Urteilsanalyse
Bei Steuerhehlerei sind die Zigaretten das «erlangte Etwas» i.S.v. §§ 73 ff. StGB
Urteilsanalyse
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Ein Vermögenswert ist - so der BGH - nach § 73 Abs. 1 StGB durch die Tat erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann.

12. Apr 2022

Anmerkung von Rechtsanwalt Lucas Merschmöller, Knierim & Kollegen, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 07/2022 vom 08.04.2022

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Sachverhalt

Das LG hat die Angeklagte (A) wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in insgesamt 74 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat das LG gegen die A die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe des Wertes der veräußerten Zigaretten mit einem Betrag von 727.346,96 EUR als Gesamtschuldnerin angeordnet.

Nach den Feststellungen des LG bestellte die A als Mitglied einer Gruppierung in den Jahren 2015 und 2016 bei verschiedenen Verkäufern in 74 Fällen unversteuerte Zigaretten. Sie bestimmte nicht nur die Marke der Zigaretten und deren Anzahl, sondern koordinierte aus dem Quartier der Gruppierung mittels Kurznachrichten über - mehrfach ausgetauschte - Mobiltelefone die Übergabe der Zigaretten an drei Orten. Die anderen beiden Mitglieder oder beauftragte Helfer übernahmen die Zigaretten, auf denen keine Steuerzeichen angebracht waren und die sie nach Zwischenlagerung in Verstecken an drei Verkaufsplätzen mit einem Gewinn von mindestens 6 EUR pro Stange weiterveräußerten. Die A führte für die Gruppierung bis Mitte April 2016 die Bücher (für jeden Verkaufsplatz ein gesondertes und ein gesamtes), war für die Bezahlung der Festgehälter der Helfer zuständig und teilte sich mit ihren beiden Geschäftspartnern den Gewinn aus den Geschäften über die insgesamt weiterveräußerten 6.623.200 Zigaretten. In sechs Fällen wurden die Zigaretten vor Übergabe sichergestellt bzw. von den Verkäufern wegen der Anwesenheit von Ermittlungsbeamten nicht ausgeliefert. Insgesamt lastete auf den Zigaretten nicht erklärte Tabaksteuer in Höhe von rund 1.118.000 EUR.

Das LG hat den Einziehungsbetrag anhand des Wertes der weiterveräußerten Zigaretten bestimmt (§§ 73 Abs. 1 Alt. 1, 73c Satz 1 Var. 2, § 73d Abs. 2 StGB) und hierfür den Verkaufspreis von mindestens 22 EUR pro Stange zugrunde gelegt. Von der daraus ermittelten Verkaufssumme von 728.552 EUR hat es sichergestelltes Bargeld in Höhe von 1.205,04 EUR abgezogen, auf dessen Rückgabe die A verzichtet hat.

Gegen ihre Verurteilung hat die A eine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision eingelegt.

Entscheidung

Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision ist nach Ansicht des BGH unbegründet. Allein die Einziehungsanordnung bedürfe der Erörterung, halte im Ergebnis aber der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

Ein Vermögenswert sei nach § 73 Abs. 1 StGB durch die Tat erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren Beteiligten genüge insofern, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand erlangt haben. Dies sei der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehindert auf den Vermögensgegenstand zugreifen können. Faktische Mitverfügungsgewalt könne sich - jedenfalls bei dem vor Ort anwesenden, die Beute oder Teile davon in den Händen haltenden Mittäter - auch in einer Abrede über die Beuteteilung widerspiegeln. Denn damit verfüge der Mittäter zu seinen oder der anderen Beteiligten Gunsten über die Beute, indem er in Absprache mit diesen, Teile des gemeinsam Erlangten sich selbst oder den anderen zuordne.

Bei der Steuerhehlerei seien das "erlangte etwas" die Zigaretten, nicht etwa die von den Vortätern erzielte Steuerersparnis. Eine steuerliche (Mit-) Haftung für die hinterzogenen Verbrauchsteuern oder Einfuhrabgaben sei für die durch eine gegenständliche Betrachtungsweise geprägte strafrechtliche Vermögensabschöpfung nach alledem unerheblich.

Die A habe eine ausreichende tatsächliche Verfügungsgewalt über die unversteuerten Zigaretten gehabt, auch wenn sie weder bei der Übergabe noch beim anschließenden Straßenverkauf zugegen war. Denn sie habe als zumindest gleichberechtigtes Gruppenmitglied die jeweilige Übergabe der Lieferungen gesteuert und ihre beiden Mittäter bzw. die Helfer angewiesen, die Zigaretten auf Rechnung der Gruppierung entgegenzunehmen; in allen Fällen hätten die Mittäter die gemeinsame Abrede strikt umgesetzt bzw. sich den Anweisungen der A unterworfen. In der anschließenden Weiterveräußerung zeige sich die wirtschaftliche Verfügungsgewalt der A über die Zigaretten: Mittels der Verkaufspreise habe sie das Substrat der Zigaretten in ihr Vermögen überführt; auch insoweit sei ihre Anwesenheit bei der Entgegennahme der Kaufpreisgelder nicht erforderlich gewesen. Denn diese Gelder seien bei ihr wirtschaftlich zusammen gelaufen, damit sie nach Abzug der Aufwendungen (etwa Miete für das Quartier, Entlohnung der Helfer) den zwischen ihr und den beiden Mittätern zu verteilenden Gewinn bestimmen konnte.

Praxishinweis

Straftaten, welche durch mehrere Personen begangen werden, bieten seit jeher Raum für vielfältige Diskussionen. Gleiches gilt für die Frage, was das „erlangte etwas“ im Sinne der §§ 73 ff. StGB ist. Teilweise wurde der Rechtsprechung hinsichtlich der Frage, wann etwas „erlangt“ ist, eine unklare Linie vorgeworfen (vgl. MüKoStGB/Joecks/Meißner, § 73 Rn. 25). Die vorliegende Entscheidung zeigt nun die Schnittmenge aus diesen beiden Bereichen. Die durch das LG festgestellten Umstände verdeutlichen, dass die A, auch wenn sie nicht selbst bei der Veräußerung vor Ort war, aufgrund der professionalisierten Organisationsstruktur das Geschehen kontrolliert hat. Dass die A alle Transaktionen in einer ausführlichen Buchführung festgehalten hat, verdeutlich noch mehr, wie groß der Einfluss auf die Geschäfte war. Auch wenn die Entscheidung nicht alle „unklaren Linien“ im Hinblick auf die Frage, wann etwas erlangt ist, begradigen kann, macht sie deutlich, dass es auf ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis ankommt und der BGH insoweit an seiner ständigen Rechtsprechung festhält.


BGH, Beschluss vom 13.01.2022 - 1 StR 481/21 (LG Neuruppin), BeckRS 2022, 4349