Urteilsanalyse
BGH gestattet bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums durch einzelne Wohnungseigentümer
Urteilsanalyse
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Hat ein Wohnungseigentümer eigenmächtig eine bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums vorgenommen, haben die Wohnungseigentümer nach einem Urteil des BGH vom 15.05.2020 die Beschlusskompetenz, dies mit der Maßgabe zu genehmigen, dass der die Veränderung vornehmende Wohnungseigentümer die Folgekosten der Maßnahme trägt.

22. Jul 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 13/2020 vom 16.07.2020

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Sachverhalt

Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 01.06.2012 fassten die Wohnungseigentümer zu TOP 7 einen Beschluss, wonach den Eigentümern gestattet wurde, an ihren Fenstern und Türen hofseitig fach- und sachgerecht Jalousien, Lamellen und feste Verschattungen zu installieren. Für die Anbringung einer Verschattung an einer vor der Glasfassade des Gebäudes angebrachten Stahlbaukonstruktion sollte der Verwalter Angebote einholen. Im September 2013 ließen die Beklagten jeweils an der Stahlbaukonstruktion der Hofseite ihrer Wohnungen Außenjalousien anbringen.

Das Amtsgericht hat die auf Beseitigung der Jalousien gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb vor dem Landgericht ohne Erfolg. Mit dem ersten Revisionsurteil vom 20.07.2018 hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Während des neuen Berufungsverfahrens fassten die Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 28.09.2018 folgenden Beschluss:

„Die Eigentümer beschließen, allen Wohnungseigentümern wird gestattet, an die hofseitig gelegene und südwärts vorgelagerte Fassaden- und Balkonkonstruktion, entsprechende Verschattungsanlagen (Jalousien/Verschattungsjalousien) fachmännisch anzubringen. Die Verschattungsanlage soll in einheitlicher Art und Form ausgeführt werden und eine optisch harmonische Ansicht bieten. Die Ausführung der Verschattungsanlagen hat sich in Art und Form den bereits vorhandenen Verschattungsanlagen weitestgehend anzupassen. Die entstehenden Einbau- und eventuellen Folgekosten werden durch die Eigentümer der jeweiligen WE, welche die Verschattungen installieren, selbst getragen. Ebenso übernehmen die jeweiligen Eigentümer die Haftung für evtl. auftretenden Schäden und deren Beseitigung, sofern diese nicht durch die Gebäudeversicherung abgedeckt sind.“

In dem Berufungsverfahren vor dem Landgericht haben die Kläger im Wege der Klageerweiterung die Feststellung beantragt, dass der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 01.06.2012 zu TOP 7 nichtig ist. Hilfsweise haben sie zudem die Beseitigung oder Veränderung der angebrachten Jalousien in der Weise beantragt, dass für sie die freie Sicht aus ihren Fenstern und von ihren Balkonen gewährleistet ist. Das Landgericht hat die Berufung erneut zurückgewiesen und die mit der Klageerweiterung geltend gemachten Anträge abgewiesen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit der Revision.

Entscheidung

Die Revision hat keinen Erfolg.

Im Ergebnis zutreffend verneine das Berufungsgericht die von den Klägern mit den Hauptanträgen geltend gemachten Ansprüche auf (vollständige) Beseitigung der Verschattungsanlagen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 22 Abs. 1 WEG und § 15 Abs. 3 WEG.

Ein nachteilig betroffener Wohnungseigentümer könne zwar bei einem Verstoß gegen die in § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG geregelten Pflichten nach § 1004 Abs. 1 BGB - ebenso wie nach § 15 Abs. 3 WEG - die Unterlassung oder Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Da das Berufungsgericht zu dem Vorliegen eines Nachteils im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG keine Feststellungen getroffen habe, sei zugunsten der Kläger revisionsrechtlich davon auszugehen, dass die von ihnen angeführten Auswirkungen (Verschattung ihrer Wohnung und Beeinträchtigung der freien Sicht in den Himmel) einen solchen Nachteil darstellen.

Jedoch seien aufgrund der in dem Beschluss der Wohnungseigentümer vom 28.09.2018 enthaltenen Genehmigung der vorhandenen Verschattungsanlagen die Beklagten nach § 13 Abs. 2, § 22 WEG berechtigt, das gemeinschaftliche Eigentum mitzubenutzen. Ihrer Berechtigung zur entsprechenden Mitbenutzung des gemeinschaftlichen Eigentums entspreche eine Verpflichtung der Kläger, diese Mitbenutzung zu dulden. Diese Duldungspflicht stehe einem Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB nach § 1004 Abs. 2 BGB entgegen.

Auch könnten die Wohnungseigentümer eine ohne die nach § 22 Abs. 1 WEG erforderliche Zustimmung vorgenommene bauliche Veränderung nachträglich genehmigen. In diesem Fall sei ein Beseitigungsanspruch der übrigen Eigentümer wiederum ausgeschlossen. Dies gelte auch dann, wenn nicht alle erforderlichen Zustimmungen vorliegen, da dies nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führen würde.

Der Beschluss vom 28.09.2018 enthalte eine nachträgliche Genehmigung. Zwar habe der Beschluss bei vordergründiger Betrachtung nur einen in die Zukunft gerichteten Inhalt, weil allen Wohnungseigentümern gestattet werde, Verschattungsanlagen „anzubringen“ und von „entstehenden“ Einbau- und eventuellen Folgekosten die Rede sei. Den Wohnungseigentümern ginge es jedoch erkennbar darum, im Hinblick auf die Anbringung von Verschattungsanlagen eine einheitliche Regelung für alle Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft zu treffen. Eine Differenzierung zwischen den Eigentümern, die eine Verschattungsanlage bereits angebracht haben, und den übrigen Eigentümern sei erkennbar nicht gewollt gewesen. Dies ergebe sich eindeutig daraus, dass sich die Ausführung der Verschattungsanlagen in Art und Form „den bereits vorhandenen Verschattungsanlagen“ weitestgehend anzupassen habe und sich die Gestattung auf „alle Wohnungseigentümer“ beziehe. Entscheidend für die Zulässigkeit der Anbringung von Verschattungsanlagen solle hiernach nicht der Zeitpunkt der Anbringung sein, sondern das Einhalten der in dem Beschluss näher dargelegten Maßgaben, d. h. insbesondere die Tragung der entstehenden Einbau- und Folgekosten sowie die Haftungsübernahme für eventuell auftretende Schäden. Hierbei könne sich die Kostenregelung, soweit es um bereits errichtete Verschattungsanlagen gehe, naturgemäß nicht auf die - schon angefallenen - Einbaukosten, sondern nur auf die Folgekosten beziehen.

Die in dem Beschuss hiernach enthaltene Genehmigung sei wirksam. Nichtigkeitsgründe seien ebenfalls nicht gegeben.

Die Nichtigkeit der Genehmigung ergebe sich ferner nicht daraus, dass sie durch die angebrachten Verschattungsanlagen in einem über das in § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. Das Fehlen einer erforderlichen Zustimmung führe nur zur Anfechtbarkeit des Zustimmungsbeschlusses. Die Prüfung etwaiger Anfechtungsgründe sei dem Anfechtungsverfahren vorbehalten.

Die Nichtigkeit der Genehmigung folge auch nicht daraus, dass sie nur zusammen mit der in dem Beschluss enthaltenen Kostenregelung Bestand habe.

Die Nichtigkeit der Kostenregelung hätte allerdings gemäß § 139 BGB die Gesamtnichtigkeit des Beschlusses vom 28.09.2018 zur Folge. Die teilweise Aufrechterhaltung eines Beschlusses ohne den nichtigen Teil komme nur dann in Betracht, wenn nach dem tatsächlichen oder hypothetischen Parteiwillen zweifelsfrei davon auszugehen sei, dass der Beschluss auch als Teilregelung beschlossen worden wäre. An diesen Voraussetzungen fehle es. Diene eine bauliche Maßnahme nur dem Interesse einzelner Wohnungseigentümer und bedürfe die Maßnahme der Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer, werden diese in aller Regel ihre Zustimmung nur erteilen, wenn sichergestellt sei, dass die Kosten der Errichtung der baulichen Anlage und etwaige Folgekosten von den begünstigten Eigentümern getragen werden. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass den Wohnungseigentümern hier die Anbringung von Verschattungsanlagen unabhängig von einer Übernahme der Kosten und der Verantwortlichkeit für Errichtung und Betrieb der Anlagen gestattet werden solle, biete der Beschluss der Wohnungseigentümer nicht. Bei der auch im Blick auf § 139 BGB gebotenen objektiven Auslegung sei die Gestattung vielmehr untrennbar mit der Kostenregelung verbunden.

Auch fehle es nicht an der Regelungskompetenz der Wohnungseigentümer. Die Kostenregelung in dem Beschluss sei keine Änderung der Kostenverteilung, der die Regelung in § 16 Abs. 4 WEG entgegenstehen könne. Vielmehr handele es sich um eine von dieser Vorschrift nicht erfasste Maßgabe für die Gestattung, Verschattungsanlagen anzubringen, und für die Genehmigung der bereits angebrachten Anlagen.

Die Vorschrift des § 16 Abs. 4 WEG betreffe die Verteilung der Kosten des gemeinschaftlichen Eigentums. Sinn und Zweck der Regelung bestehe darin, den Wohnungseigentümern für einzelne bauliche Maßnahmen, gleich welcher Art, eine flexible Kostenregelung zu gestatten. Solche Maßnahmen seien oft kostenintensiv und bringen nicht in gleichem Maße jedem Wohnungseigentümer Vorteile. Es könne dann das Bedürfnis entstehen, diejenigen Eigentümer, die von der Maßnahme besonders profitieren, abweichend von dem allgemeinen Kostenverteilungsschlüssel verhältnismäßig stärker zu belasten. Dies solle durch § 16 Abs. 4 WEG ermöglicht werden. Die Vorschrift setze deshalb voraus, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Durchführung einer Maßnahme beschlossen habe, für die die Gemeinschaft Kosten aufzuwenden habe, die eigentlich nach dem in der Gemeinschaftsordnung vereinbarten oder hilfsweise nach dem gesetzlichen Maßstab (§ 16 Abs. 2 WEG) verteilt werden müssten.

Um die Verteilung solcher Kosten der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gehe es in dem hier zu beurteilenden Beschluss der Wohnungseigentümer jedoch nicht. Die Wohnungseigentümer hätten nicht beschlossen, als Gemeinschaft die Stahlbaukonstruktion vor der Glasfassade des Gebäudes mit Verschattungsanlagen zu versehen. Vielmehr hätten sie „nur“ von ihrer Befugnis Gebrauch gemacht, der Vornahme einer baulichen Veränderung durch die Wohnungseigentümer selbst unter bestimmten Maßgaben zuzustimmen. Zu diesen Maßgaben könne - neben der Kostenübernahme - etwa die Übernahme von Verkehrssicherungspflichten gehören. Entscheide sich der Eigentümer dazu von der Gestattung Gebrauch zu machen, fallen nur ihm auch die entsprechenden Kosten zur Last. Er erteile die entsprechenden Aufträge, und nur er habe gegenüber seinen Auftraggebern die Vergütung zu erbringen. Der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer würden daher insoweit keine Kosten entstehen, die zu verteilen wären. Nehme der begünstigte Eigentümer die bauliche Veränderung vor, ohne die in der Gestattung vorgesehenen Maßgaben zu erfüllen oder solche Maßgaben nach der Errichtung einzuhalten, scheide eine Duldungspflicht der übrigen Eigentümer aus.

Praxishinweis

Der BGH folgt der Instanzrechtsprechung (OLG Köln, Beschluss vom 12.01.2001 - 16 Wx 156/00, NZM 2001, 293; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.11.2004 - 3 Wx 234/04, NZM 2005, 791; LG Itzehoe, Urteil vom 14.01.2014 − 11 S 94/12, ZWE 2014, 329; LG Stuttgart, Urteil vom 24.02.2014 − 2 S 18/13, ZWE 2014, 372), dass die nach § 22 Abs. 1 WEG erforderliche Zustimmung der Wohnungseigentümer für bauliche Veränderungen auch nachträglich als Genehmigung erfolgen kann. Diese Genehmigung ist regelmäßig in einem Beschluss, der eine Geltendmachung von Beseitigungsansprüchen durch die Gemeinschaft ablehnt, enthalten (AG Friedberg, Urteil vom 27.11.2013 − 2 C 1676/12 (23), ZWE 2014, 464). Wird ein genehmigender Beschluss bestandskräftig, so schließt dieser den Beseitigungsanspruch auch der einzelnen Wohnungseigentümer aus (BayObLG, Beschluss vom 03.11.1994 - 2Z BR 58/94, NJW-RR 1995, 395). Dies gilt auch, wenn für den genehmigenden Beschluss nicht alle erforderlichen Zustimmungen vorliegen, da dies die Wirksamkeit des Beschlusses nicht berührt. Er ist hierdurch lediglich anfechtbar, nicht jedoch nichtig.

Offen gelassen hat der BGH erneut (Urteil vom 28.10.2016 – V ZR 91/16, NJW 2017, 1167) die Frage, ob die Wohnungseigentümer nach § 16 Abs. 4 WEG bei einer konkreten Maßnahme nicht nur über die Kosten der baulichen Veränderung selbst, sondern auch über sich hieraus etwa ergebende Folgekosten dauerhaft beschließen können. Die wohl herrschende Meinung lässt einen solchen Beschluss zu (LG Itzehoe, Urteil vom 12.07.2011 – 11 S 51/10, ZMR 2012, 219; Becker in Bärmann, WEG, 14. Auflage 2014, § 16 WEG Rn 133; Bub ZWE 2008, 205; Häublein ZMR 2007, 409; Jennißen ZWE 2012, 458; Armbrüster ZWE 2008, 61; aA Schmidt ZMR 2007, 913). Die bauliche Veränderung, die ausschließlich im Interesse einzelner Wohnungseigentümer steht, und die durch sie verursachten Folgekosten sind als „Einzelfall“ anzusehen. Allein hierdurch kann eine künftig ungerechte Verteilung der Kostenlast durch den allgemeinen Kostenverteilungsschlüssel vermieden werden. Auch wird der bauwillige Eigentümer nicht unangemessen benachteiligt, da er wissentlich die Gestattung der baulichen Veränderung in seinem Interesse bedingt durch die Koppelung zur Kostentragung eingeht.

BGH, Urteil vom 15.05.2020 - V ZR 64/19, BeckRS 2020, 13131