Urteilsanalyse
Beweislastverteilung bei Schimmelpilzbefall
Urteilsanalyse
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Ist der Mangel vom Mieter bewiesen, hat der Vermieter den Beweis zu führen, dass der Mangel nicht auf die Bausubstanz zurückzuführen ist. Erst dann muss nach Ansicht des Amtsgerichts Berlin-Mitte der Mieter beweisen, dass der Schimmel nicht durch ein vertragswidriges Heiz- und Lüftungsverhalten entstanden ist.

12. Jul 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 13/2021 vom 01.07.2021

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Sachverhalt

In der Mietwohnung der Klägerin bildete sich in dem von ihrem Sohn bewohnten Zimmer an mehreren Wänden Schimmelpilz. Sie zeigte den Mangel dem Vermieter an und zahlte, da dieser den Mangel nicht beseitigte, die Miete unter Vorbehalt. In der auf Mängelbeseitigung und Mietrückzahlung gerichteten Klage erging gegen den Vermieter ein Versäumnisurteil, gegen das er Einspruch einlegte. Nachdem ein Sachverständiger den Schaden feststellt hatte, beseitigte die Klägerin den Mangel selbst und fordert nunmehr neben der Mietrückzahlung die Mängelbeseitigungskosten.

Entscheidung

Die Klage hat Erfolg.

Der Klägerin stehe für den geltend gemachten Zeitraum ein Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Miete aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB zu. Im genannten Zeitraum sei gemäß § 536 Abs. 1 BGB die vereinbarte Miete kraft Gesetzes um 25% gemindert, da die Mietsache im genannten Zeitraum einen Mangel in Form des unstreitigen Schimmels im kleineren der beiden Wohnräume aufgewiesen habe, der die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch jedenfalls (erheblich) gemindert habe.

Das Minderungsrecht der Klägerin sei auch nicht ausgeschlossen. Dies sei nur der Fall, wenn der Schaden von der mietenden Partei schuldhaft verursacht worden sei, namentlich durch falsches Heiz- und Lüftungsverhalten, was nicht die Frage nach dem Mangel selbst, sondern die nach dem Gewährleistungsausschluss betreffe. Diesbezüglich gelte folgende Beweislastverteilung: Habe die Mietpartei einen Mangel der Mietsache bewiesen, obliege der Vermieterseite nach der sog. Gefahrkreistheorie der Beweis, dass der Schimmel nicht auf bauseitige Ursachen zurückzuführen sei. Die Vermieterseite müsse also den Beweis führen, dass aus technisch-handwerklicher Sicht auszuschließen sei, dass der Schimmel auf die Bausubstanz zurückzuführen sei. Erst wenn der Vermieter diesen Beweis geführt habe, müsse die Mieterseite beweisen, dass der Schimmel nicht durch ein vertragswidriges Heiz- und Lüftungsverhalten entstanden sei.

Vorliegend sei ein Mangel durch das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten bewiesen. Die Ursache des Mangels sei demnach ein erhöhter Wärmebedarf der Wohnung aufgrund des Lagenachteils über der Hofdurchfahrt, der nicht mit einer größeren Wärmezufuhr kompensiert worden sei. Hieraus lasse sich aber nicht schon der Schluss ziehen, die Schimmelerscheinungen beruhten auf einer Obhutspflichtverletzung der Klägerin, nämlich unzureichendem Heizverhalten. Es komme nicht auf die abstrakte Betrachtung an, ob Schimmelschäden überhaupt durch Wohn- und Lüftungsverhalten vermieden werden können, sondern vielmehr darauf, ob der Mietpartei im Rahmen des vertragsgemäßen Gebrauchs ein derartiges Wohnverhalten überhaupt zumutbar sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liege der Fehler des Mietobjekts, der die Klägerin zur Minderung berechtige, nämlich darin, dass das kleinere Zimmer der Wohnung Mängel aufweise, welche durch zumutbares Heizverhalten nicht kompensiert werden könnten.

Als üblich und damit zumutbar sei im vorliegenden Einzelfall wegen der Lage des Raumes über der Tordurchfahrt einerseits, der Nutzung des Raums als Schlaf-, Arbeits- und Wohnraum durch den Sohn der Klägerin andererseits eine durch entsprechendes Heizverhalten erreichte Temperatur anzusehen, welche sich tagsüber bei etwa 20 °C, wobei Abwesenheiten aus beruflichen oder schulischen Gründen zu berücksichtigen seien und ein temporäres Absinken der Temperatur erlaubten, und in der Nacht, also ab etwa 22 Uhr, bei etwa 16 - 18 °C bewege.

Die Klägerin habe auch zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass eine dem obigen Maßstab entsprechende, vertragsgemäße Beheizung des Raumes gewährleistet worden sei, § 286 ZPO.

Eine Minderung der Gesamtmiete von 25% sei angesichts des Ausmaßes der Schimmelproblematik auch angemessen.

Der Klägerin stehe auch der geltend gemachte Aufwendungsersatzanspruch zu, § 536a Abs. 2 Nr. 1 BGB. Der Beklagte habe sich im Verzug mit der Beseitigung des in seiner Sphäre zu verorteten Schimmels befunden. Auf sein Verschulden komme es nicht an. Der Ersatzanspruch erfasse die erforderlichen Aufwendungen, deren Höhe die Klägerin unter Vorlage von Kassenzetteln sowie unter detaillierter Auflistung ihrer eigenen Tätigkeit zum Materialaufwand und zum Arbeitsaufwand vorgetragen habe.

Praxishinweis

Das AG Berlin-Mitte schließt sich vorliegend der ständigen BGH-Rechtsprechung an (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2004, XII ZR 71/01, NJW-RR 2005, 235) zur Beweislastverteilung zwischen Mieter und Vermieter bei Mängeln, deren Ursache sowohl in der Bausubstanz als auch im vertragswidrigen Gebrauch liegen kann. Diese Regeln sind zB auch bei einem Wasserschaden anzuwenden und gelten gleichwohl für Wohnraum- als auch für Geschäftsraummietverhältnisse. Da bis zum Gutachten im Hauptprozess ein erheblicher Zeitraum vergehen kann, in dem Mieter den vom Schimmel befallenen Raum nicht nutzen können und sich auch hierdurch Beweisschwierigkeiten ergeben können, ist den Mietern zu raten, ein gerichtliches Beweisverfahren gem. §§ 485 ff ZPO durchzuführen, sofern eine Einigung mit dem Vermieter scheitert. Im Anschluss daran können sie unter den Voraussetzungen des § 536a Abs. 2 BGB den Mangel auf Kosten des Vermieters – wie im vorliegenden Fall – selbst beseitigen.  

AG Berlin-Mitte, Urteil vom 29.10.2020 - 25 C 124/19, BeckRS 2020, 46007