Allein von Januar 2022 bis April 2023 umfasst das beA-Störungsarchiv 65 Seiten. Darunter befinden sich Harmlosigkeiten wie nächtliche Wartungsarbeiten ab 00:00 Uhr bis in die frühen Morgenstunden: Ohnehin Zeit für die Angehörigen der Rechtspflege, sich Morpheus Armen hinzugeben. Andere Störungen sind nicht harmlos: Wartungsarbeiten tagsüber oder gar in den Abendstunden mit der Folge einer teilweisen Nichtverfügbarkeit des elektronischen Postfachs – der verbreitete anwaltliche Kurzvorknappfristenstress ist bei beA wohl unbekannt –, Ausfälle der Signierfunktion, „Großstörungen“ wie Anfang der letzten Aprilwoche in Niedersachsen oder in den Tagen davor in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Saarland und dem Bund: Tage- oder auch nur stundenlange Nichterreichbarkeit der Justiz in einzelnen Regionen sind keine Raritäten, sondern häufig.
Damit stehen der Zugang zu den Gerichten und mit ihm das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes in Rede: Der in allen Verfahrensordnungen vorgeschriebene Übermittlungsweg funktioniert – anders als der Briefkasten – nicht störungsfrei. Zwar wird bei Störung die Ersatzeinreichung auf „klassischem“ Weg möglich. Sie erfordert aber Glaubhaftmachung der technischen Störung und damit höheren Aufwand, auch birgt sie rechtliche Risiken, weil die Glaubhaftmachung „unverzüglich“ zu erfolgen hat: Muss die technische Unmöglichkeit, wenn sie sich erst „kurz vor knapp“ herausstellt, noch vor Mitternacht glaubhaft gemacht werden oder reicht der nächste Tag (BGH, NJW 2023, 456)? Zudem zwingt die Ersatzzustellung aus der Elektronik ins Papier: Anders sind ein Brief und ein gehöriges Fax nicht zu haben. Auch lässt die beA-Fehlermeldung als solche nicht erkennen, wo der Fehler liegt: Eigene Blödheit? Eine Macke des eigenen Geräts? Ein Kabelknabbermarder? Der Russ’? Eine Benennung der Fehlerursachen könnte helfen. Und wäre in Störungsfällen nicht mit dem klarstellenden Hinweis gedient: „Technische Störung. Nehmen Sie eine Ersatzeinreichung vor“, unter gleichzeitiger Mitteilung an die (jeweils betroffenen) Justizbehörden, dass (bei dem Einreicher) eine technische Störung vorliegt? So viel künstliche Intelligenz sollte möglich sein; sie ersparte das Glaubhaftmachungsgedöns. Vor allem aber: Mit seiner Störungsanfälligkeit ist beA bei aller Bequemlichkeit, die es bietet, wenn der Elektrolurch in Ruhe seiner Arbeit nachgeht, ungeeignet, zuverlässigen Zugang zur Justiz zu gewährleisten. Das System bedarf der Überarbeitung.
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