Urteilsanalyse
Betriebsschließungsversicherung bei Schließung wegen Corona-Pandemie
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Versicherungsschutz in der Betriebsschließungsversicherung gegen Schäden infolge Infektionsgefahr besteht nur, wenn die behördlich angeordnete Betriebsschließung wegen einer aus dem einzelnen Betrieb selbst hervorgehenden Infektionsgefahr (sogenannte «intrinsische Gefahr») erfolgt. Generelle Betriebsschließungen durch Allgemeinverfügung wegen der Corona-Pandemie sind daher vom Versicherungsschutz nicht umfasst, entschied das OLG Hamburg.

24. Aug 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 16/2021 vom 12.08.2021

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AVB-BS § 1 Nr. 1, 2; BGB § 307

Sachverhalt

Die Klägerin, die einen Hotel- und Gastronomiebetrieb unterhält, begehrt Leistungen aus einer bei der Beklagten 2016 abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherung im Zusammenhang mit dem Erlass von Allgemeinverfügungen und Verordnungen in der Freien und Hansestadt Hamburg aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos.

Rechtliche Wertung

Nach den AVB bestehe Versicherungsschutz, so das OLG, wenn die Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten den versicherten Betrieb schließt. Gleichgestellt seien Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige. Nach dem reinen Wortlautverständnis lasse dies auch die Auslegung zu, dass Versicherungsschutz bestehe, wenn Betriebe geschlossen werden, um abstrakte Infektionsgefahren zu unterbinden. Aus einem systematischen Vergleich mit den übrigen in § 1 Nr. 1 b) bis e) der AVB geregelten Versicherungsfällen und dem Sinn und Zweck der Regelung werde jedoch erkennbar, dass nur die erstgenannte Möglichkeit einer aus dem Betrieb selbst hervorgehenden Infektionsgefahr (sogenannte «intrinsische Gefahr») gemeint sein könne.

§ 1 Nr. 1 a) 2. Halbsatz der AVB stehe ein Tätigkeitsverbot gegen sämtliche Betriebsangehörige einer Betriebsschließung gleich. Diese Variante setze voraus, dass die Voraussetzungen für ein Tätigkeitsverbot gemäß § 31 IfSG bei sämtlichen Betriebsangehörigen gegeben sind, also sämtliche Betriebsangehörige krank, krankheits- oder ansteckungsverdächtig sind bzw. zu den sogenannten Ausscheidern gehören. Allen Varianten sei gemeinsam, dass eine konkrete, vom Betrieb ausgehende Gefahr der Verbreitung besteht.

Dies gelte auch für die weiteren Versicherungsfälle in § 1 Nr. 1 b) bis e) der AVB: Nach § 1 Nr. 1 b) und c) der AVB sei Entschädigung zu leisten, wenn die Desinfektion der Betriebsräume und -einrichtungen des versicherten Betriebs bzw. die Desinfektion oder Vernichtung von Vorräten und Waren in dem versicherten Betrieb angeordnet wird, weil anzunehmen sei, dass der Betrieb mit meldepflichtigen Krankheitserregern belastet ist. Voraussetzung sei also stets der konkrete Verdacht, dass der Betrieb mit meldepflichtigen Krankheitserregern belastet ist.

Nach § 1 Nr. 1 d) der AVB sei Entschädigung zu leisten, wenn beschäftigten Personen ihre Tätigkeit untersagt wird, weil diese an einer meldepflichtigen Krankheit erkrankt bzw. mit einer solchen infiziert sind o.ä. Diese Bestimmung entspreche im Wesentlichen der Regelung in § 1 Nr. 1 a) 2. Halbsatz der AVB mit dem Unterschied, dass nicht sämtliche, sondern nur einzelne in dem Betrieb beschäftigte Personen betroffen sein müssen. Auch hier sei aber eine konkrete Verbreitungsgefahr, die mit der Beschäftigung in dem Betrieb zusammenhängt, Voraussetzung. Schließlich seien gemäß § 1 Nr. 1 e) Ermittlungs- und Beobachtungsmaßnahmen wegen Krankheit, Krankheits- oder Ansteckungsverdacht versichert.

Allen Varianten sei gemeinsam, dass sie auf eine aus dem Betrieb selbst hervorgehende Gefahr zugeschnitten sind. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer müsse daher verständigerweise erkennen, dass auch bei dem Grundfall in § 1 Nr. 1 a) 1. Halbsatz der AVB nichts anderes gelten könne. Zwar handle es sich jeweils um «eigenständige» Versicherungsfälle, die aber sämtlich unter demselben Obersatz «Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren» stünden und dadurch systematisch zusammengefasst würden.

Zudem ergebe sich aus der Aufzählung in lit. a) bis e) ein abgestuftes Verhältnis in Bezug auf die Intensität der Maßnahmen, nämlich von Ermittlungs- und Beobachtungsmaßnahmen in lit. e) über Tätigkeitsverbote für einzelne Betriebsangehörige in lit. d) und konkrete Desinfektionsmaßnahmen in lit. b) und c) hin zu Tätigkeitsverboten für sämtliche Betriebsangehörige in lit. a) Hs. 2. Wenn aber alle niederschwelligen Maßnahmen eine konkrete vom Betrieb ausgehende Gefahr voraussetzten, sei nach Sinn und Zweck der Regelung nicht erkennbar, weshalb dies bei der schwerwiegendsten Maßnahme, der Betriebsschließung gemäß lit. a) Hs. 1, nicht der Fall sein soll.

Im vorliegenden Fall komme noch hinzu, dass es im Produktinformationsblatt, auf das im Versicherungsschein verwiesen werde, eindeutig heiße: «Die Betriebsschließungsversicherung wegen Infektionsgefahr sichert den Inhaber des Betriebes vor den wirtschaftlichen Folgen einer im Betrieb auftretenden Infektion ab.» (Hervorhebung durch den Verfasser).

Somit sei eine Betriebsschließung durch Allgemeinverfügung von vornherein nicht vom Versicherungsschutz umfasst.

Zudem sei der Hotelbetrieb gar nicht aufgrund behördlicher Anordnung geschlossen worden. Lediglich eine Beherbergung zu touristischen Zwecken und der Betrieb des Hotelrestaurants seien untersagt worden. Der Umstand, dass die Klägerin sich deswegen und wegen des Ausbleibens von Geschäftsreisenden und Messebesuchern selbst zu einer Schließung des gesamten Hotels entschloss, sei mit einer behördlichen Schließungsanordnung nicht gleichzusetzen. Eine bloße Teilschließung sei ebenfalls nicht vom Versicherungsschutz umfasst.

Praxishinweis

Das OLG Hamburg ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Die Auffassung, dass allenfalls Betriebsschließungen wegen intrinsischer Infektionsgefahren versichert seien, wird auch vom OLG Schleswig vertreten (Urteil vom 10.05.2021 - 16 U 25/21, BeckRS 2021, 10599, Besprechung von Günther, FD-VersR 2021, 439431; a.A. OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2021 – 12 U 4/21, BeckRS 2021, 16057, mit abl. Anm. Grams, FD-VersR 2021, 440505; insofern auch, Leistungsansprüche aber im Ergebnis dennoch verneinend, OLG Dresden, Urteil vom 08.06.2021 – 4 U 61/21, BeckRS 2021, 15585).

Auf die in Rechtsprechung und Literatur ebenfalls umstrittene weitere Frage, ob Betriebsschließungen wegen Corona/COVID-19, die in den gängigen AVB in den Katalogen der versicherten Krankheiten bzw. Krankheitserreger nicht aufgeführt sind, vom Versicherungsschutz umfasst sind, kam es konsequenterweise nicht mehr an (vgl. hierzu die Besprechung von Grams zu OLG Koblenz, Urteil vom 28.07.2021 – 10 U 259/21, BeckRS 2021, 20581, in dieser Ausgabe FD-VersR 2021, 441182, sowie die Übersicht von Günther am Ende der Besprechung zu OLG Hamm, Urteil vom 14.07.2021 - 20 U 79/21, BeckRS 2021, 18259, FD-VersR 2021, 440866).

Allerdings hatte derselbe Senat des OLG Hamburg sich zu dieser Frage bereits positioniert, und zwar ebenfalls zu Lasten der Versicherungsnehmerseite (OLG Hamburg, Beschluss vom 19.04.2021 – 9 U 44/212, BeckRS 2021, 12308).

OLG Hamburg, Urteil vom 16.07.2021 - 9 U 25/21 (LG Hamburg), BeckRS 2021, 21090