Urteilsanalyse
Berechnung der Verjährungsfristen für einen Verkehrsverstoß
Urteilsanalyse
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Die Verjährungsfrist für eine Ordnungswidrigkeit beginnt, sobald die Handlung beendet ist. Endet eine Geschwindigkeitsübertretung am gleichen Tag, ist dies der 1. Tag der Verjährungsfrist. Die Fristberechnung nach § 43 StPO kommt bei Fristen des materiellen Rechtes, wie den Verjährungsfristen, nicht in Betracht, da diese Norm ausschließlich auf Fristen prozessualer Natur beschränkt ist, so das OLG Koblenz.

8. Mai 2023

Anmerkung von Rechtsanwalt Thomas C. Knierim, Knierim & Kollegen, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 09/2023 vom 04.05.2023

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Sachverhalt

Gegen den Betroffenen (B) wurde durch Bußgeldbescheid eine Geldbuße in Höhe von 180 EUR verhängt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet aufgrund einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h, begangen am 10.11.2020. Auf seinen form- und fristgerechten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid änderte das Amtsgericht den Bußgeldbescheid mit Beschluss vom 10.11.2022 ab, setzte eine Geldbuße von 160 EUR fest und verhängte ein Fahrverbot von einem Monat wegen derselben Tat. Die Entscheidung ist dem Verteidiger am gleichen Tag, dem 10.11.2022, zugestellt worden. Am 14.11.2022 legte der Verteidiger beim AG Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung ein und begründete diese mit der Verletzung sachlichen Rechts. Die statthafte und auch im Übrigen form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde sei hinsichtlich der Sachrüge begründet. Das Rechtsmittel des B führe zu einer Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung und zu einer Einstellung des Verfahrens aufgrund des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung. Die Kosten des Verfahrens habe die Staatskasse zu tragen, von den notwendigen Auslagen des B lediglich die, die durch das Rechtsbeschwerdeverfahren entstanden seien.

Der Senat entschied, dass die korrekt erhobene Sachrüge zur Prüfung des Fehlens von Verfahrensvoraussetzungen und des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses führe. Wenn eine Rechtsbeschwerde in zulässiger Weise erhoben worden sei, könne auch im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Einstellung wegen Verjährung erfolgen. Denn der Ablauf der Verjährung sei – so eine gerichtliche Prüfungsmöglichkeit besteht – von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen, auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren.

Das Verfahren gegen den B sei unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a StPO einzustellen gewesen, da hinsichtlich des gegen ihn erhobenen Vorwurfs der fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung bereits am 10.11.2022 Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Die Verkehrsordnungswidrigkeiten wiesen eine absolute Verjährungsfrist von zwei Jahren auf (§ 33 Abs. 3 Satz 2 OWiG i.V.m. § 26 Abs. 3 StVG). Die Verjährung beginne, sobald die Handlung beendet ist (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Vorliegend sei die in Rede stehende Geschwindigkeitsüberschreitung am 10.11.2020 begangen und beendet worden. Der Tag, an dem die Verjährung mit Eintritt des Ereignisses beginnt, sei der 1. Tag der Verjährungsfrist, hier also der 10.11.2020. Der letzte Tag der Verjährungsfrist sei der im Kalender vorhergehende Tag, vorliegend demnach der 09.11.2022. Eine Fristberechnung nach § 43 StPO komme bei Fristen des materiellen Rechtes, wie den Verjährungsfristen, hingegen nicht in Betracht, da diese Norm ausschließlich auf Fristen prozessualer Natur beschränkt ist. Die absolute Verfolgungsverjährung sei daher vorliegend mit Ablauf des 9.11.2022 eingetreten. Der Beschluss des AG gem. § 72 OWiG sei indes erst am 10.11.2022 unterzeichnet worden, sodass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Verjährung der Ordnungswidrigkeit eingetreten ist und nicht das Ruhen der Verjährung gemäß § 32 Abs. 2 OWiG herbeigeführt werden konnte.

Die Kostenentscheidung basiere auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO. Im Rahmen der Ermessensentscheidung gehe der Senat davon aus, dass gegen den Betroffenen ohne Eintritt des Verfahrenshindernisses zu Recht wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h eine Geldbuße von 160 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden wäre. Das AG habe sich rechtsfehlerfrei mit den Einwendungen gegen die Geschwindigkeitsmessung auseinandergesetzt. Es habe die technischen und personellen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Messung überprüft, keine Fehler festgestellt und auch zutreffend begründet, warum die Beiziehung der weiteren von der Verteidigung angeforderten Unterlagen wie das Erstinbetriebnahmeprotokoll, Fotos von der Messstelle mit Trailer, die Verwendungsanzeige und die fehlende Speicherung der Rohmessdaten mit einem Verweis auf die hierzu ergangene Rechtsprechung ebenso wenig erforderlich gewesen sei, wie die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Es habe auch die Höhe der festgesetzten Geldbuße und die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes rechtsfehlerfrei begründet, indem es zutreffend besonderes Gewicht auf eine einschlägige Tatwiederholung hinsichtlich einer weiteren unzulässigen Geschwindigkeitsüberschreitung (dort um 29 Km/h) vom 20.7.2020 (Rechtskraft der verhängten Geldbuße in Höhe von 80 EUR am 17.9.2020, knapp zwei Monate vor der hiesigen Tat) gelegt und hierbei die besondere berufliche Situation des Betroffenen (Umfangreiche Kundenbesuche in weiten Teilen Deutschlands für sein Unternehmen) berücksichtigt habe. Das Verfahren hätte jedoch am 10.11.2022 aufgrund der eingetretenen Verfolgungsverjährung durch das AG eingestellt werden müssen, so dass es nicht zu einer rechtsmittelfähigen Sachentscheidung hätte kommen dürfen. Die notwendigen Auslagen für das Rechtsbeschwerdeverfahren wären dann nicht angefallen.

Praxishinweis

Die Fristberechnung des OLG über Beginn und Ende der Verjährungsfrist gem. § 31 Abs. 3 OWiG stimmt mit der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung überein (KK-OWiG/Ellbogen, OWiG, § 31 Rn. 23; KK-StPO/Schneider-Glockzin, § 43 Rn. 6; BGH BeckRS 1989, 1701; OLG Karlsruhe BeckRS 2019, 28218). Die Begründung der Kostenentscheidung bedurfte einiger ergänzender Ausführungen zum Gegenstand der amtsgerichtlichen Entscheidung, was in dem besonderen Verhältnis der durch § 46 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren geltenden Vorschrift des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO zu der grundsätzlichen Kostentragungspflicht der Staatskasse bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens besteht (§ 467 Abs. 1 StPO). Sieht das Gericht davon ab, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, muss es zuvor geprüft haben, ob letztlich allein aufgrund des Verfahrenshindernisses keine Verurteilung ergeht (KK-StPO/Gieg, StPO, § 467 Rn. 10; BGH BeckRS 2018, 16391). Es bleibt allerdings ein Beigeschmack, wenn sich die Ermessensausübung des Strafsenats allein an der Beschlussbegründung des AG orientiert, ohne sich mit dem Verteidigungsvorbringen und dem Umstand auseinanderzusetzen, dass es angesichts einer zweijährigen Verfahrensdauer dem Gericht nicht gelungen war, das Verfahren angemessen zu fördern. An der Verteidigung kann es nicht gelegen haben.

OLG Koblenz, Beschluss vom 08.02.2023 - 4 ORbs 31 SsBs 1/23 (AG Daun), BeckRS 2023, 6319