Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 21/2020 vom 22.10.2020
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Sachverhalt
Die Klägerin betreibt ein Autohaus. Dort erschien Ende August ein Mann, der sich für ein Kraftfahrzeug interessierte, das als Vorführwagen genutzt wurde und dessen Wert 52.900 EUR betrug. Der Mann wollte eine Probefahrt unternehmen. Er legte einen italienischen Personalausweis, eine Meldebestätigung einer deutschen Stadt und einen italienischen Führerschein vor. Diese Unterlagen waren allesamt hochwertige Fälschungen. Sie wurden von einem Mitarbeiter der Klägerin kopiert. Dann wurde dem Unbekannten das Fahrzeug nach Unterzeichnung eines Fahrzeugbenutzungsvertrags übergeben. Dort waren für eine Probefahrt der Zeitraum von 11:30 Uhr bis 12:30 Uhr und eine Haftungsreduzierung auf 1.000 EUR vereinbart. Eine Mobilfunknummer – ebenfalls falsch – des Interessenten wurde eingetragen. Er erhielt für die unbegleitete Probefahrt den Fahrzeugschlüssel, das mit rotem Kennzeichen versehene Fahrzeug, das Fahrtenbuch und ein Fahrzeugscheinheft sowie eine Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I. Der Mann kehrte samt Auto nie mehr zum Autohaus zurück.
Etwa einen Monat später nahm die jetzige Beklagte in einem Internetverkaufsportal das Fahrzeug wahr. Sie interessierte sich dafür und vereinbarte telefonisch ein Treffen mit dem Verkäufer. Dieser konnte dabei die Zulassungsbescheinigungen Teil I und Teil II vorlegen, die auf seinen angeblichen Namen ausgestellt waren. Die Fahrzeugidentifikationsnummer war eingetragen. Die Bescheinigungen befanden sich auf Originalvordrucken, die, wie sich später herausstelle, auf einer Zulassungsstelle gestohlen worden waren. Die Beklagte erkannte die Fälschungen nicht und schloss einen Kaufvertrag ab. Auf seinen Wunsch wurden im Vertragsformular anstelle der tatsächlich geleisteten 46.500 EUR nur 43.500 EUR vermerkt, weil der Käufer angab, dass dies für ihn «besser für die Arbeit» sei. Die Beklagte erhielt nach Zahlung des Kaufpreises die Zulassungspapiere sowie einen weiteren Schlüssel, der im Übrigen, wie sich später herausstellte, nicht zum Fahrzeug passte.
Die Beklagte wollte das Fahrzeug nunmehr zulassen, was nicht gelang. Die Zulassungsbehörde lehnte die Zulassung ab, weil das Fahrzeug als gestohlen gemeldet war. Die Klägerin verlangt nun von der Beklagten die Herausgabe des Wagens. Die Beklagte erhebt Widerklage und will die Originalzulassungspapiere und den Zweitschlüssel haben.
Das Landgericht hatte die Klage zunächst abgewiesen. Auf die Widerklage allerdings wurde da Eigentum der Beklagten festgestellt. Die Klägerin legte erfolgreich Berufung ein. Das OLG gab der Klage statt und hielt die Widerklage für unzulässig.
Rechtliche Wertung
Mit der Revision hat die Beklagte Erfolg. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Zivilkammer des Landgerichts wird zurückgewiesen. Das Berufungsgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben, so der BGH. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte kein Anspruch nach § 985 BGB zu. Die Beklagte habe das Eigentum am Fahrzeug gutgläubig erworben.
Gutgläubiger Erwerb trete ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen ist. Der unfreiwillige Besitzverlust entwerte nämlich den unmittelbaren Besitz. Die Klägerin habe ihren unmittelbaren Besitz aber nicht unfreiwillig verloren, sondern freiwillig, indem sie das Fahrzeug einem vermeintlichen Kaufinteressenten überlassen habe und diesen unbegleitet und auch nicht anderweitig überwacht eine Probefahrt habe durchführen lassen.
Der Senat habe bislang die Frage offengelassen, welche Rolle die Besitzdienerschaft spiele. Nunmehr entscheidet sich der Senat dahin, dass in Fällen wie dem vorliegenden weder eine unmittelbare noch eine entsprechende Anwendung des § 855 BGB in Betracht kommt. Ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt mit einem Fahrzeug unternimmt, sei nicht Besitzdiener des Verkäufers. Sei, wie hier, mit der Überlassung des Fahrzeugs keine bloße Besitzlockerung verbunden, liege auch kein Abhandenkommen im Sinn des § 935 BGB vor, wenn das Fahrzeug nicht zurückgegeben werde. Besitzdienerschaft bedeute immer, dass ein erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Parteien bestehe. Dann könne man von einem «ähnlichen Verhältnis» sprechen. Davon allerdings sei hier nicht die Rede.
Praxishinweis
Die Entscheidung ist für die Praxis von erheblicher Bedeutung. Sie spielt – selbstverständlich – für die Kfz-Kaskoversicherung eine nicht unerhebliche Rolle, denn auch dort ist die Unterscheidung zwischen Diebstahl (meist Trickdiebstahl) und Unterschlagung sehr von den Umständen des Einzelfalles und von den jeweils vereinbarten AKB abhängig.
BGH, Urteil vom 18.09.2020 - V ZR 8/19 (OLG Frankfurt a. M.), BeckRS 2020, 24221