Anmerkung von Rechtsanwalt David Püschel, Ignor & Partner GbR, Frankfurt a. M.
Aus beck-fachdienst Strafrecht 22/2022 vom 03.11.2022
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Sachverhalt
Der B ist Angehöriger der Bundeswehr. Das AG erließ am 21.6.2022 gegen B einen Strafbefehl wegen Volksverhetzung in zwei tatmehrheitlichen Fällen. Dem Strafbefehl lagen zwei Beiträge des B in seinem öffentlich einsehbaren Facebook Account zugrunde. U.a. habe B als Profilbild ein Bild von sich mit seiner Frau, der Aufschrift „Masken weg für ALLE!“ und einem gelben Stern mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ benutzt. Gegen den Strafbefehl legte B rechtzeitig Einspruch ein. Mit Schreiben vom 13.06.2022 erbat die Wehrdisziplinaranwaltschaft zur Durchführung von disziplinarischen Ermittlungen Einsicht in die Strafakte. Am 25.8.2022 fand ein Termin zur Hauptverhandlung vor dem AG statt. Der Verteidiger (V) beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Das AG lehnte im Termin nach Anhörung der StA den Antrag, V als Pflichtverteidiger beizuordnen, durch Beschluss ab.
Mit Schreiben vom 26.8.2022 legte B über V Beschwerde gegen den Beschluss vom 25.8.2022 ein. Zur Begründung wurde angeführt, die Rechtslage sei als schwierig zu beurteilen, da nicht abschließend geklärt sei, ob die dem Strafbefehl zugrunde liegende Verhaltensweise als Volksverhetzung strafbar sei. Eine abschließende Entscheidung zu dieser Frage läge weder vom BGH noch vom BVerfG vor. Eine einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung sei bislang nicht feststellbar. Daneben sei auch die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge gegeben. Darunter fielen auch sonstige schwerwiegende Nachteile, die der B infolge der Verurteilung zu gewärtigen habe. Der B sei derzeit noch Zeitsoldat bei der Bundeswehr, das Dienstverhältnis werde in der 35. Kalenderwoche 2022 beendet sein. Aufgrund soldatenversorgungsrechtlicher Bestimmungen habe der B grundsätzlich Anspruch auf Übergangsgebührnisse für die Dauer von fünf Jahren nach Ausscheiden aus der Bundeswehr. Das AG verfügte am 29.8.2022 die Vorlage an das Beschwerdegericht.
Entscheidung
Die sofortige Beschwerde sei zulässig. Gegen den Beschluss des AG sei gemäß § 142 Abs. 7 S. 1 StPO die sofortige Beschwerde statthaft. Die Bezeichnung als „Beschwerde“ sei unschädlich wegen § 300 StPO.
Die sofortige Beschwerde sei auch begründet. Aus Sicht der Kammer liege ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO vor. Es bestehe wohl schon eine schwierige Rechtslage. Eine solche liege unter anderem vor, wenn bei Anwendung materiellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt bislang nicht ausgetragene Rechtsfragen entschieden werden müssen. Jedenfalls im Hinblick auf das Profilbild, auf dem der gelbe Stern mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ abgebildet war, lägen mit den verteidigerseits zitierten Urteilen des BayObLG und des OLG Saarbrücken aktuelle, divergierende Entscheidungen hinsichtlich der Strafbarkeit als Volksverhetzung nach § 130 StGB vor, ohne dass bislang der BGH dazu entschieden habe. Jedenfalls die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen begründe im hiesigen Fall jedoch die Notwendigkeit der Verteidigung. Es liege auf der Hand, dass B möglicherweise aufgrund des Strafverfahrens schwerwiegende andere Nachteile, namentlich die Kürzung oder der Wegfall der Übergangsgebührnisse drohen.
Praxishinweis
Solange der BGH nicht über die Strafbarkeit der Fälschung von Impfausweisen entschieden hat, lässt sich hiesige Argumentation aufgrund des „Flickenteppichs“ der OLG-Rechtsprechung auch in den dortigen Fällen geltend machen. Zumal es Fallkonstellationen geben dürfte, bei denen sowohl ein gefälschter Impfausweis als auch der gelbe Stern im Zusammenhang mit dem Impfstatus eine Rolle spielen. In diesen Fällen bewirkt die Argumentation – um im aktuellen Sprachgebrauch zu bleiben – dann einen „Doppelwumms“ für die Bestellung eines Pflichtverteidigers.
LG Regensburg, Beschluss vom 09.09.2022 - 5 Qs 157/22 (AG Cham), BeckRS 2022, 27768