Urteilsanalyse
Bei PKH-Bewilligung ab bestimmtem Datum erfolgt keine Berücksichtigung davorliegender anwaltlicher Tätigkeiten
Urteilsanalyse
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Zur Bestimmung von Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG sind nur die Tätigkeiten zu berücksichtigen, die der Rechtsanwalt ab dem Wirksamwerden der Bewilligung der PKH entfaltet hat. Hat das Sozialgericht die PKH ab einem bestimmten Datum bewilligt, ist nach einem Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt die vorherige Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht zu berücksichtigen.

28. Okt 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 21/2020 vom 22.10.2020

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Sachverhalt

Die Klägerin hatte die Aufhebung von SGB-II-Bescheiden begehrt. Der Erinnerungsführer hatte die Klägerin anwaltlich vertreten und Klage erhoben. Zugleich hatte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung beantragt. Die Erklärung der Klägerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse reichte er nach Hinweis des SG am 18.04.2018 ein. Das SG bewilligte der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Erinnerungsführers ab dem 18.04.2018. Die Beklagte anerkannte das Klagebegehren und hob die Bescheide auf. Der Erinnerungsführer nahm das Anerkenntnis an und erklärte den Rechtsstreit für erledigt.

Der Erinnerungsführer beantragte dann die Festsetzung der aus der Landeskasse zu erstattenden Vergütung. Dabei legte er unter anderem eine Verfahrensgebühr von 240 EUR und eine Terminsgebühr von 216 EUR zu Grunde. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle berücksichtigte die Verfahrensgebühr nur in Höhe der Mindestgebühr von 50 EUR. Denn die Prozesskostenhilfe sei erst ab dem 18.04.2018 bewilligt worden. Vor diesem Zeitpunkt erbrachte Tätigkeiten des Erinnerungsführers seien daher nicht von der Prozesskostenhilfe gedeckt. Die Terminsgebühr betrage 90% der Verfahrensgebühr und somit 45 EUR. Die dagegen eingelegte Erinnerung wies das SG zurück. Die anschließende Beschwerde des Erinnerungsführers hatte keinen Erfolg.

Entscheidung: Abweichende Bestimmung im Sinn des § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG, keine Prüfung der inhaltlichen Berechtigung einer erfolgten zeitlichen Begrenzung

Ein Ansatz der Verfahrensgebühr in Höhe von 80% der Mittelgebühr sei unbillig. Denn der Erinnerungsführer habe die Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG auch unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet. Billig erscheine vielmehr nur eine Verfahrensgebühr in Höhe der Mindestgebühr. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien hier deutlich unterdurchschnittlich gewesen und hätten das Mindestmaß nicht überstiegen. Zu berücksichtigen seien dabei nur die Tätigkeiten, die der Erinnerungsführer ab dem Wirksamwerden der PKH-Bewilligung entfaltet habe. Hier sei die PKH-Bewilligung am 18.04.2018 wirksam geworden, weil das SG dies so bestimmt habe. Die vorherige Tätigkeit des Erinnerungsführers, also die Klageerhebung und -begründung, sei daher nicht zu berücksichtigen. Zutreffend sei zwar der Hinweis des Erinnerungsführers auf § 48 Abs. 4 RVG. Die Beiordnung in Angelegenheiten, in denen nach § 3 Abs. 1 RVG Betragsrahmengebühren entstünden, erstrecke sich nach dessen Satz 1 auf Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Prozesskostenhilfe, wenn vom Gericht nichts anderes bestimmt sei. Eine solche abweichende Bestimmung habe das SG hier aber vorgenommen, indem es die Prozesskostenhilfe erst ab dem 18.04.2018 bewilligt habe.

Zwar solle nach anderer Auffassung eine Kürzung der Verfahrensgebühr nicht mit dem Argument der zeitlich beschränkten Bewilligung in Betracht kommen. Derartige Überlegungen seien aber nach der Systematik des RVG bereits bei der Bewilligung der Prozesskostenhilfe und der Beiordnung umzusetzen und nicht erst bei der späteren Kostenfestsetzung. Etwas anderes würde faktisch auf eine inhaltliche Änderung der Bewilligung und Beiordnung hinauslaufen, wofür im Rahmen der Kostenfestsetzung keine Zuständigkeit gegeben sei. Insbesondere habe der für die Festsetzung zuständige Spruchkörper nicht die inhaltliche Berechtigung einer erfolgten zeitlichen Begrenzung zu prüfen. An der hiervon ebenfalls abweichenden Auffassung eines vormaligen Berichterstatters des Senats (Beschluss vom 09.08.2012 - L 5 SF 2/09 E, BeckRS 2012, 72463) werde nicht festgehalten.

Praxishinweis

Das LSG Sachsen konterkariert mit der berichteten Entscheidung den Willen des Gesetzgebers. Denn dieser wollte mit dem neu eingeführten Abs. 4 von § 48 RVG eine «Unsitte» in der Sozialgerichtsbarkeit abstellen, die den Aufwand in Verfahren über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Rahmengebühren berücksichtigen wollte (vgl. LSG Schleswig-Holstein, NZS 2009, 534; BT-Drucks. 17/11471 (neu), 270; Mayer Das neue Gebührenrecht, § 1 Rn. 78). Was die dem Gericht eingeräumte Möglichkeit anbelangt, im Bewilligungsbeschluss nach § 48 Abs. 1 RVG etwas anderes zu bestimmen, führt die Gesetzesbegründung aus, dass hierfür ein besonders rechtfertigender Grund vorliegen müsse, was etwa der Fall sein könne, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten hierfür Anlass gegeben habe (BT-Drucks. 17/11471 (neu), 270). Es ist mehr als zweifelhaft, ob alleine die Tatsache, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erst nach einem Hinweis des SG eingereicht wird, ein solcher «besonders rechtfertigender Grund» ist.

LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.06.2020 - L 5 AS 465/19 B (SG Magdeburg), BeckRS 2020, 26320