genutzt und hierüber keine Dokumente versandt habe, keine sich aufdrängende, mit geringfügigem Aufwand nutzbare Alternative sei und es ihm nicht zuzumuten sei, sich innerhalb kurzer Zeit vor Fristablauf erstmals mit den Voraussetzungen dieser für ihn neuen Zugangsart vertraut zu machen. Da die angefochtene Entscheidung somit den Beklagten in seinen Verfahrensgrundrechten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG), das den Gerichten verbiete, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren, verletze, sei die Rechtsbeschwerde gem. § 574 II Nr. 2 Fall 2 ZPO zulässig und auch im Ergebnis begründet.

Praxishinweis

Allgemein gilt, dass von einem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz weder selbst noch durch Boten oder per Post, sondern durch Telefax zu übermitteln, beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen nicht verlangt werden kann, dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt (BGH NJW 2012, 390 Rn. 18 = FD-RVG 2021, 435586 mAnm Elzer). Da dies eine Frage der Zumutbarkeit ist, stellt sich allerdings die Frage, ob nicht zu verlangen ist, dass er im Einzelfall doch auf einen anderen Übermittlungsweg zurückgreift, wenn dieser sich aufdrängt und keinen wesentlich größeren Aufwand erfordert. In der Übergangszeit von der für das beA bestehenden „passiven“ Nutzungspflicht auf die ab 1.1.2022 geltenden aktiven Nutzungspflicht liegt die Überlegung nahe, dass die Versendung per beA eine sich aufdrängende und nicht wesentlich aufwändigere Alternative ist und daher bei Fehlschlagen der Telefaxversendung vom Rechtsanwalt verlangt werden kann. In der besprochenen Entscheidung hat der BGH allerdings (nach BGH NJW 2012, 390 = FD-RVG 2021, 435586 mAnm Elzer zum zweiten Mal) klargestellt, dass die Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes unmittelbar vor Fristablauf per beA nur einem mit dem beA ausreichend vertrauten Rechtsanwalt zumutbar ist. Dass die Geltendmachung technischer Unmöglichkeit wegen fehlender Signaturfunktion der beA-Karte wohl – was der BGH nicht thematisiert hat – neben der Sache lag (eine einfache Signatur reicht aus, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt, BAG NJW 2020, 2351 mwN), spielte daher keine Rolle (sie belegt iÜ allenfalls die fehlende beA-Erfahrung).

BGH, Beschluss vom 29.09.2021 - VII ZB 12/21, BeckRS 2021, 34468