Anmerkung von
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht, Björn Krug, LL.M. (Wirtschaftsstrafrecht), Ignor & Partner GbR, Frankfurt a.M. und Berlin
Aus beck-fachdienst Strafrecht 04/2021 vom 18.02.2021
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Sachverhalt
Am letzten Sitzungstag vor Weihnachten, dem 18.12.2020, verteilten die Schöffinnen E und H an die Ergänzungsschöffen sowie die Protokollführerin vor Beginn der Sitzung im Verhandlungsaal im LG Flensburg jeweils einen Schokoladenweihnachtsmann. Die H übergab zudem einen Schokoladenweihnachtsmann an der Sitzungsvertreter der StA. Die Berufsrichter haben diese Übergaben nicht beobachtet. In einer späteren Verhandlungspause übergab die Schöffin E ebenfalls einen Schokoladenweihnachtsmann an den Sitzungsvertreter der StA. Auch diese Übergabe beobachteten die Berufsrichter nicht. Weder die Angeklagten noch deren Verteidiger erhielten einen Schokoladenweihnachtsmann. Ein Richter sah zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt nach der Verteilung Schokoladenweihnachtsmänner im Sitzungssaal stehen, ohne jedoch - wie ausgeführt - beobachtet zu haben, auf welche Weise diese dorthin gelangt waren.
Daraufhin beantragten die Angeklagten die Ablehnung der beiden Schöffinnen sowie des Vorsitzenden Richters und weiterer Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit.
Entscheidung
Die zulässigen Ablehnungsanträge haben zum Teil Erfolg.
Die Ablehnung der Schöffinnen durch die Angeklagten wegen der Besorgnis der Befangenheit sei begründet. Von einer Besorgnis der Befangenheit könne ausgegangen werden, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhaltes Grund zu der Annahme habe, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnehme, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne. Allein auf den Standpunkt des Ablehnenden komme es an; ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen sei oder sich dafür halte, sei unerheblich.
Die Übergabe von Schokoladenweihnachtsmännern seitens der Schöffinnen an den Sitzungsvertreter der StA, jedoch nicht an die Angeklagten und ihre Verteidiger, sei geeignet, bei diesen den Eindruck zu erwecken, dass die Schöffinnen dem Sitzungsvertreter der StA eher gewogen seien als ihnen selbst. Dabei habe die Kammer berücksichtigt, dass die Übergabe von kleinen Süßigkeiten zur Weihnachtszeit durchaus ein sozialadäquates Verhalten mit mäßigem Erklärungswert hinsichtlich persönlicher Zuneigung darstelle. Es handele sich aber auch nicht um einen vollkommen neutralen Vorgang. Unabhängig davon, dass die Verteilung von Süßigkeiten in einem Strafverfahren generell unangemessen sei, drücke dies doch eine gewisse Wertschätzung aus, die den Angeklagten und ihren Verteidigern eben nicht zuteil geworden sei.
Die Ablehnung der Berufsrichter sei hingegen unbegründet. Sie hätten kein Verhalten gezeigt, das auf eine den Angeklagten ablehnend gegenüberstehende innere Haltung hinweisen könnte. Die Schöffinnen hätten in ihren dienstlichen Stellungnahmen ausgeführt, dass bei der Übergabe der Schokoladenweihnachtsmänner an den Sitzungsvertreter der StA - und allein diese begründe die Besorgnis der Befangenheit, da die Übergabe von Süßigkeiten innerhalb des eigenen Spruchkörpers unbedenklich sei - außer ihnen und diesem keine sonstigen Personen anwesend gewesen seien. Die dienstlichen Stellungnahmen der Berufsrichter bestätigten diese Angaben.
Eine „dienstliche Stellungnahme“ des Sitzungsvertreters der StA sei nicht einzuholen gewesen. Zum einen seien dienstliche Stellungnahmen gemäß § 26 Abs. 3 StPO nur von den abgelehnten Richtern einzuholen. Zum anderen habe der Ablehnende die Tatsachen, auf die er sein Ablehnungsgesuch stütze, selbst glaubhaft zu machen. Vorliegend sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund es nicht möglich gewesen sein könnte, vom Sitzungsvertreter der StA ein Zeugnis einzuholen. Im Übrigen stehe schon aufgrund der vorliegenden dienstlichen Stellungnahmen fest, dass er von beiden Schöffinnen eine weihnachtliche Süßigkeit erhalten habe und dass derweil die Berufsrichter nicht zugegen gewesen seien.
Praxishinweis
Erfolgreiche Befangenheitsrügen sind in der Praxis selten (zu Beispielen vgl. nur KK-StPO/Scheuten, § 24 Rn. 12 ff. m.w.N.). Schöffen bieten hierzu – neben allzu forschen Berufsrichtern – gern deswegen einen Anlass, weil ihnen die Regelungen und die daraus folgende Notwendigkeit weitestgehender Neutralität oft nicht bewusst sind. Und so wird, wie im vorliegenden Fall, aus einer sicher nett gemeinten Geste der Anlass, ein Verfahren „platzen“ zu lassen. Ob nun der Umstand, dass die Angeklagten und deren Verteidiger keine Schokoladenweihnachtsmänner erhalten haben, eher ein die Besorgnis der Befangenheit begründender Aspekt ist, als inhaltliche Missgriffe (vgl. etwa MüKo-StPO/Conen/Tsambikakis, § 24 Rn. 42 m.w.N.), mag dahinstehen. Mit Blick auf das anstehende Osterfest, zu dem das Verteilen von Schokoladenostereiern und -osterhasen ebenfalls nicht ganz fernliegend ist, empfiehlt sich für Richter jedenfalls: „alle oder keiner“.
LG Flensburg, Beschluss vom 20.01.2021 - V KLs 2/19, BeckRS 2021, 602