Urteilsanalyse
Berechnung der Frist für Anmeldung zum Klageregister
Urteilsanalyse
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§ 222 Abs. 2 ZPO findet nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs auf die Frist für die Anmeldung von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zur Eintragung in das Klageregister (§ 608 Abs. 1 ZPO) Anwendung.

5. Mai 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe 

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 09/2021 vom 30.04.2021

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Sachverhalt 

Der Antragsteller übersandte dem Bundesamt für Justiz am 30.09.2019, einem Montag, eine Anmeldung von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zur Eintragung in das Klageregister einer Musterfeststellungsklage. In jenem – zwischenzeitlich durch Klagerücknahme beendeten – Musterfeststellungsverfahren fand am selben Tag der erste Termin statt. Das Bundesamt für Justiz wies die Anmeldung als verfristet zurück, weil sie nach § 608 I ZPO nur bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins möglich sei. Diesen Justizverwaltungsakt hat das OLG auf den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung aufgehoben, weil – wie es ausführlich begründet – § 222 II ZPO auch auf die Anmeldung zum Klageregister anwendbar sei, die Frist, deren Ende auf einen Sonntag gefallen sei, daher hier erst mit Ablauf des Montags geendet habe (OLG Köln BeckRS 2020, 21763).

Entscheidung: Frist lief nach § 222 II ZPO erst mit Ablauf des Terminstags ab

Die vom OLG nach § 29 II 1 Nr. 1 EGGVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Rechtsbeschwerde des Bundesamts für Justiz hiergegen hat der BGH zurückgewiesen. Die Begründung des OLG hielte rechtlicher Nachprüfung stand, § 222 II ZPO finde auf die Frist für die Anmeldung von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zur Eintragung in das Klageregister (§ 608 I ZPO) Anwendung:

  • Seinem Wortlaut nach sei § 222 II ZPO anwendbar. Diese Vorschrift gelte auch, wenn nicht die Dauer, sondern wie in § 608 I ZPO der Endzeitpunkt einer Frist festgesetzt sei.
  • Die Gesetzessystematik führe zu demselben Ergebnis, denn § 222 II ZPO sei im ersten Buch der ZPO („Allgemeine Vorschriften“) verortet, § 608 I ZPO im sechsten Buch, welches das Musterfeststellungsverfahren regele. Wie sich aus dem Aufbau der ZPO ergebe und keiner besonderen Anordnung bedürfe, seien die allgemeinen Vorschriften auf das Musterfeststellungsverfahren anwendbar, soweit nicht im sechsten Buch abweichende Regelungen getroffen seien. § 608 I ZPO oder andere Vorschriften im sechsten Buch der ZPO träfen aber keine Regelung, die § 222 II ZPO nach § 610 V 1 Hs. 2 ZPO oder als lex specialis in ihrem Anwendungsbereich verdrängen würde, denn sie regelten nicht den Fall, dass die Frist an einem Sonntag, einem Sonnabend oder einem allgemeinen Feiertag ende. Vor diesem Hintergrund hätte es einer gesetzlichen Regelung bedurft, um die Anwendung der für diesen Fall geltenden allgemeinen Vorschrift des § 222 II ZPO auszuschließen; dass die vom Gesetz vorgesehene Abfolge (Ende der Anmeldungsfrist vor dem ersten Termin) im Falle einer Bestimmung des ersten Termins auf einen Montag oder den Tag nach einem Feiertag umgekehrt werde, genüge hierfür nicht.
  • Der Entstehungsgeschichte lasse sich kein abweichender Wille des Gesetzgebers entnehmen. Zwar ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, dass die Parteien der Musterfeststellungsklage und das Gericht einen Überblick über das in der Anzahl der Anmeldungen manifestierte Interesse der betroffenen Verbraucher haben sollen (vgl. BT-Drs. 19/2439, S. 25); die Möglichkeit, in den von § 222 II ZPO erfassten Fällen Anmeldungen noch bis zum Ablauf des Tages des ersten Termins vorzunehmen, wäre dem wohl abträglich. Es sei aber nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber dieser Zielsetzung erhebliches Gewicht beigemessen habe, denn anderenfalls hätte er nicht in § 608 III ZPO eine Rücknahme der Anmeldung bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz ermöglicht, um dem Verbraucher die Entscheidung zu erleichtern, ob er an seiner Anmeldung festhalten wolle (vgl. Begründung der Beschlussempfehlung, BT-Drs. 19/2741, S. 25).
  • Sinn und Zweck der betroffenen Vorschriften stünden dem nicht entgegen und rechtfertigten es nicht, § 222 II ZPO entgegen Wortlaut und Systematik nicht auf die in § 608 I ZPO geregelte Frist anzuwenden. § 222 II ZPO diene dem Schutz der Sonn- und Feiertage sowie der Rücksichtnahme auf die Wochenend- und Feiertagsruhe der Bevölkerung und auf das allgemeine Ruhen der bürgerlichen Geschäfte an den betreffenden Tagen. Das stehe dem Ablauf der Frist für die Anmeldung zur Eintragung in das Klageregister an einem der genannten Tage entgegen. Auch eine teleologische Reduktion komme nicht in Betracht. Zwar könnten die vorgenannten Zwecke in Konflikt geraten mit dem Zweck der Frist des § 608 I ZPO, den Kreis der von dem Musterfeststellungsverfahren betroffenen Verbraucher möglichst bis zum ersten Termin festzulegen. Da § 222 II ZPO aber nach Wortlaut und Systematik auf die in § 608 I ZPO bestimmte Frist anwendbar sei und ein abweichender Wille des Gesetzgebers nicht erkennbar sei, der Gesetzgeber vielmehr durch die Bestimmung der Frist für die Rücknahme der Anmeldung in § 608 III ZPO den Zweck der Frist des § 608 I ZPO relativiert habe, fehlten Anhaltspunkte für eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes, ohne die eine teleologische Reduktion von § 222 II ZPO nicht in Betracht komme. Auch aus § 611 VI ZPO, nach dem der Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs vor dem ersten Termin unzulässig sei, ergebe sich nichts Anderes. Dem Zweck dieser Vorschrift, dem Vergleich eine möglichst weitreichende befriedende Wirkung zukommen zu lassen (BT-Drs. 19/2439, S. 28) könne es zwar widersprechen, wenn in einem ersten Termin an einem Montag oder am Tag nach einem Feiertag ein Vergleich abgeschlossen werde, Anmeldungen aber noch bis zum Ablauf desselben Tages möglich seien. Das sei nach dem Gesagten indes hinzunehmen, zumal es den Parteien freistehe, in einer solchen Situation den Vergleich erst am Folgetag abzuschließen, um – auch mit Blick auf die Rücknahmemöglichkeit nach § 608 III ZPO – die Ungewissheit über den Kreis der Angemeldeten zu vermeiden.

Praxishinweis 

Wird eine formal ordnungsgemäße Musterfeststellungsklage vor dem OLG (§ 118 GVG) erhoben, veranlasst das OLG nach Maßgabe von § 607 ZPO deren öffentliche Bekanntmachung in dem vom Bundesamt für Justiz geführten (§ 609 I 2 ZPO) Klageregister (https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Klageregister/Bekanntmachungen/Klagen_node.html). Verbraucher haben dann die Möglichkeit, eigene Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die von den Feststellungszielen der bekanntgemachten Musterfeststellungsklage abhängen, zur Eintragung im Klageregister anzumelden (§ 608 ZPO). Folgen einer solchen Anmeldung sind ua, dass die Erhebung der Musterfeststellungsklage auch die Verjährung der angemeldeten Ansprüche hemmt (§ 204 I Nr. 1a BGB), dass wegen der angemeldeten Ansprüche während der Rechtshängigkeit keine Klage erhoben werden kann (§ 610 IV ZPO; bereits anhängige Verfahren werden ausgesetzt, § 613 II ZPO), dass im Musterfeststellungsverfahren nach Maßgabe von § 611 ZPO ein Vergleich auch mit Wirkung für oder gegen den angemeldeten Verbraucher geschlossen werden kann und dass das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil in einem nachfolgenden Rechtsstreit zwischen dem angemeldeten Verbraucher und dem Musterbeklagten Bindungswirkung entfaltet (§ 613 I ZPO).

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Anmeldung und deren Rücknahme (zur Vermeidung der prozessualen Folgen, §§ 611 V 4, 613 I 2 ZPO) ist der erste Termin zur mündlichen Verhandlung über die Musterfeststellungsklage vor dem OLG: Die Anmeldung kann nur bis zum Ablauf des Tages vor dem Terminstag erfolgen (§ 608 I ZPO) und nur bis zum Ablauf des Terminstags zurückgenommen werden (§ 608 III ZPO). Wie die besprochene Entscheidung zeigt, werden diese scheinbar eindeutigen Regelungen allerdings, weil es sich um (gesetzliche) Fristen handelt, durch die allgemeine Fristberechnungsvorschrift des § 222 ZPO (jedenfalls im Falle des § 608 I ZPO) modifiziert. Findet nämlich der Termin zur mündlichen Verhandlung an einem Tag nach einem Sonntag oder einem allgemeinen Feiertag statt, verlängert sich das Fristende tatsächlich auf den Ablauf des Terminstags (womit die Intention der Regelung wohl unterlaufen wird, was dem BGH allerdings für eine abweichende Entscheidung nicht genügt hat).

BGH, Beschluss vom 31.03.2021 - IV AR (VZ) 6/20, BeckRS 2021, 8278