Urteilsanalyse
Betriebsbedingte Kündigung wegen Fremdvergabe von Aufgaben an konzernangehöriges Drittunternehmen
Urteilsanalyse
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Zur unternehmerischen Freiheit gehört auch das Recht festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an Drittunternehmen vergeben werden sollen. Dies gilt - so das BAG - auch für die Aufgabenverlagerung zwischen Konzernunternehmen.

22. Mai 2023

Anmerkung von
RAin, FAinArbR Anna Gralla, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 19/2022 vom 18.05.2023

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung. Der Kläger war bei der Beklagten, einer deutschen Tochtergesellschaft der M-Inc., seit 2018 beschäftigt, zuletzt im Vertrieb als „Vice President & Country Manager Germany“. Im Vertrieb waren neben dem Kläger noch sechs weitere Mitarbeiter („Sales Directors“) tätig. Der Kläger war das Bindeglied zwischen den Sales Directors und dem „Area Vice President“. Die Beklagte entschied am 11.5.2020, dass zukünftig alle Sales Directors unmittelbar an den Area Vice President berichten und die Aufgaben u.a. des Klägers von Beschäftigten der M-Ltd., einer Schwestergesellschaft der Beklagten, übernommen werden sollen. Mit Schreiben vom selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30.6.2020. Die hiergegen gerichtete Klage war vor dem ArbG und LAG erfolglos.

Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte ebenfalls keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG ist die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Durch die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung, die Stelle eines „Country Managers Germany“ spätestens mit Wirkung zum 1.7.2020 zu streichen und die Aufgaben an ein konzernangehöriges Drittunternehmen zu vergeben, sei das Beschäftigungsbedürfnis für den Kläger entfallen.

Der Arbeitgeber sei grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen. Er sei bis zur Grenze der Willkür nicht gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen. Die Unternehmerentscheidung sei lediglich daraufhin zu überprüfen, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei. Im Prozess habe der Arbeitnehmer diesbezüglich relevante Umstände darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen.

Das LAG habe zutreffend erkannt, dass die unternehmerische Entscheidung nicht offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei. Zur unternehmerischen Freiheit gehöre auch das Recht festzulegen, ob bestimmte Arbeiten weiter im eigenen Betrieb ausgeführt oder an Drittunternehmen vergeben werden. Ob durch die Beauftragung des Drittunternehmens tatsächlich Kosten gespart würden, sei grundsätzlich irrelevant. Dies gelte auch für die Aufgabenverlagerung zwischen Konzernunternehmen. Da die M-Ltd. kein finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch von der Beklagten abhängiges (Tochter-)Unternehmen sei, sei die Entscheidung des Senats vom 26.9.2002 (BeckRS 2003, 40480) nicht einschlägig. Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Überforderung des im Betrieb verbleibenden Personals durch die geänderte Vertriebsstruktur seien nicht ersichtlich. Der Kläger habe auch keine Tatsachen vorgetragen, wonach die unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand genutzt würde, um ihn aus dem Betrieb zu drängen. Neben dem Kläger hätten auch weitere Mitarbeiter der Beklagten ihren Arbeitsplatz infolge der geänderten Vertriebsstruktur verloren.

Praxishinweis

Der 2. Senat führt seine Rspr. zur Fremdvergabe von Aufgaben überzeugend fort und stellt fest, dass es grundsätzlich keinen Unterschied macht, ob das Drittunternehmen ein Konzernunternehmen ist oder nicht. Wichtig ist, dass die Aufgaben zur selbstständigen Erledigung übertragen werden. Anderenfalls liegt eine unzulässige Austauschkündigung vor (BAG, BeckRS 2005, 41634). Der Kläger hatte sich im vorliegenden Verfahren auf anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten sowie die Fehlerhaftigkeit einer etwaigen Sozialauswahl nicht berufen. Gerade diese beiden Punkte führen in der Praxis häufig dazu, dass die Kündigung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhält. Insbesondere in großen Unternehmen wird es regelmäßig freie Stellen geben, die dem betroffenen Arbeitnehmer zumindest nach einer kurzen Einarbeitungszeit übertragen werden könnten. Kommt eine Weiterbeschäftigung zu schlechteren Arbeitsbedingungen in Betracht, greift der Vorrang der Änderungskündigung.

BAG, Urteil vom 28.02.2023 - 2 AZR 227/22 (LAG München), BeckRS 2023, 7747