Urteilsanalyse
Bestimmtheit der Anordnung einer Maskenpflicht auf Wochenmärkten
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Die bußgeldbewehrte Masken-Pflicht auf Wochenmärkten betraf nur das Verkaufspersonal, Kunden und deren Begleiter. Als Kunde ist eine Person laut BayObLG anzusehen, wenn sie entweder in konkrete Kaufverhandlungen eintritt oder sich wenigstens auf dem Wochenmarkt in der Absicht aufhält, Waren zu erwerben. Lässt sich den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen, ob der Betroffene diese vorausgesetzte Tätereigenschaft erfüllt, kann das Urteil keinen Bestand haben.

20. Aug 2021

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Thomas C. Knierim, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz 

Aus beck-fachdienst Strafrecht 17/2021 vom 19.08.2021

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Sachverhalt

Die Betroffene (B) hielt sich am 8.9.2020 gegen 12:05 Uhr an einem Gemüsestand auf dem Wochenmarkt in O. auf. Die B trug keine Mund-Nasen-Bedeckung, unterhielt sich beim Eintreffen des Beamten des Ordnungsamtes mit dem Standbetreiber, der sich außerhalb des Verkaufswagens befand. Sie wusste um die Pflicht zur Tragung einer Mund-Nasen-Bedeckung auf dem Wochenmarkt, weil sie bereits eine Woche zuvor von einem Beamten des Ordnungsamtes darauf hingewiesen worden war. Nach Abschluss der Beweisaufnahme über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid verurteilte das AG die B am 4.3.2021 wegen einer „vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die 6. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 19.06.2020 i.V.m. der Verordnung zur Änderung der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 14.07.2020“ zu einer Geldbuße in Höhe von 500 EUR. Dagegen legte die B Rechtsbeschwerde ein.

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

Der Senat hob die Verurteilung auf, weil ein Verstoß gegen die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf dem Wochenmarkt nach § 22 Nr. 4 i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) vom 19.6.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 348) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 14.7.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 403) nicht belegt sei. Aus dem Urteil ergebe sich nicht, ob die B die von der Bußgeldvorschrift vorausgesetzte Tätereigenschaft aufgewiesen habe.

Die nach § 22 Nr. 4 BayIfSMV bußgeldbewehrte Verpflichtung zur Tragung einer Maske auf Wochenmärkten nach § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV habe nicht etwa jedermann betroffen, der sich auf dem Wochenmarkt aufgehalten oder diesen passiert habe. Vielmehr sei die Maskenpflicht ausdrücklich beschränkt auf das Verkaufspersonal, die Kunden und ihre Begleitpersonen gewesen.

Dass die B, bei der sich mangels gegenteiliger Feststellungen noch ableiten lasse, dass sie nicht zum Verkaufspersonal gehört oder sich als Kundin oder als Begleitperson eines Kunden auf dem Wochenmarkt aufgehalten habe, könne den Urteilsgründen indes nicht entnommen werden. Als Kunde sei eine Person dann anzusehen, wenn sie entweder in konkrete Kaufverhandlungen eintrete oder sich wenigstens auf dem Wochenmarkt in der Absicht aufhalte, dort Waren zu erwerben. Der bloße Umstand, dass die B sich mit einem Standbetreiber auf dem Marktplatz unterhalten habe, lasse auch bei lebensnaher Betrachtung nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass sie Kundin oder Begleiterin eines Kunden in dem genannten Sinne gewesen sei. Dies gelte umso mehr, als sie sich nach den Urteilsfeststellungen mit dem Standbetreiber, der sich zudem außerhalb des Verkaufsstandes befunden habe, lediglich unterhalten habe.

Auch wenn es unter Berücksichtigung des Zwecks der Infektionsschutzvorschriften im Einzelfall möglicherweise keinen Unterschied mache, ob sich eine Person als Kunde oder als Passant oder gar nur zum Zeitvertreib auf einem Wochenmarkt aufhalte, könne sich die Rechtsprechung schon wegen des aus dem Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) resultierenden Analogieverbots über die ausdrückliche Einschränkung des Täterkreises in § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV nicht hinwegsetzen.

Praxishinweis

Begrüßenswert ist die Beschränkung der Entscheidung angesichts der erheblichen Sanktionen für „Maskenmuffel“ auf öffentlichen Plätzen. Zutreffend wird erlaubtes von verbotenem Verhalten am Wortlaut der Norm gemessen, wobei das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG herangezogen wird, während der Normtext selbst keiner eigenständigen Prüfung unterzogen wird.

Gleichwohl zeigt die Entscheidung die Schwierigkeiten der Praxis mit den sehr weit gefassten Verbotstatbeständen der BayIfSMV und anderer Infektionsschutzverordnungen auf, die häufig Gegenstand von obergerichtlichen Entscheidungen sind. Eine zwar auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht prinzipiell zulässige und unter Umständen sogar gebotene Auslegung verstößt gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG, wenn der mögliche Wortsinn der Vorschriften überschritten wird (vgl. nur BVerfG BeckRS 2008, 39082; BGH BeckRS 2017, 138165). Nur so kann ein vorwerfbares Verhalten von einem ähnlichen, aber nicht vorwerfbaren Verhalten abgegrenzt werden. Dass aufgrund der Beachtung des Wortsinns als Grenze der Gesetzesinterpretation gegebenenfalls Ahndungslücken entstehen, muss hingenommen werden. Das BayObLG unterschied so bereits zwischen dem nicht erfassten „Verweilen im öffentlichen Raum“ und dem „Verlassen einer Wohnung ohne triftigen Grund“ (BayObLG BeckRS 2021, 17522). In der vorliegenden Entscheidung wird deshalb auch zutreffend unterschieden zwischen dem „Aufenthalt als Verkaufspersonal oder Kunde“ und dem „Aufenthalt als sonstiger Passant“. 

BayObLG, Beschluss vom 15.07.2021 - 202 ObOWi 756/21, BeckRS 2021, 21206