Interview
Beurteilt, befördert, blockiert
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© BVerwG/Foto Kunstmann

Derzeit ist wieder die Besetzung einiger hoher Justizposten durch Konkurrentenklagen blockiert. Es ist ein ständig wiederkehrender Zustand, über den seit vielen Jahren intensiv diskutiert wird. Passiert ist bisher allerdings nichts. Warum eigentlich? Und was könnte man tun? Fragen an den ehemaligen Präsidenten des BVerwG Prof. Dr. Dr. h. c. Klaus Rennert, der sich auch zum Beförderungssystem in der Justiz und zur politischen Einflussnahme äußert.

25. Nov 2021

NJW: Über das Dilemma der Konkurrentenklagen – Einschränkung der Funktionsfähigkeit der Justiz und Rechtsschutzgarantie für Richter und Staatsanwälte in Beförderungsfragen – diskutieren wir letztlich schon seit Jahrzehnten. An Reformvorschlägen mangelt es nicht. Warum traut sich an das Thema offenbar niemand ran?

Rennert: Mitunter traut man sich schon heran: Als vor ein paar Jahren wegen schwebender Konkurrentenverfahren gleich mehrere Senatsvorsitze bei mehreren obersten Bundesgerichten über mehrere Monate hinweg vakant waren, war der Gesetzgeber dicht davor, das Thema anzupacken. Dann hat sich die Blockade auf andere Weise aufgelöst, und das Reformvorhaben verschwand wieder in der Schublade. Anscheinend bringt der Gesetzgeber die Kraft zu strukturellen Reformen nur auf, wenn (und solange) „die Hütte brennt“.

NJW: Ein maßgebliches Problem der Konkurrentenklagen sind die langen Verfahrensdauern und das daraus resultierende Blockadepotenzial. Was ist eigentlich der Grund für die lange Dauer?

Rennert: Obwohl es sich ja praktisch durchweg um Eilverfahren handelt, dauern solche Prozesse oft mehrere Monate. Das gereicht den Verwaltungsgerichten leider nicht zur Ehre, hat aber mehrere Gründe. Zum einen sind die gesetzlichen Vorgaben sehr dürftig und die diesbezügliche Judikatur zersplittert; das versetzt manche Personalreferenten in den zuständigen Ministerien in Schockstarre. Damit hängt zum zweiten zusammen, dass fast in jedem Prozess neue Ideen produziert werden, die erst ausgiebig ausgeschrieben werden müssen. Hintergrund dieser Akribie ist, dass – zum dritten – das Bundesverfassungsgericht von den Eilgerichten eine Prüfgenauigkeit wie in einem Hauptsacheverfahren verlangt. Einen wirklichen Eilrechtsschutz gibt es da eigentlich gar nicht.

NJW: Beklagt wird auch, dass es keine einheitliche und präzisierende Rechtsprechung des BVerwG gibt, gerade weil die Konkurrentenstreite in der Regel ausschließlich im Eilverfahren entschieden werden. Wie könnte man Leipzig doch ins Spiel bringen?

Rennert: Von einer dritten Instanz in Eilverfahren halte ich nichts. Eine Verkürzung des Rechtswegs, indem man beim OVG bzw. VGH beginnt und dann eine Rechtsbeschwerde zum BVerwG vorsieht, wäre wohl nur zu realisieren, wenn das nicht für das gesamte Beamtenrecht gälte, sondern nur für Richter. Das gescheiterte Reformprojekt, von dem ich eingangs sprach, sah eine Eingangszuständigkeit nur des BVerwG vor, allerdings nur für Bundesrichter. Die Kritik bemängelte, das sei ein arrogantes Sonderrecht und könne obendrein die gewünschte Vereinheitlichung nicht erreichen. Den ersten Einwand halte ich für verfehlt. Letzteres übersieht, dass die Rechtsprechung des BVerwG auch bei begrenzter Zuständigkeit maßstabbildend wirkt.

NJW: Nach der Rechtsprechung dürfen die streitigen Ämter während laufender Konkurrentenverfahren nicht besetzt werden. Ließe sich das ändern?

Rennert: Nein. Eine Besetzung ließe sich nicht mehr rückgängig machen. Man darf nicht vergessen, dass der Beförderte ja seine bisherige Stelle frei macht, in die dann ein anderer einrückt, für den wieder ein anderer folgt, und so weiter. Diese Kaskade lässt sich nicht rückabwickeln.

NJW: Eine große Rolle bei den Konkurrentenklagen spielt das Beurteilungswesen. Sehen Sie da Defizite?

Rennert: Wenn es richtig und verantwortungsbewusst gehandhabt wird: nein. Es sollte nicht übersehen werden, dass das Beurteilungswesen das hauptsächliche Instrument dafür ist, Personalentscheidungen zu versachlichen und am Maßstab der persönlichen und fachlichen Eignung auszurichten, also Willkür und auch politische Ämterpatronage möglichst auszuschließen. Voraussetzung ist natürlich, dass das Beurteilungswesen so organisiert wird, dass es das auch leisten kann. Beurteilungen mehrerer Bewerber für ein Amt müssen im Verfahren fair und transparent erstellt werden und in der Sache vergleichbar sein.

NJW: Wie beurteilen Sie ganz allgemein das Beförderungssystem in der Justiz? Gewährleistet es den verfassungsrechtlich vorgegebenen Grundsatz der Bestenauslese?

Rennert: Wir wissen alle, dass Personalfragen Machtfragen sind; davor sollte man nicht die Augen verschließen. Deshalb steht der Gesichtspunkt der Fachlichkeit – also der Grundsatz der Bestenauslese – immer in Spannung zu Versuchen der Einflussnahme seitens der Politik. Diese Versuche sind umso intensiver, je höher das Amt ist. Das kann man nicht hindern; es kommt darauf an, trotzdem für fachliche Exzellenz zu sorgen. In Deutschland haben wir dafür ein hochkomplexes System, in dem genuin politische Stellen – die Ministerien und die Richterwahlausschüsse – einer richterlichen Mitwirkung durch die Personalräte gegenüberstehen und zudem materiell-rechtlich an den Grundsatz der Bestenauslese gebunden sind, was im Streitfall eingeklagt werden kann. Das klappt mal besser, mal schlechter. Insgesamt aber funktioniert es, glaube ich, ganz gut. Das größte Problem ist der Zeitfaktor, den Sie ja schon angesprochen haben.

NJW: Sie haben die politische Einflussnahme angesprochen. Zuletzt gab es diesbezüglich Diskussionen im Zusammenhang mit der Besetzung von Präsidenten- und Vizepräsidentenamt beim BFH sowie der Absenkung der Anforderungen an die Senatsvorsitzenden bei den Bundesgerichten im Zuständigkeitsbereich des Bundesjustizministeriums. Wie sehen Sie das? Mischt die Politik zu viel mit?

Rennert: Bislang ist Voraussetzung für einen Senatsvorsitz, dass ein Bewerber sich wenigstens fünf Jahre lang als Richter an dem jeweiligen Bundesgericht bewährt hat. Das zuständige Bundesjustizministerium möchte das streichen. Damit wird natürlich die Qualität der Rechtsprechung gefährdet, und man fragt sich: warum. Die Absicht dahinter ist, das Amt eines Senatsvorsitzenden für externe Bewerber zu öffnen, also auch für Bewerber, die nicht aus der Justiz kommen, etwa für Ministerialbeamte. Dagegen haben die Präsidentinnen und Präsidenten aller fünf obersten Bundesgerichte nachdrücklich protestiert; ein Senatsvorsitz ist kein geeigneter Versorgungsposten für den Fall eines Regierungswechsels. Ich bin über diese Initiative ziemlich perplex; eigentlich ist es doch Aufgabe des Bundesministers „der Justiz“, für die Unabhängigkeit und die fachliche Qualität der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte einzustehen.

NJW: Im Zusammenhang mit Konkurrentenstreitigkeiten und dem Beurteilungswesen entflammt auch immer mal wieder die Diskussion über eine Selbstverwaltung der Justiz. Wie ist Ihre Position hierzu?

Rennert: Für Personalfragen liefe das auf ein Kooptationsmodell hinaus, das nach dem Grundgesetz verfassungswidrig wäre. Im Übrigen würde es auch dann dabei bleiben, dass Personalfragen Machtfragen sind. Die politischen Parteien würden dann ihre Einflusssphäre nur in die Richterschaft hinein verlängern, wie man aus anderen Ländern in Europa lernen kann.

Prof. Dr. Dr. h. c. Klaus Rennert begann seine Richterlaufbahn in der ordentlichen Gerichtsbarkeit am LG Offenburg. 1986 wechselte er in die Verwaltungsgerichtsbarkeit und wurde Richter am VG Karlsruhe. Nach Abordnungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das BVerfG und als Referent in das baden-württembergische Staatsministerium wurde er 1994 Richter am VGH Baden-Württemberg. Im September 2003 wurde er Richter am BVerwG, 2011 folgte die Ernennung zum Vorsitzenden Richter. Ab November 2012 war er zunächst Vizepräsident des Gerichts, von Juli 2014 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand Ende Juni dieses Jahres dessen Präsident. Rennert, der 1987 bei Ernst-Wolfgang Böckenförde an der Universität Freiburg promoviert wurde, ist dort seit 2000 Honorarprofessor. 2009 erhielt er die Ehrendoktorwürde von der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg.

Interview: Tobias Freudenberg.