Anmerkung von Rechtsanwalt Lucas Merschmöller, Knierim & Kollegen, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 07/2023 vom 06.04.2023
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Sachverhalt
Der Zeuge K, ein Zusteller der Deutschen Post, übergab einem Polizeibeamten eine an den Beschuldigten B gerichtete Briefsendung mit dem Hinweis, dass diese stark nach Cannabis rieche. Beim Öffnen der Briefsendung durch Polizeibeamte wurde festgestellt, dass diese sieben Tütchen mit insgesamt 21g Cannabis enthielt. Die StA beantragte, die Beschlagnahme des Cannabis zu bestätigen, da dieses als Beweismittel für das weitere Verfahren von Bedeutung sei. Das AG hat die Beschlagnahme abgelehnt.
Entscheidung
Eine Beschlagnahme nach § 99 Abs. 1 StPO komme nicht in Betracht, da diese Norm nur die Beschlagnahme von Postsendungen erfasse, die sich im Gewahrsam von Personen oder Unternehmen befänden, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbrächten oder daran mitwirken würden. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Der Zeuge K hätte die Briefsendung bereits der Polizei übergeben und diese damit dem Herrschaftsbereich des Postunternehmens entzogen. Ohnehin lägen die Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 StPO nicht vor. Die Beschlagnahme und Verwertung der Postsendung setze zumindest einen Anfangsverdacht bzw. ein Verfahren gegen einen bestimmten Beschuldigten voraus. Ein solcher habe hier aber zum Zeitpunkt der Übergabe des Briefes nicht vorgelegen. § 99 StPO diene nicht dazu, eine unter Verstoß gegen das Post- und Briefgeheimnis vorgenommene Beweiserhebung, durch die eine mögliche Straftat erst bekannt werde, nachträglich zu legalisieren.
Eine Bestätigung der Beschlagnahme nach §§ 94, 98 Abs. 2 StPO komme ebenfalls nicht in Betracht. Wegen des Vorrangs der von §§ 99, 100 StPO geregelten Briefbeschlagnahme scheide § 94 Abs. 1 StPO vorliegend als Grundlage für eine Sicherstellung aus. Beweismittel, die unter Verletzung des Postgeheimnisses erlangt würden, dürften in einem Strafverfahren grundsätzlich nicht verwertet werden. Insbesondere habe für die Übergabe des Briefes durch den Postzusteller an die Polizei keine rechtliche Grundlage bestanden. § 39 Abs. 2 PostG verpflichte die Postbediensteten zu einer umfassenden Wahrung des Postgeheimnisses. Eine der Ausnahmen nach § 39 Abs. 4 oder 4a PostG greife vorliegend nicht. Zwar erlaube § 39 Abs. 4a Nr. 1 PostG der zuständigen Strafverfolgungsbehörde Mitteilung zu machen, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass mit der Postsendung eine strafbare Handlung nach § 29 BtMG begangen wird. Dies gelte aber nur in den Fällen, in denen sich ein Postverpflichteter zulässigerweise nach § 39 Abs. 4 Satz 1 PostG vom Inhalt der Postsendung Kenntnis verschafft habe, also beispielsweise, um den Inhalt beschädigter Postsendungen zu sichern. Dies sei aber hier nicht der Fall gewesen. Weder sei die Postsendung bereits geöffnet gewesen, noch hätten die Voraussetzungen für eine Öffnung nach § 39 Abs. 4 PostG vorgelegen.
Trotz Verstoßes gegen das Postgeheimnis könne zwar eine Verwertbarkeit des aufgefundenen Beweismittels angenommen und eine Bestätigung der Beschlagnahme nach §§ 94, 98 Abs. 2 StPO erfolgen, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung der Verstoß deutlich geringer wiege als das Interesse an einer effektiven Strafverfolgung oder wenn lediglich ein nicht schwerwiegender verfahrensrechtlicher Fehler, der auch nicht gezielt oder leichtfertig begangen worden sei, vorliege. Das sei hier jedoch nicht der Fall. Zum einen handele es sich vorliegend um eine Straftat geringeren Unrechtsgehaltes, zumal angesichts der eher geringen Menge von einer Bestellung des Cannabis zum Eigenbedarf auszugehen sei. Zum anderen liege auch ein erheblicher Verstoß gegen § 99 StPO und § 39 PostG vor. Insbesondere handele es sich weder um eine bloße Fehlbeurteilung der Voraussetzungen der Maßnahme noch um einen verfahrensrechtlichen Fehler bei ihrer Durchführung, sondern um die Durchführung einer von den Vorschriften von vornherein nicht gedeckten Ermittlungsmaßnahme, durch die der Kernbereich des Grundrechterechtes nach Art. 10 GG verletzt worden sei. Wie dargelegt habe von vornherein keine Befugnis des Postzustellers bestanden, die Sendung den Strafverfolgungsbehörden zu überlassen oder eine Befugnis der Strafverfolgungsbehörden, eine entsprechende Sendung ohne richterlichen Beschluss in Empfang zu nehmen, zudem sei die Öffnung der Sendung unter Verstoß gegen den in § 100 StPO normierten Richtervorbehalt erfolgt.
Praxishinweis
Gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität hat die Bestellung über das Darknet und der Versandhandel der Betäubungsmittel große Bedeutung. Die Gewinnung von Beweismitteln, die auf dem Postweg versandt werden, steht somit im Spannungsfeld des Art. 10 GG auf der einen und dem Interesse der Strafverfolgungsbehörden auf der anderen Seite, Zugriff auf die Beweise zu erlangen. Der der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt zeigt, dass aufgrund der Einbindung eines Dritten - nämlich von Personen oder Unternehmen, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen - die Einhaltung der prozessualen Voraussetzungen umso größere Beachtung finden muss. Die durch den Gesetzgeber vorgesehene zweistufige Vorgehensweise, die durch die Regelungen in Nr. 77 RiStBV ergänzt wird, ist mit Blick auf den Schutz des Art. 10 GG strikt einzuhalten, da ansonsten - wie auch das Gericht im vorliegenden Fall feststellt - die Umgehung von Verfahrensvorschriften droht, die in diesem sensiblen Bereich die Beachtung des Rechtsstaatsprinzips gewährleisten sollen.
G Flensburg, Beschluss vom 27.02.2023 - 480 Gs 261/23 108 Js 6330/23, BeckRS 2023, 4370