Urteilsanalyse
Besorgnis der Befangenheit eines Ermittlungsrichters aufgrund unsachgemäßer Äußerungen im Vorfeld eines Vorführungstermins
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Auch ein Ermittlungsrichter kann nach einem Beschluss des AG Ingolstadt vom 10.02.2020 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

3. Aug 2020

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Nicolas Böhm, Ignor & Partner GbR, Berlin und Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Strafrecht 14/2020 vom 23.07.2020

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Sachverhalt

Durch den Richter am Amtsgericht (RiAG) wurde gegen den des Totschlags in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen verdächtigen Beschuldigten (B) ein Haftbefehl erlassen und in Vollzug gesetzt. Auf die erfolgreiche Beschwerde des B hin setze das LG den Haftbefehl außer Vollzug und änderte den Tatvorwurf auf fahrlässige Tötung in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen ab, woraufhin B aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Gegen diese Entscheidung reichte die StA Beschwerde beim OLG ein, welches den Haftbefehl wieder in Vollzug setzte, sodass B daraufhin festgenommen und am selben Tag erneut dem RiAG vorgeführt werden sollte. Zur Abstimmung dieses Vorführungstermins gab es ein Telefongespräch zwischen dem RiAG und dem Verteidiger des B, in welchem der RiAG sinngemäß äußerte, dass der Haftbefehl ohnehin vollzogen werde. Daraufhin beantragte der Verteidiger die Ablehnung des RiAG wegen Besorgnis der Befangenheit und führte aus, der Erlass des Haftbefehls sei sachfremd und diskriminierend. Ferner ergebe sich die Voreingenommenheit des RiAG bereits aus der vor der Haftvorführung getätigten telefonischen Äußerung. In seiner dienstlichen Stellungnahme zu dem Befangenheitsantrag erklärte der RiAG: „Es trifft zwar zu, dass ich telefonisch mitgeteilt habe, dass der Haftbefehl wohl aufrechterhalten und vollstreckt werden wird. Dies vor dem Hintergrund, dass auf Beschwerde der StA der vom LG außer Vollzug gesetzte Haftbefehl durch das OLG am 20.1.2020 wieder in Vollzug gesetzt wurde. Es wäre vom Gerechtigkeitssinn her bizarr, würde der Amtsrichter, nachdem das Verfahren über drei Instanzen hinweg entschieden worden ist, nun mittels eines Federstrichs den Haftbefehl wiederum aufheben oder die vom OLG bejahte Fluchtgefahr verneinen, obwohl sich die Sachlage nicht geändert hat. Insofern erschien es mir zum Zeitpunkt des Telefonates sehr unwahrscheinlich zu sein, dass entgegen der Tatsache, dass ich ursprünglich ohnehin den Haftbefehl erlassen und in Vollzug gesetzt habe, nach einer Entscheidung des OLG nun plötzlich nicht mehr vom Vorliegen von Haftgründen ausgehen würde. Die Benachrichtigung der Verteidigung erfolgte nach meiner Information durch die Familie des Beschuldigten bereits in den Morgenstunden nach Angaben der StA. Ich hätte selbst ohne Akte auch die Verteidigung nicht selbst benachrichtigen können. Auf Betreiben der Verteidigung habe ich den Termin dann auch noch von 13.15 auf 14.30 Uhr verlegt. Abgesehen davon, dass rechtlich fraglich ist, ob auch im vorbereitenden Verfahren der Ermittlungsrichter bereits abgelehnt werden kann, so musste jedenfalls die Eilentscheidung angesichts der eilig durchzuführenden Vorführung entschieden werden, weil das Prozedere (dienstliche Stellungnahmen, rechtliches Gehör bezüglich letzterer durch die Verteidigung und Entscheidung durch den für die Entscheidung über einen Befangenheitsantrag zuständige Richterin) länger gedauert hätte, als für die Vorführung Zeit gewesen ist. Zudem ist eine Haftvorführung besonders eilig durchzuführen.“

Entscheidung

Nach Ansicht des AG kann das Ablehnungsgesuch auch gegen einen Ermittlungsrichter eingelegt werden. Darüber hinaus sei es ebenso begründet. Eine Besorgnis der Befangenheit liege nach allgemeiner Auffassung vor, wenn aus Sicht eines vernünftigen Ablehnungsberechtigten Zweifel an der richterlichen Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit bestünden. Nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts wäre die Befangenheit ein innerer Zustand des Richters, welcher seine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, seine Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten beeinträchtigen könne. Ob die Befangenheit tatsächlich vorliege, sei ebenso unerheblich wie die Frage der Ernstlichkeit ihrer Besorgnis beim Ablehnenden. Es genüge der Anschein der Befangenheit. Bei verbleibenden Zweifeln müsse zuungunsten des abgelehnten Richters entschieden werden. Die Besorgnis der Befangenheit sei daher vorliegend gegeben, da aufgrund der vor der Haftvorführung getätigten Äußerung des R der Eindruck entstanden sei, dass er seine Entscheidung bereits vor der Vernehmung des Beschuldigten getroffen habe.

Praxishinweis

Die Richterbank von Richtern freizuhalten, die dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt und den daran Beteiligten nicht mit der erforderlichen Distanz und Neutralität eines Unbeteiligten und deshalb am Verfahrensausgang uninteressierten „Dritten“ gegenüberstehen, ist für den justizförmigen Ablauf des Strafverfahrens und das Vertrauen in den Rechtsstaat elementar (KK-StPO-Fischer, Einl. Rn. 93; BVerfG, BeckRS 9998, 111115). Dass in praxi Befangenheitsanträge ausgesprochen restriktiv gehandhabt werden und eine Ablehnung meist nur bei eindeutiger Voreingenommenheit des Richters Erfolg hat, stellt daher einen fragwürdigen Rechtszustand dar (Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 8 Rn. 8; Krug, FD-StrafR 2016, 376457). Umso bemerkenswerter ist die vorliegende Entscheidung des AG, die uneingeschränkt Zustimmung verdient. Zu Recht wird zunächst betont, dass insbesondere auch ein Ermittlungsrichter, der zur Vornahme erheblicher Grundrechtseingriffe befugt ist, sich neutral gegenüber den Verfahrensbeteiligten zu verhalten hat und demzufolge wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann. Freilich ist der Maßstab hierfür nicht subjektiv, sondern aus Sicht eines „vernünftigen“ bzw. „verständigen“ Beschuldigten zu bestimmen (BGH, BeckRS 2014, 14207). Aber auch danach durfte B bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme haben, der RiAG nehme eine innere Haltung ein, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann: Durch die Aussagen im Rahmen des Telefongesprächs musste sich der Eindruck aufdrängen, dass die Entscheidung über die Untersuchungshaft bereits vor der Vernehmung des B feststand. Der RiAG war sonach wegen Besorgnis der Befangenheit von der Mitwirkung im Verfahren abzulehnen. Damit steht er einem ausgeschlossenen Richter gleich (§ 338 Nr. 3 StPO) und hat sich jeder weiteren Tätigkeit in dem Verfahren, und zwar ohne Rücksicht auf die Dringlichkeit (§ 29 StPO), zukünftig zu enthalten (OLG Koblenz NStZ 1983, 471; KK-StPO-Scheuten, § 27 Rn. 16).
AG Ingolstadt, Beschluss vom 10.02.2020 - 1 Gs 2523/19, BeckRS 2020, 8829