Urteilsanalyse

Be­sei­ti­gung der Ver­stri­ckung einer ge­pfän­de­ten For­de­rung im In­sol­venz­ver­fah­ren
Urteilsanalyse
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Die Ver­stri­ckung einer ge­pfän­de­ten For­de­rung kann nach einem Ur­teil des BGH wäh­rend eines In­sol­venz­ver­fah­rens da­durch be­sei­tigt wer­den, dass das In­sol­venz­ge­richt als Voll­stre­ckungs­ge­richt die Voll­zie­hung des Pfän­dungs- und Über­wei­sungs­be­schlus­ses bis zur Auf­he­bung des In­sol­venz­ver­fah­rens aus­setzt, ohne die Pfän­dung ins­ge­samt auf­zu­he­ben (Ab­gren­zung von BGH, BeckRS 2016, 811).

16. Apr 2021

An­mer­kung von

Rechts­an­wäl­tin Dr. Elske Fehl-Wei­le­der, Fach­an­wäl­tin für In­sol­venz­recht, Schult­ze & Braun Rechts­an­walts­ge­sell­schaft für In­sol­venz­ver­wal­tung mbH

Aus beck-fach­dienst In­sol­venz­recht 08/2021 vom 15.04.2021

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Auf dem P-Konto des In­sol­venz­schuld­ners las­te­te bei In­sol­ven­zer­öff­nung be­reits eine Pfän­dung, die au­ßer­halb des an­fech­tungs­re­le­van­ten Zeit­raums der §§ 130, 131 InsO zu­ge­stellt wor­den war. Der In­sol­venz­ver­wal­ter hat die Auf­he­bung des Pfän­dungs- und Über­wei­sungs­be­schlus­ses be­an­tragt, wor­auf­hin das In­sol­venz­ge­richt den Pfän­dungs- und Über­wei­sungs­be­schluss auf­ge­ho­ben und die auf sei­ner Grund­la­ge er­folg­te Pfän­dung für un­zu­läs­sig er­klärt hat. Der Pfän­dungs­gläu­bi­ger hat gegen die Auf­he­bung der Pfän­dung so­for­ti­ge Be­schwer­de ein­ge­legt. Das Be­schwer­de­ge­richt hat den Be­schluss des In­sol­venz­ge­richts da­hin­ge­hend ab­ge­än­dert, dass der Pfän­dungs- und Über­wei­sungs­be­schluss nicht auf­ge­ho­ben, son­dern le­dig­lich seine Voll­zie­hung ein­schlie­ß­lich der Ver­stri­ckung bis zur Auf­he­bung des In­sol­venz­ver­fah­rens aus­ge­setzt wird. Gegen diese Ent­schei­dung des Be­schwer­de­ge­richts hat der In­sol­venz­ver­wal­ter Rechts­be­schwer­de ein­ge­legt und wei­ter die Auf­he­bung des Pfän­dungs- und Über­wei­sungs­be­schlus­ses ver­langt.

Ent­schei­dung

Die Rechts­be­schwer­de hatte kei­nen Er­folg.

Das Be­schwer­de­ge­richt hatte es für aus­rei­chend ge­hal­ten, die Ver­stri­ckung des Kon­to­gut­ha­bens durch Aus­set­zung der Voll­zie­hung des Pfän­dung- und Über­wei­sungs­be­schlus­ses zu be­sei­ti­gen, ohne die Pfän­dung ins­ge­samt auf­zu­he­ben. Zah­lungs­ein­gän­ge seit Er­öff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens seien durch § 89 Abs. 1 InsO gegen Voll­stre­ckung ge­schützt. Eine voll­stän­di­ge Auf­he­bung der Pfän­dung würde den Gläu­bi­ger nach Auf­he­bung des Ver­fah­rens um sei­nen Rang­vor­teil brin­gen und sei nicht not­wen­dig. Die­ser Auf­fas­sung stehe die Recht­spre­chung des Sieb­ten Zi­vil­se­nats (BGH Be­schl. v. 2.12.2015 – VII ZB 42/14) nicht ent­ge­gen. Zwar habe der BGH darin ent­schie­den, dass die Mög­lich­kei­ten zur Auf­he­bung oder Ein­stel­lung der Zwangs­voll­stre­ckung in der ZPO ab­schlie­ßend ge­re­gelt seien. Die dor­ti­ge Ent­schei­dung habe je­doch nur die feh­len­de Dis­po­si­ti­ons­be­fug­nis des Voll­stre­ckungs­gläu­bi­gers be­trof­fen und sei daher im vor­lie­gen­den Fall nicht ein­schlä­gig.

Der BGH hat sich die­ser An­sicht an­ge­schlos­sen. Er zi­tiert zwei Ur­tei­le des Neun­ten Zi­vil­se­nats aus den Jah­ren 2011 und 2017 (BGH IX ZR 40/17 und BGH IX ZB 217/08), denen zu­fol­ge die öf­fent­lich-recht­li­che Ver­stri­ckung grund­sätz­lich bis zu ihrer förm­li­chen Auf­he­bung an­daue­re, wäh­rend des In­sol­venz­ver­fah­rens aber be­sei­tigt wer­den könne, indem das zu­stän­di­ge Voll­stre­ckungs­or­gan die Voll­zie­hung der Pfän­dung bis zur Auf­he­bung des In­sol­venz­ver­fah­rens aus­set­ze, ohne dass eine Auf­he­bung der Pfän­dung er­for­der­lich sei. Da­durch solle si­cher­ge­stellt wer­den, dass die durch Art. 14 Abs. 1 GG ge­schütz­te Rechts­po­si­ti­on des Pfän­dungs­gläu­bi­gers mög­lichst um­fas­send ge­schützt werde, indem eine Rang­wah­rung er­folgt.  

Diese Recht­spre­chung sei in der Li­te­ra­tur und der in­stanz­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung in Zwei­fel ge­zo­gen wor­den, da die Zi­vil­pro­zess­ord­nung eine Aus­set­zung der Voll­zie­hung nicht vor­se­he. Diese An­sicht be­ru­fe sich auf einen Be­schluss des Sieb­ten Zi­vil­se­nats aus dem Jahr 2015 (VII ZB 42/14) der zu­fol­ge es nicht zu­läs­sig sein soll, die Rechts­wir­kung eines Pfän­dungs- und Über­wei­sungs­be­schlus­ses so ein­zu­schrän­ken, dass le­dig­lich der Rang ge­wahrt werde, die Pfän­dungs­wir­kun­gen im Üb­ri­gen aber vor­läu­fig ent­fie­len. Für einen einst­wei­li­gen Ver­zicht auf die Wir­kun­gen des Pfand­rechts ohne eine Auf­he­bung der Pfän­dung sehe der Sieb­te Zi­vil­se­nat keine ge­setz­li­che Grund­la­ge und lehne die­ses daher unter Hin­weis dar­auf, dass die in der ZPO vor­ge­se­he­nen Mög­lich­kei­ten der Be­schrän­kung oder Ein­stel­lung der Zwangs­voll­stre­ckung im streng for­ma­li­sier­ten Zwangs­voll­stre­ckungs­ver­fah­ren als ab­schlie­ßend an­ge­se­hen wer­den müss­ten, ab.

Der Neun­te Zi­vil­se­nat sieht kei­nen Wi­der­spruch zwi­schen den zi­tier­ten Ent­schei­dun­gen des Neun­ten Se­nats und der des Sieb­ten Se­nats, denn in dem vom Sieb­ten Zi­vil­se­nat ent­schie­de­nen Fall sei es nur um die Um­set­zung einer voll­stre­ckungs­be­schrän­ken­den Ver­ein­ba­rung ge­gan­gen. Der Voll­stre­ckungs­gläu­bi­ger und der Voll­stre­ckungs­schuld­ner hät­ten sich im Zuge einer Ra­ten­zah­lungs­ver­ein­ba­rung dar­auf ge­ei­nigt, dass der Voll­stre­ckungs­schuld­ner bei Ein­hal­tung der­sel­ben über das ge­pfän­de­te Kon­to­gut­ha­ben frei ver­fü­gen kön­nen soll­te. Eine sol­che Ver­ein­ba­rung sei zu un­ter­schei­den von den Wir­kun­gen der Er­öff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens.

Zwar habe sich der Neun­te Zi­vil­se­nat in sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung dar­über hin­weg ge­setzt, dass die Zi­vil­pro­zess­ord­nung ein In­stru­ment, nach dem der Pfän­dungs­schuld­ner über ein ge­pfän­de­ten Konto ver­fü­gen darf, die Pfän­dung und die Voll­stre­ckung als sol­che aber be­stehen blei­ben, nicht vor­sieht. Hier­an sei aber auch nach einer er­neu­ten Über­prü­fung aus­schlie­ß­lich auf das In­sol­venz­ver­fah­ren be­zo­gen fest­zu­hal­ten.  

Pra­xis­hin­weis

Der Neun­te Zi­vil­se­nat des BGH hält trotz star­ken Ge­gen­winds sei­tens der In­stanz­ge­rich­te und der Fach­li­te­ra­tur sowie des Sieb­ten Zi­vil­se­nats an sei­ner Auf­fas­sung fest, dass wäh­rend des In­sol­venz­ver­fah­rens die öf­fent­lich recht­li­che Ver­stri­ckung einer ge­pfän­de­ten For­de­rung durch eine Aus­set­zung der Voll­zie­hung für die Dauer des In­sol­venz­ver­fah­rens be­sei­tigt wer­den kann, ohne dass es einer Auf­he­bung der Pfän­dung be­darf. Das for­ma­lis­ti­sche Ar­gu­ment der Ge­gen­an­sicht, dass ein sol­ches In­stru­ment in der ZPO nicht vor­ge­se­hen sei und des­halb nicht exis­tie­ren könne, ent­kräf­tet der BGH mit dem Ar­gu­ment des Gläu­bi­ger­schut­zes, wo­nach die ge­ringst­mög­li­che Be­ein­träch­ti­gung des Pfän­dungs­gläu­bi­gers ge­bo­ten ist. Für die In­sol­venz­ver­fah­ren­s­pra­xis ist zu hof­fen, dass sich diese prag­ma­ti­sche und den In­ter­es­sen der Be­tei­lig­ten am bes­ten ent­spre­chen­de Lö­sung nun­mehr durch­setzt. Soll­te dies nicht der Fall sein, ist der In­sol­venz­ver­wal­ter ge­hal­ten, den Pfän­dungs­gläu­bi­ger – nö­ti­gen­falls im Wege der Voll­stre­ckungs­ge­gen­kla­ge – dazu zu brin­gen, die Pfän­dung kom­plett auf­zu­he­ben, so­dass eine Rang­wah­rung nicht mög­lich ist. Da die­ser Weg für kei­nen der Be­tei­lig­ten von Vor­teil ist, ist das Fest­hal­ten des Neun­ten Zi­vil­se­nats an sei­ner Aus­set­zungs­lö­sung zu be­grü­ßen.

BGH, Ur­teil vom 19.11.2020 - IX ZB 14/20 (LG Han­no­ver), BeckRS 2020, 43694