Urteilsanalyse
Beschlussklage gegen eine verwalterlose Gemeinschaft
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Hat die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer keinen Verwalter, wird sie nach Ansicht des Bundesgerichtshofs bei einer Beschlussklage durch die übrigen Wohnungseigentümer vertreten.

27. Sep 2022

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 19/2022 vom 23.09.2022

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Sachverhalt

In einer Wohnungseigentumsanlage gibt es nur zwei Wohnungseigentümer, nämlich die Wohnungseigentümer K und B. Ein Verwalter ist nicht bestellt. K reicht im Dezember 2020 eine auf die Bestellung einer bestimmten Verwalterin gerichtete Beschlussersetzungsklage (§ 44 Abs. 1 S. 2 WEG) gegen B ein. Beim AG hat er Erfolg, wobei das AG erstmals im Urteil im Wege einer Rubrumsberichtigung meint, Beklagte sei die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und nicht B. Dagegen wendet sich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, vertreten durch B. Mit Erfolg. Das LG ist der Ansicht, die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer könne zwar Berufung einlegen, sei aber in erster Instanz nicht die Beklagte gewesen. Die Klage sei daher wegen § 44 Abs. 2 S. 1 WEG gegen den falschen Beklagten gerichtet gewesen und unzulässig. Beim BGH wird u.a. fraglich, wer die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer vertritt.

Entscheidung: B vertritt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer!

Denn eine Vertretung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer durch K und B sei nicht möglich: Es sei prozessrechtlich nicht zulässig, einen Rechtstreit mit sich selbst – und zwar auch als Vertreter eines anderen – zu führen. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer werde daher in Anlehnung an die gesellschaftsrechtliche BGH-Rechtsprechung durch die übrigen Wohnungseigentümer gemeinschaftlich bzw. dem verbleibenden Wohnungseigentümer alleine vertreten – so genannte kupierte Gesamtvertretung (Hinweis ua auf LG Landau ZWE 2022, 94 Rn. 2 und BeckOK WEG/Elzer § 44 Rn. 39).

Die Bestellung eines Prozesspflegers gemäß oder entsprechend § 57 ZPO komme demgegenüber nicht in Betracht. Die Annahme, ein Prozesspfleger könne einen Verwalter ersetzen (Hinweis auf Lehmann-Richter ZWE 2022, 61 (67)), verkenne dessen Aufgaben und Befugnisse. Die Vertretungsmacht des Prozesspflegers entspreche weitgehend dem gesetzlichen Umfang der Prozessvollmacht gem. § 81 ZPO. Er sei lediglich befugt, Prozesshandlungen vorzunehmen und sachlich rechtliche Erklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Der Vorteil eines Prozesspflegers liege vornehmlich darin, dass er durch die Abgabe einer Verteidigungsanzeige im schriftlichen Vorverfahren eine schnelle Titulierung durch Versäumnisurteil verhindern könnte. Hingegen sei er nicht in der Lage, die weitere Verteidigung sachgerecht zu organisieren, weil ihm die Kompetenz fehle, eine Versammlung einzuberufen, um die notwendige Willensbildung der Wohnungseigentümer über die Verteidigungsstrategie herbeizuführen. Im Übrigen sei nicht gewährleistet, dass die Bestellung eines Prozesspflegers in jedem Fall erfolgreich sei.

Praxishinweis

Der BGH widmet sich mit der Entscheidung einem der zentralen prozessualen Probleme der WEG-Reform 2020 und entscheidet sich mit der hM für eine kupierte Gesamtvertretung. Mithin wird die verwalterlose Gemeinschaft der Wohnungseigentümer prozessual bei Beschlussklagen (§ 44 Abs.1 WEG) durch die Wohnungseigentümer gemeinsam vertreten, die nicht auf Seiten des Klägers stehen. Diese Klärung überzeugt, löst aber natürlich nicht alle Probleme. Den Wohnungseigentümern, die sich nicht immer kennen und häufig nicht leicht als Vertreter organisieren können, ist zu raten, dass einer von ihnen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer beitritt, die Verteidigungsanzeige abgibt und damit zunächst ein Versäumnisurteil verhindert. Wenn nötig, kann er sogar die ganze Verteidigung organisieren, da es eine notwendige Streitgenossenschaft ist.

Die Entscheidung ist im Übrigen prozessuale Parabel. Denn auch nach BGH-Ansicht richtete sich die ursprüngliche Klage nicht gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, sondern gegen B. Die Klage gegen B habe auch nicht durch eine Rubrumsberichtigung, sondern nur durch einen Parteiwechsel korrigiert werden können. Dieses Denken mag manche LG schmerzen (vielen wollten da zuletzt „tricksen“, und behaupteten, die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei die Beklagte gewesen, obwohl diese nicht verklagt war), ist aber absolut zutreffend. Wollte man in Karlsruhe weiter, musste daher ein gewillkürter Beklagtenwechsel her. Diesen sieht der BGH darin, dass K (= der Berufungsbeklagte) eine konkludente Anschlussberufung eingelegt und in dieser eine Klageänderung in Form eines Parteiwechsels auf Beklagtenseite herbeigeführt habe. Diese prozessualen Klimmzüge lohnen es, sie im Original nachzulesen. Zur Nachahmung sind sie nicht anzuraten. Einen derartigen Weg sollte nur ein BGH-Senat gehen, der ein anderes prozessuales Problem zu Recht schnell für die Praxis enträtseln möchte.


BGH, Urteil vom 08.07.2022 - V ZR 202/21 (LG Landau), BeckRS 2022, 21076