NJW-Editorial
Bahnstreiklimits zum Klimaschutz
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Auch während eines Streiks müssen Züge fahren, wie es in manchen anderen Ländern der Fall ist. Ein gesicherter Notfallbetrieb ist aus Gründen des Klimaschutzes normativ zu verankern oder von den Gerichten abzuleiten, um den verlässlichen Umstieg von der Straße auf die Schiene zu ermöglichen. Das fordert Prof. Dr. Walter Frenz.

21. Mrz 2024

Der jüngste Bahnstreik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat als Wellenstreik eine neue Dimension: Es kann jederzeit, auch ohne ausreichende Vorwarnung, die Arbeit niedergelegt werden, Notfallpläne können so kaum aufgestellt werden. Das ArbG Frankfurt a.M. (Urt. v. 11.3.2024 – 12 Ga 37/24, becklink 20300116) und das LAG Hessen (Urt. v. 12.3.2024 – 10 GLa 229/24, becklink 2030128) hielten den Streik dennoch für rechtmäßig.

„Damit ist die Eisenbahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr“, betonte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky in einer Pressekonferenz Anfang März. Wie aber soll die Verkehrswende gelingen, wenn die Bahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr ist, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Pünktlichkeit, sondern überhaupt nicht? Der Umstieg von der Straße auf die Schiene ist essenziell für die Einsparung von CO2-Emissionen im Verkehrsbereich. Auf ihm ruht daher wesentlich der Erfolg des Klimaschutzes.

Wenn jetzt also nach dem erneuten Ausstand der Lokführer wieder der Ruf nach einer Beschränkung des Streikrechts für kritische Infrastrukturen laut wird, stellt sich daher die Frage, ob nicht auch der Klimaschutz Einschränkungen des Streikrechts legitimieren kann. Zwar ist die Mobilitätswende nicht verpflichtend, aber im Klima-Beschluss des BVerfG eigens benannt (NJW 2021, 1723 Rn. 249). Die Verlässlichkeit der Bahn zu garantieren, bildet dabei einen wesentlichen Aspekt der an besagter Stelle der Entscheidung angesprochenen langfristigen Umgestaltung einer wichtigen Infrastruktureinrichtung. Deshalb kann eine Einschränkung des Streikrechts im Bahnverkehr auch auf das Klimaschutzgebot in Verbindung mit den Freiheitsgrundrechten nachfolgender Generationen gestützt werden. Zumal das Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung mit dem Voranschreiten des Klimawandels weiter zunimmt (BVerfG NJW 2021, 1723 Rn. 192, 198 aE). Da das 1,5-Grad-Ziel schon praktisch kaum mehr realisierbar ist, sind besonders große Anstrengungen für einen wirksamen Klimaschutz im Verkehrsbereich nötig.

Es bedarf daher eines fortlaufend funktionierenden Bahnbetriebs auch bei Streik, wie es beispielsweise in Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien der Fall ist. Ein gesicherter Notfallbetrieb ist aus Gründen des Klimaschutzes normativ zu verankern oder von den Gerichten abzuleiten, um den verlässlichen Umstieg von der Straße auf die Schiene zu ermöglichen. Dieser Ansatz trägt auch auf EU-Ebene, wo Art. 28 GRCh das Streikrecht, zugleich aber den Zugang zu Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Art. 36 GRCh) gewährleistet, so dass deren Funktionsfähigkeit als Wesenskern gesichert werden kann (Frenz Hdb EuR 4/II, 2. Aufl. 2024, Rn. 4867).

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Prof. Dr. Walter Frenz, Maître en Droit Public, RWTH Aachen University.