Urteilsanalyse
Betriebliche Altersversorgung – Bezugnahme auf gesetzliche Regelungen zur Erwerbsminderung
Urteilsanalyse
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Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Versorgungszusage, die einen Anspruch auf betriebliche Invaliditätsversorgung bei Eintritt einer „voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts“ vorsieht, nimmt - so das BAG - damit nur die materiellen Regelungen von § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung bzw. § 43 II SGB VI in der seit dem 01.01.2001 geltenden Fassung in Bezug, nicht jedoch Regelungen der §§ 99 ff. SGB VI über die Frage der befristeten oder unbefristeten Bewilligung einer Rente u.a. wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. nunmehr völliger Erwerbsminderung.

23. Sep 2021

Anmerkung von
RA Dr. Matthias Böglmüller, Gleiss Lutz, München

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 37/2021 vom 16.09.2021

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf betriebliche Invaliditätsversorgung. Die Beklagte erteilte dem Kläger eine Versorgungszusage, die u.a. eine Invaliditätsversorgung umfasst. Danach erhält der Kläger „bei Eintritt einer voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts lebenslänglich, längstens jedoch für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit eine monatliche Invalidenrente.“ Die DRV Nord bewilligte dem Kläger rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diese wurde zunächst befristet gewährt, weil es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne. Mit Rentenbescheid wurde die Rente wegen voller Erwerbsminderung schließlich zu einem späteren Zeitpunkt als Dauerrente weiter gewährt. Mit seiner Klage macht der Kläger gegen die Beklagte eine betriebliche Invalidenrente geltend. Die Beklagte ist der Ansicht, die Voraussetzungen für eine Invaliditätsrente nach der Versorgungszusage lägen nicht vor, da die Rente zunächst wegen voller Erwerbsminderung nach § 102 II 1 SGB VI nur befristet bewilligt worden sei.

Entscheidung

Die Revision der Beklagten blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Der Kläger habe einen Anspruch auf eine betriebliche Invalidenrente, da er die Voraussetzungen für deren Gewährung nach der Versorgungszusage des Arbeitgebers erfülle. Der Bescheid über die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung belege, dass beim Kläger eine voraussichtlich dauernde völlige Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts vorliegt. Die Versorgungszusage enthalte Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd § 305 I BGB, die nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn so auszulegen seien, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern verstanden werden. Bei der Auslegung der Begriffe der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit in Versorgungs-bestimmungen sei regelmäßig von einer Kopplung an das Sozialversicherungsrecht auszugehen. Die Versorgungszusage beziehe sich mit der Wendung „völlige Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts“ auch ausdrücklich auf die entsprechenden Begrifflichkeiten. Es handele sich dabei um eine dynamische Bezugnahme. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 II SGB VI nF entspreche nach Voraussetzungen und Inhalt der früheren Erwerbsunfähigkeitsrente. Nach § 44 SGB VI aF war erwerbsunfähig, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande war, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Das SGB VI setze also in beiden Fassungen voraus, dass der Versicherte „auf nicht absehbare Zeit“ und damit „voraussichtlich dauernd“ erwerbsunfähig bzw. völlig erwerbsgemindert ist. Für die Definition des Versorgungsfalls nach der vorliegenden Versorgungszusage komme es also nicht darauf an, ob die gesetzliche Erwerbsminderungsrente befristet oder unbefristet gewährt wird. Die Versorgungszusage der Beklagten beziehe sich lediglich die materiellen Voraussetzungen der genannten Vorschriften. Nicht in Bezug genommen seien die gesetzlichen Vorschriften zur Befristung einer Erwerbsminderungsrente. Diese Vorschriften treffen keine Regelung zum Begriff der dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts, auf den sich Versorgungszusage ausschließlich bezieht.

Praxishinweis

Das Urteil verdeutlicht, dass konkrete Formulierungen in Versorgungszusagen, insbesondere Verweise auf gesetzliche Vorschriften, gut überlegt sein müssen. Vorliegend bestätigt das BAG zudem auch einen Anspruch des Klägers auf Invalidenversorgung vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Versorgungszusage sah nämlich nicht vor, dass ein Anspruch auf Versorgungsleistungen erst ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehen sollte. Da dies nicht ausdrücklich in der Versorgungszusage geregelt war, erhielt der Kläger Versorgungsleistungen neben der vertragsmäßigen Vergütung aus dem Arbeitsvertrag.

BAG, Urteil vom 13.07.2021 - 3 AZR 445/20 (LAG Schleswig-Holstein), BeckRS 2021, 23208