Urteilsanalyse
Berücksichtigung eines Versorgungsausgleichs bei der Witwenrentenberechnung
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Verstirbt der ausgleichsverpflichtete Ehegatte vor Inanspruchnahme einer eigenen Rente, verbleibt es bei der Kürzung der Anrechte zu Lasten seiner Hinterbliebenen nach einem Urteil des BSG auch dann, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten den Antrag auf Anpassung gem. § 37 VersAusglG gestellt hat, nachdem die ausgleichsberechtigte Person verstorben ist und den Versorgungsausgleich deshalb nicht in Anspruch nehmen konnte.

19. Aug 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 16/2021 vom 13.08.2021

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Die Klägerin verlangt von der beklagten DRV eine Neueberechnung der ihr zustehenden großen Witwenrente, und zwar ohne Abschlag aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich. Die Klägerin ist die Witwe des bei der beklagten DRV versicherten K., den sie 1995 heiratete. Dessen erste Ehe war 1994 rechtskräftig geschieden worden. Im Wege des Versorgungsausgleichs waren zu seinen Lasten Rentenanwartschaften i.H.v. 669,00 DM auf das Rentenkonto der früheren Ehefrau übertragen worden. Diese verstarb 2011, ohne eine Rente aus den übertragenen Anwartschaften bezogen zu haben. Auf Antrag des Versicherten setzte die Beklagte die Kürzung seines Rentenanrechts aufgrund des Versorgungsausgleichs ab dem 01.06.2011 aus. Sie wies darauf hin, dass sich die Aussetzung der Kürzungen nicht auf eine Hinterbliebenenrente auswirke. Der Versicherte verstarb am 27.12.2012, ohne eine Rente bezogen zu haben.

Die Klägerin beantragte Hinterbliebenenrente und begehrte die „Aussetzung des Versorgungsausgleichs“. Die Klage bewilligte ihr die große Witwenrente ab dem 27.12.2012 unter Berücksichtigung eines versorgungsausgleichsbedingten Abschlags von 15,7056 Entgeltpunkten. Der Bescheid wurde rechtskräftig. Auf den Neufeststellungsantrag gem. § 44 SGB X lehnte die Beklagte es ab, den Versorgungsausgleich auszusetzen und die große Witwenrente neu zu berechnen. Widerspruch, Klage und Berufung waren erfolglos. Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG. Ihre Schlechterstellung gegenüber Witwen, deren verstorbener Ehemann zu Lebzeiten bereits eine Rente aus einem ungekürzten Anrecht erhalten habe, sei nicht zu rechtfertigen. Die Berücksichtigung des Abschlags bei ihrer Witwenrente widerspreche der im Versorgungsausgleichsrecht geltenden Härtefallregelung.

Entscheidung

Das BSG weist die Revision als unbegründet zurück.

Der Monatsbetrag der großen Witwenrente sei unter Berücksichtigung eines versorgungsausgleichsbedingten Abschlags gem. §§ 66, 76 SGB VI zu errechnen gewesen. Anspruch auf Aussetzung der Anrechnung hätte der Verstorbene gem. § 37 VersAusglG gehabt. Das hätte die Beklagte dem Verstorbenen auch bestätigt. Die Klägerin könne aber für ihre Witwenrente nur die Entgeltpunkte in Anspruch nehmen, die zuvor auch dem Versicherten gutgeschrieben worden seien. Die Anpassung wegen Tod der ausgleichsberechtigten Person gem. § 37 VersAusglG mache den Versorgungsausgleich nicht ungeschehen und belasse es bei dem Abschlag an Entgeltpunkten gem. § 76 SGB VI.

Anders verhalte es sich, wenn der Versicherte bereits eigene Rente beziehe, die gem. § 37 VersAusglG nicht aufgrund des Versorgungsausgleichs gekürzt werde. Dann könne sich die Hinterbliebene auf § 88 Abs. 2 SGB VI berufen.

Die Klägerin als Hinterbliebene könne nach § 37 VersAusglG nicht geltend machen, der Versorgungsausgleich stelle eine besondere Härte dar. Das durch den ausgleichspflichtigen Ehepartner noch zu Lebzeiten wahrgenommene Antragsrecht nach §§ 38, 37 VersAusglG wirke im Rentenrecht nicht zu Gunsten der Hinterbliebenen weiter.

Dieses Ergebnis verletze die Klägerin nicht in Grundrechten. Hinterbliebenenrenten fielen nicht in den Schutzbereich des Art. 14 GG. Schon gar nicht insoweit, als der Versicherte einen Anspruch auf Anpassung nach durchgeführtem Versorgungsausgleich gehabt hätte. Es verstoße nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG, dass in Bezug auf die große Witwenrente der Klägerin ein Anspruch auf Aussetzung der Kürzung nicht zustehe. Auch der besondere Gleichheitssatz des Art. 6 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Der Klägerin sei durch eine fehlende Regelung zum Rückausgleich kein Nachteil entstanden, den sie ohne die Heirat nicht gehabt hätte. Der Senat sei auch nicht davon überzeugt, dass die Nichtanwendung des § 88 Abs. 2 SGB VI im Falle der Klägerin gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße. Zweck der Hinterbliebenenversorgung sei der Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten und des dadurch bedingten Wegfalls seines Einkommens nicht mehr gezahlt werden könne. Auch eine Versichertenrente könne dem Ehegatten des Versicherten in Form von Unterhaltsgewährung zugutekommen. Die Regelung in § 88 Abs. 2 SGB VI knüpfe in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise typisierend an diese Unterhaltsersatzfunktion an.

Praxishinweise

1. Eine sehr lesenswerte Entscheidung, die nicht nur große Sorgfalt auf die Auslegung der komplizierten rentenrechtlichen Vorschriften verwendet, sondern auch die verfassungsrechtlichen Maßgaben sehr gründlich reflektiert. Der Einwand der Klägerin, der Versorgungsausgleich führe faktisch zu einer Rentenkürzung bei ihr, ohne dass dies bei der geschiedenen Ehefrau irgendeine finanzielle Auswirkung hat, ist sehr plausibel, begründet aber eine – ggf. ihre Grundrechte verletzende - unbillige Härte zu ihren Lasten nicht.

2. Der Bundesgerichtshof hat zu § 51 VersAusglG entschieden, dass der Ausgleichsverpflichtete befugt ist, einen Antrag auf Anpassung auch nach dem Tode des Ausgleichsberechtigten zu stellen, was dann gem. § 31 VersAusglG zum nachträglichen Total-Wegfall des Versorgungsausgleichs führt – ein Ergebnis, das weit über die Anpassung nach § 37 VersAusglG hinausgeht (BGH vom 05.02.2020 – XII ZB 147/18; ebenso OLG Nürnberg vom 28.01.2021 – 11 UF 827/20). In Abweichung von der Bestandsschutzregelung des § 88 Abs. 2 SGB VI soll dies auch zum nachträglichen Wegfall der Hinterbliebenenrente führen, unabhängig davon, ob und inwieweit der hinterbliebene Ehegatte auf diese Rentenleistung tatsächlich angewiesen ist oder nicht. Auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Entscheidung des BSG erscheint diese Konsequenz unter Berücksichtigung der 3-Jahres-Frist gem. § 37 Abs. 2 VersAusglG wenig überzeugend.

BSG, Urteil vom 20.01.2021 - B 13 R 5/20 R (LSG Hamburg), BeckRS 2021, 10752