Standpunkt
Beauskunftung ist Silber, Schweigen ist Gold
Standpunkt
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Immer öfter berichtet die Presse über immer aufsehenerregendere Vorwürfe – häufig verbunden mit der Aufforderung an Polizei und Staatsanwaltschaft, Ermittlungen aufzunehmen und diese öffentlichkeitswirksam zu bestätigen. Nicht selten kommen die Behörden dem nach. Medien und Staat berufen sich dabei auf das Auskunftsrecht der Presse. Dass das aber bei näherer Betrachtung der hierzu ergangenen Rechtsprechung oft zu kurz gedacht ist, wird hier verdeutlicht.

14. Jun 2023

„Dass eine Anzeige eingegangen ist, müssen wir der Presse aber bestätigen! Die hat nämlich einen Informationsanspruch!“ So oder so ähnlich verteidigen sich Ermittlungsbehörden gerne, wenn man diese im Vorfeld drohender Berichte kontaktiert, um auf die Pflichten der Behörden und die Rechte der Betroffenen hinzuweisen. Und so oder so ähnlich argumentiert regelmäßig auch die Presse, wenn sie entsprechende Informationen vom Staat erhalten möchte – so auch der Tagesspiegel in einem Kommentar vom 13.06.2023. Unter der Überschrift „Ermittlungen gegen Rammstein?: Was das Schweigen der Justiz zu sagen hat“ formuliert der Autor hierzu: „Die Staatsanwaltschaft darf – und muss – deshalb klar sagen, ob sie den Fall in den Blick genommen hat, und sei es nur im Stadium einer „Vorprüfung“. Behörden haben Informationen über ihr Handeln zu erteilen.“ Hintergrund des Berichts ist offenbar eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Berlin, die zu dem Thema keine weitere Auskunft erteilen möchte: „Grund: Man habe die Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung zu beachten – und jede Vorverurteilung zu vermeiden.“

Was sagen die Landespressegesetze?

Wer hat nun Recht? Relevant sind zunächst die jeweiligen Landespressegesetze. In Berlin heißt es in § 4 Abs. 1 PresseG BE dazu explizit: „Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse, die sich als solche ausweisen, zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe Auskünfte zu erteilen.“ Auf diese (bzw. gleichlautende) Regelung berufen sich vor allem Pressevertreter – verständlicherweise – oftmals. Aber die Norm hat weitere Absätze, und in § 4 Abs. 2 PresseG BE finden sich bereits gesetzlich normierte Verweigerungsgründe – unter anderem bei der drohenden Verletzung eines schutzwürdigen privaten Interesses. Dies führt dazu, dass die Behörde vor einer Beauskunftung eine umfassende Einzelfallabwägung aller wechselseitigen Interessen durchführen muss (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 17.10.2017 – 4 B 786/17, BeckRS 2017, 144993; vgl. auch Nrn. 23, 4a RiStBV) – die im Übrigen in der Praxis kaum spontan am Telefon erfolgen kann und für jede Anfrage (und Antwort) vollständig, wahrheitsgetreu und schriftlich in den Behördenakten festgehalten werden muss (vgl. VG Wiesbaden, Urt. v. 28.12.2016 – 6 K 332/16.WI, BeckRS 2016, 112634).

Grundsätze der Verdachtsberichterstattung

Dass der Staat im Rahmen dieser Abwägung die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung zu berücksichtigen hat, wurde bereits mehrfach gerichtlich bestätigt (vgl. u.a. OVG NRW, Beschl. v. 04.02.2021 – 4 B 1380/20, BeckRS 2021, 1073; OLG Hamm, Urt. v. 14.11.2014 – 11 U 129/13, BeckRS 2015, 5525). Insofern gilt: „Nach diesen Grundsätzen ist für die Veröffentlichung eines Tatverdachts ein Mindestbestand an Beweistatsachen erforderlich. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung enthalten. Sie darf nicht auf Sensation ausgehend, bewusst einseitig oder verfälschend sein, sondern muss auch die zur Verteidigung des Beschuldigten vorgetragenen Tatsachen und Argumente berücksichtigen. Vor der Veröffentlichung ist regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen“ (so VG Regensburg, Urt. v. 23.07.2019 – RO 4 K 17.1570, BeckRS 2019, 20868). In den hier interessierenden Fällen mangelt es dabei oftmals schon am erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen. Hierzu führte etwa das LG Köln (Beschl. v. 19.08.2019 – 28 O 344/19, BeckRS 2019, 23529) aus: Die Voraussetzungen einer zulässigen, den Ast. identifzierenden Verdachtsberichterstattung liegen nicht vor, auch wenn an dem Gegenstand des im Raum stehenden Vorwurfs ein Berichterstattungsinteresse besteht und auch an der Person des Ast. aufgrund seines Bekanntheitsgrades und seiner auch gegenwärtigen Präsenz in den Medien ein nicht unerhebliches öffentliches Interesse zu bejahen ist. Denn es fehlt an einem Mindestbestand an Beweistatsachen, die für die Richtigkeit des vermittelten Verdachts sprechen könnten. Die vorliegende Strafanzeige reicht hierzu ebenso wenig aus wie die auf ihrer Grundlage eingeleiteten staatsanwaltlichen Ermittlungen, und aus dem Umstand, dass Durchsuchungsmaßnahmen stattgefunden haben, ist nicht ersichtlich, dass sich der Anfangsverdacht weiter erhärtet haben könnte.Eine Strafanzeige, die jederzeit (auch anonym) erstattet werden kann, reicht für eine Mitteilung gegenüber der Presse daher regelmäßig ebenso wenig aus wie bloße Vorermittlungen bzw. Vorprüfungen.

Aber auch ein bereits eingeleitetes Ermittlungsverfahren ist regelmäßig nicht berichtenswert, was der Bundesgerichtshof (Urt. v. 16.02.2016 – VI ZR 367/15, BeckRS 2016, 5830) wie folgt für die presserechtliche Verdachtsberichterstattung festhielt: „Besteht allerdings – wie im Ermittlungsverfahren – erst der Verdacht einer Straftat, so sind die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet. Dabei ist im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf »etwas hängenbleibt«.“ Bis zur erstinstanzlichen Verurteilung geht der Bundesgerichtshof regelmäßig sogar davon aus, dass es kein Interesse an der Offenlegung der Identität des Betroffenen eines Ermittlungsverfahrens gibt (Urt. v. 18.06.2019 – VI ZR 80/18, BeckRS 2019, 16175). Das gilt für den kundgebenden (und anders als die Presse unmittelbar grundrechtsgebundenen) Staat erst recht. Eine Auskunft an die Presse kommt demnach regelmäßig frühestens dann in Betracht, wenn sich ein Tatverdacht „bereits einigermaßen erhärtet hat“ (OVG NRW, BeckRS 2021, 1073).

Stellungnahme des Betroffenen

Betont sei zudem erneut, dass die Rechtsprechung regelmäßig verlangt, dass der Staat vor der Beauskunftung eine Stellungnahme des Betroffenen einholt – denn nur so kann der Staat ausgewogen und vollständig berichten und ggf. entlastende Aspekte mitteilen. Auch dies spricht also dagegen, zuerst die Presse zu informieren.

Vorsorglich sei betont: Selbstverständlich existieren in der Rechtsprechung zur Verdachtsberichterstattung zahlreiche verschiedene weitere Abwägungskriterien (etwa Prominenz des Betroffenen und mögliche eigene Aussagen, Relevanz des Deliktes etc.; vgl. OVG NRW, BeckRS 2021, 1073) – und es ist auch Kernaufgabe der Presse, über mögliche Verfehlungen zu berichten (und sich darüber auch zu informieren). Im hier relevanten (frühen) Stadium des Verfahrens, bei dem der Staat aber gerade noch prüft, was überhaupt passiert sein soll, sind die vorstehend benannten Grundsätze stets zu berücksichtigen – und stehen regelmäßig der hier begehrten Auskunft entgegen.  

Faires Verfahren und Waffengleichheit

Dass der Betroffene nicht aus der Presse erfahren sollte, dass der Staat gegen ihn ermittelt, vorprüft o.ä., ist in einem Rechtsstaat zudem eine Selbstverständlichkeit – und entspricht den Vorgaben der Garantie des fairen Verfahrens und dem Grundsatz der Waffengleichheit (vgl. VG Regensburg, BeckRS 2019, 20868; VGH München, Beschl. v. 20.08.2020 – 7 ZB 19.1999, BeckRS 2020, 20693). Bevor der Staat also die Presse informiert, muss er den Betroffenen – nicht nur nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung (s. oben) – selbst informiert haben. Auch das spricht gegen die Zulässigkeit von amtlichen Mitteilungen über bloß eingegangene Anzeigen oder bloße Vorermittlungen.

 Die vorstehenden Grundsätze haben dabei nicht nur eine verwaltungsrechtliche bzw. zivilrechtliche Seite. Nach der Rechtsprechung stellt etwa die bloße (bislang geheime) Existenz eines Ermittlungsverfahrens ein „Geheimnis“ im Sinne des § 353b StGB dar (OLG Dresden, Beschl. v. 11.09.2007 – 2 Ws 163/07, BeckRS 2007, 16399). Das unbefugte (s.o.) Offenbaren dieses Geheimnisses kann daher bei Erfüllung der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen zu einem weiteren Ermittlungsverfahren führen – dann aber gegen den zu auskunftsfreudigen Amtsträger. Auch dies spricht gegen eine vorschnelle Beauskunftung – bei aller anerkennenswerten Informationsinteressen der Presse.

Im Ergebnis hat die Presse daher selbstverständlich einen – verfassungsrechtlich durch Art. 5 Abs. 1 GG absicherten – Informationsanspruch. Dieses „Informationsverfahren“ ist indes nicht bloß zweiseitig gestaltet – die Rechte des Betroffenen sind ebenso gewichtig wie die der Presse. Und dieser Anspruch greift nicht bedingungslos, sondern ist von einer Vielzahl an Faktoren, Stadien und Abwägungen abhängig. Die bloße Mitteilung über eine eingegangene Anzeige oder eine sog. Vorprüfung der Staatsanwaltschaft ist aber fast immer rechtswidrig. 

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Rechtsanwalt Dr. Christian Conrad, Partner bei Höcker Rechtsanwälte PartGmbB, Köln.