Anmerkung von
Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwältin Franziska Bordt, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München
Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 08/2023 vom 27.04.2023
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Sachverhalt
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). In der Eigentümerversammlung vom 20.07.2021 wurden mehrere Beschlüsse gefasst. Unter anderem beschlossen die Wohnungseigentümer, dass die Nachschüsse bzw. Anpassungen der beschlossenen Vorschüsse aus den Einzelabrechnungen für das Jahr 2019 (TOP 2) und für das Jahr 2020 (TOP 3) genehmigt und fällig gestellt werden. Gegen diese und weitere Beschlüsse wendet sich die Klägerin mit ihrer am 12.08.2021 bei Gericht eingegangenen Beschlussmängelklage. In der Klageschrift werden als Beklagte die einzelnen Wohnungs- und Teileigentümer bezeichnet. Der Verwalter wird als „Beteiligter“ und „Beizuladender“ aufgeführt. Nachdem das Amtsgericht die Klägerin darauf hingewiesen hatte, dass nach neuem Recht die Klage gegen die GdWE zu richten sei, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 22.09.2021 die Klage erweitert und nunmehr auch gegen die GdWE gerichtet, der die Klage schließlich am 22.10.2021 zugestellt worden ist.
Das Amtsgericht hat die Klage wegen Versäumung der Klagefrist des § 45 WEG abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht unter anderem die Beschlüsse zu TOP 2 und 3 für ungültig erklärt und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung.
Entscheidung
Die Revision hat Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts habe die am 12.08.2021 bei Gericht eingegangene Anfechtungsklage die materiellen Ausschlussfristen des § 45 Satz 1 WEG nicht gewahrt.
Beschlussklagen seien seit dem 01.12.2020 – und damit auch hier – nach § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG gegen die GdWE zu richten und nicht mehr gegen die übrigen Wohnungseigentümer. Deshalb könne die Anfechtungsfrist nur durch Erhebung einer Klage gegen die GdWE gewahrt werden. Entscheidend sei hiernach, ob die am 12.08.2021 und damit innerhalb der ab Beschlussfassung am 20.07.2021 laufenden Frist des § 45 Satz 1 WEG bei Gericht eingegangene und begründete Klage gegen die GdWE gerichtet war.
Wie zu verfahren sei, wenn in einer – wie hier – nach dem 30.11.2020 bei Gericht eingegangenen Beschlussmängelklage entgegen § 44 Abs. 2 Satz 1 WEG die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte bezeichnet werden, habe der Senat dahingehend geklärt, dass die Klage nur dann als gegen die GdWE gerichtet zu verstehen sein könne, wenn sich ein entsprechender Wille zweifelsfrei aus dem übrigen Inhalt der Klageschrift ergebe. Für eine solche Annahme genüge nicht bereits die Nennung des Verwalters im Anschluss an die Parteibezeichnung. Danach sei auch hier bei objektiver Würdigung der Klageschrift auszuschließen, dass die Klage gegen die GdWE gerichtet werden sollte. Wie die Klagebegründung eindeutig belege, sei der Klägervertreter bei Abfassung der Klage von der Fortgeltung der früheren Rechtslage ausgegangen und habe deshalb nicht versehentlich, sondern bewusst – wenn auch rechtsirrtümlich – die übrigen Wohnungseigentümer als Beklagte bezeichnet. Eine Bezeichnung der GdWE als Beklagte sei erstmalig in dem Schriftsatz vom 22.09.2021 erfolgt; zu diesem Zeitpunkt seien die Ausschlussfristen des § 45 Satz 1 WEG bereits abgelaufen gewesen.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Nichtigkeitsgründe seien nicht ersichtlich.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren ergebe sich aus § 49 GKG. Hiernach sei in Verfahren über Beschlussklagen gemäß § 44 Abs. 1 WEG der Streitwert auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festzusetzen, wobei er den siebeneinhalbfachen Wert des Interesses des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen sowie den Verkehrswert ihres Wohnungseigentums nicht übersteigen dürfe.
Stützte der klagende Wohnungseigentümer unter der Geltung des bisherigen Rechts die Beschlussmängelklage gegen den Beschluss der Wohnungseigentümer über die Genehmigung der Jahresabrechnung auf Einwendungen gegen die Jahresabrechnung insgesamt, habe sich das hälftige Gesamtinteresse der Wohnungseigentümer nach dem vollen Nennbetrag der Jahresabrechnung bemessen. Das für die Grenzen des § 49a Abs. 1 Satz 2 GKG aF maßgebliche Individualinteresse des Klägers habe seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung entsprochen; dies habe auch dann gegolten, wenn der Kläger formale Fehler der Abrechnung bemängele. Habe sich der Anfechtungskläger dagegen nur gegen die Einbeziehung einer bestimmten Kostenposition in der Jahresabrechnung gewandt, habe deren Betrag den Wert des Interesses der Wohnungseigentümer an der Entscheidung bestimmt. Das Interesse des Klägers habe der streitigen Position in seiner Einzelabrechnung entsprochen und die Untergrenze für den Gegenstandswert gebildet. Diese Berechnungsgrundsätze haben in der Rechtsmittelinstanz entsprechend gegolten, und zwar auch dann, wenn Rechtsmittelführer die beklagte Partei war.
An diesen Grundgedanken sei festzuhalten. Werde ein nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes gefasster Abrechnungsbeschluss gemäß § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, bemesse sich der Streitwert grundsätzlich nach dem Nennbetrag der Jahresabrechnung. Das für die Berechnung der Grenzen des § 49 Satz 2 GKG maßgebliche Individualinteresse des Klägers entspreche seinem Anteil am Nennbetrag der Abrechnung.
Praxishinweis
Der BGH führt mit vorstehender Entscheidung seine Rechtsprechung zum Streitwert der Beschlussanfechtung fort (BGH, Beschluss vom 09.02.2017 - V ZR 188/16, besprochen in Bub/Bernhardt FD-MietR 2017, 390941) und entscheidet die bisher in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortete Frage dahingehend, dass sich der Streitwert grundsätzlich an dem Nennbetrag der Jahresabrechnung bemisst. Mit überzeugenden Argumenten erteil der BGH der Ansicht, dass das Einzelinteresse des Klägers regelmäßig nur der ihm durch die Jahresabrechnung auferlegten Nachforderung entspreche (bspw. LG Lüneburg, Beschluss vom 15.03.2022 – 3 T 55/21, ZWE 2022, 460), eine Absage. Zwar diene die Jahresabrechnung nach Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes nur der Vorbereitung zur Beschlussfassung über die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der beschlossenen Vorschüsse. Dem Beschluss kommt demnach ausschließlich anspruchsbegründende Wirkung hinsichtlich der Abrechnungsspitzen zu. Hieraus kann sich jedoch keine andere Beurteilung für das Interesse der Wohnungseigentümer ableiten als vor Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes. Denn das Interesse der Wohnungseigentümer besteht – nach wie vor – darin, die tatsächlich angefallenen Kosten vollständig auf alle Wohnungseigentümer zu verteilen, was eine inzidente Prüfung der Jahresabrechnung voraussetzt.
BGH, Urteil vom 24.02.2023 - V ZR 152/22 (LG München I), BeckRS 2023, 6757