Urteilsanalyse
Befreiung von der Zuzahlung für eine Wertmarke
Urteilsanalyse
urteil_lupe
© Stefan Yang / stock.adobe.com
urteil_lupe

Weder die Gewährung von Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel SGB XII noch darlehensweise Leistungen zur Finanzierung von Zuzahlungen für Leistungen der Krankenversicherung noch Bekleidungsbeihilfen begründen nach Ansicht des LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf Befreiung von der Zuzahlung für eine Wertmarke gem. § 145 Abs. 1 SGB IX a.F. = § 228 SGB IX n.F.

26. Jan 2022

Anmerkung von

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 02/2022 vom 21.01.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

Der Kläger begehrt vom beklagten Land Befreiung von dem Eigenanteil von 80 EUR für eine Wertmarke nach § 145 SGB IX a.F. (Zeitraum 2017 bis 2018). Bei ihm wurde zuletzt ein GdB von 100 und die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G, B und aG festgestellt. Er wohnt in einem Seniorenpflegezentrum und erhielt Hilfe in Einrichtungen nach dem SGB XII (Hilfe zur Pflege), jedoch keine Hilfe zum Lebensunterhalt wegen eines ausreichenden Eigeneinkommens. Neben einem Pflegewohngeld wurden dem Kläger Bekleidungsbeihilfen und darlehensweise Leistungen zur Finanzierung von Zuzahlungen für Leistungen der Krankenversicherung gewährt. Im Ergebnis – so meint der Kläger – erhalte er damit laufende Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII, so dass ihm die Benutzung des Nahverkehrs kostenfrei mit Hilfe der Wertmarke ermöglicht werden müsse. Das SG weist die Klage ab. Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens.

Entscheidung

Das LSG weist den Antrag zurück. Im streitigen Zeitraum hat der Kläger keine laufenden Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII bezogen. Dies hat der Rhein-Sieg-Kreis auf Nachfrage nochmals ausdrücklich bestätigt. Die Hilfe zur Pflege, die bewilligt wird, und das nach dem Landesrecht ihm gewährte Pflegewohngeld stehen den laufenden Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII nicht gleich. Die Berechnungsbögen nach § 27 b SGB XII wurden nur zur Berechnung der Höhe der Hilfe zur Pflege angefordert.

Dass nach der Rechtsprechung des BSG auch solche Personen Anspruch auf eine kostenfreie Wertmarke haben, die Leistungen in entsprechender Anwendung des 3. und 4. Kapitels des SGB XII erhalten, wie etwa Bezieher von Leistungen nach § 2 AsylbLG führt zu keinem anderen Ergebnis. Eine analoge Anwendung auf den Fall des Klägers scheitert schon an einer planwidrigen Regelungslücke und ist auch aus Gründen der Gleichbehandlung nicht geboten. Der Kläger verfügt über Einkommen, das den Bedarf nach § 27 b SGB XII deckt. Eine bloße wirtschaftliche Vergleichbarkeit ist nicht ausreichend.

Praxishinweis

Der PKH-Beschluss setzt sich ausführlich mit der Rechtsprechung des BSG, aber auch anderer Landessozialgerichte auseinander und folgt nicht der Kommentierung von Masuch (Hauck/Noftz, § 228 SGB IX, Rn. 68), der sich für eine analoge Anwendung der Befreiungsvorschrift in Fällen wie den vorliegenden ausspricht.

Das LSG Hamburg hat mit Beschluss vom 13.08.2018 (BeckRS 2018, 21257) den Anspruch auf kostenfreie Wertmarke auch in den Fällen verneint, in denen der Anspruchsteller Eingliederungshilfe nach den Bestimmungen des SGB XII bezog.

LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.05.2021 - L 13 SB 65/19, BeckRS 2021, 23665