Interview

Backstage Hauptversammlung
Interview

Die Hauptversammlungssaison 2025 läuft auf Hochtouren. Die jährlichen Aktionärs­treffen sind auch juristisch eine Herausforderung, weshalb sie von zahlreichen Anwältinnen und Anwälten begleitet werden. Über den besonderen Reiz solcher Mandate und aktuelle Rechtsfragen rund um die Hauptversammlung haben wir uns mit Dr. Katharina Stüber von Baker McKenzie unterhalten.

25. Jun 2025

NJW: Sie begleiten seit Jahren Hauptversammlungen von DAX-Konzernen. Wie läuft ein solches Mandat ab? Was sind Ihre Aufgaben, was die gängigen Rechtsfragen, mit denen Sie zu tun haben?

Stüber: Die Mandate sind äußerst vielfältig und unterscheiden sich je nach Gesellschaft und Agenda teils ­erheblich. Häufig beginnt unsere Arbeit bereits viele Monate vor dem eigentlichen Termin. Zu Beginn steht die Zusammenstellung der Tagesordnung im Fokus. Neben den Standardbeschlüssen, wie etwa der Gewinnverwendung sowie der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, wird gemeinsam mit dem Mandanten geprüft, welche weiteren Beschlüsse gefasst werden sollen. Unsere Klienten erwarten zudem, dass wir sie über aktuelle Marktstandards und Trends informieren. Im weiteren Verlauf müssen zahlreiche Dienstleister aufeinander abgestimmt werden – von der Location über den Hauptversammlungs-Dienstleister, Security, Technik, Stenografen bis hin zu Caterern. In der Ge­neralprobe werden schließlich alle Abläufe getestet: Funktioniert die Frage-und-Antwort-Software? Ist der Vorstand mit der Mikrofon- und Bühnentechnik vertraut? Gibt es noch Abstimmungsbedarf zwischen Versammlungsleiter und rechtlichen Beratern? All diese Vorbereitungen sind essenziell, um einen ­reibungslosen Ablauf am Tag der Versammlung zu gewährleisten.

NJW: Wie groß sind die Anwaltsteams, die bei einer DAX-Hauptversammlung im Back-Office vor Ort sind?

Stüber: Das klassische Back-Office ist tatsächlich nur ein Teil der anwaltlichen Arbeit am Tag der Hauptversammlung. Die Größe des vor Ort tätigen Teams ­richtet sich maßgeblich nach der Komplexität der jeweiligen Versammlung. Stehen kritische Beschlussfassungen an, etwa zu Strukturmaßnahmen wie Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen oder Squeeze-outs, sind wir meist mit größeren Teams präsent. Bei kleineren Gesellschaften mit einer Standardagenda betreue ich die Versammlung durchaus auch allein vor Ort. Nicht zu unterschätzen ist das sogenannte Back-Back-Office: Kolleginnen und Kollegen aus der Kanzlei, die im Büro für kurzfristige Recherchefragen zur Verfügung stehen. Besonders wichtig ist vielen Mandanten die enge Betreuung des Versammlungsleiters – sei es direkt auf der Bühne oder unmittelbar in der Nähe. So können wir bei allen auftauchenden Fragen schnell reagieren und Rechtssicherheit vermitteln. Dabei spielt auch die Psychologie eine große Rolle, denn gerade in kritischen Situationen ist eine ruhige, souveräne Begleitung gefragt.

NJW: Was macht den besonderen Reiz dieser Form der Beratung aus, was macht sie schwierig?

Stüber: Die Beratung ist rechtlich anspruchsvoll und erfordert ein hohes Maß an Flexibilität. Keine Hauptversammlungssaison gleicht der vorangegangenen – ständig gibt es neue Entwicklungen. Besonders reizvoll ist für mich die enge Zusammenarbeit mit den verschiedensten Fachabteilungen des Mandanten – Legal, Investor Relations, Finance, Board Office – sowie mit externen Dienstleistern. Im Idealfall funktioniert alles wie ein perfekt abgestimmtes Uhrwerk. Die Herausforderung besteht darin, möglichst viele Eventualitäten im Vorfeld zu antizipieren.

NJW: Wie bereitet man sich auf so etwas vor? Geht das überhaupt?

Stüber: Die Vorbereitung ist ausgesprochen vielschichtig. Wir bereiten uns auf verschiedenste Szenarien vor. Ein wichtiger Aspekt ist die Analyse, wie sich sogenannte Stimmrechtsberater zu den einzelnen Tagesordnungspunkten positionieren. Gegebenenfalls empfehlen wir auch eine gezielte Shareholder Solicitation oder eine Governance Roadshow, um über die eigenen Vorhaben aufzuklären.

NJW: Gibt es in dieser Saison spezielle Rechtsfragen, die die Hauptversammlungen besonders beschäftigen?

Stüber: In dieser Saison steht insbesondere die Ermächtigung zur Durchführung virtueller Hauptversammlungen im Fokus. Bei vielen Unternehmen ist die bisherige Satzungsermächtigung aufgrund von Zeit­ablauf nun ausgelaufen. Einige Stimmrechtsberater lehnen virtuelle Hauptversammlungen pauschal ab oder setzen hohe Hürden, was die Beschlussfassung erschwert. Einige Gesellschaften haben bereits die notwendige Beschlussmehrheit nicht erreicht und müssen ab dem kommenden Jahr wieder Präsenz-Hauptversammlungen abhalten. Ein weiteres zentrales Thema ist die erneute Vorlage der Vorstandsvergütungssysteme. Die Unternehmen sehen sich hier nicht nur umfangreichen gesetzlichen Anforderungen, sondern auch sehr unterschiedlichen Erwartungen verschiedener Stakeholder gegenüber.

NJW: Stichwort virtuelle Hauptversammlung: Nicht wenige werden, wenn nicht virtuell, dann doch zumindest hybrid durchgeführt. Macht das die anwaltliche Begleitung einfacher oder eher anspruchsvoller?

Stüber: Die anwaltliche Begleitung unterscheidet sich je nach Format durchaus. Die erstmalige Einführung ­eines Formats ist mit einem gewissen Mehraufwand verbunden, da viele Prozesse neu gedacht und umgesetzt werden müssen. Eine echte hybride Form, also die gleichzeitige Durchführung als Präsenz- und vir­tuelle Hauptversammlung, findet derzeit nicht statt, da der Aufwand erheblich höher ist. Verschiedene Mischformen, etwa punktuelle virtuelle Angebote im Rahmen einer Präsenz-Hauptversammlung, gab es allerdings schon vor Corona und sind leichter umsetzbar.

NJW: Kritiker der virtuellen Hauptversammlung monieren eine Beschneidung der Aktionärsrechte durch die Teilnahmebedingungen. Wie sehen Sie das?

Stüber: Rechtlich betrachtet gibt es keine Beschneidung der Aktionärsrechte in einer virtuellen Haupt­versammlung. Im Gegenteil: In mancher Hinsicht haben Anteilseigner sogar mehr Rechte als in der klassischen ­Präsenz-Hauptversammlung. Hier hat jeder Aktionär das Recht, Stellungnahmen im Vorfeld der Hauptversammlung einzureichen, die die Gesellschaft zu ver­öffentlichen hat. Gerade für viele Kleinaktionäre steht der Kostenaufwand für die Anreise nicht im Verhältnis zu der erwarteten Dividende. Aus dieser Perspektive fördert die virtuelle Hauptversammlung die Aktionärsdemokratie. Richtig ist allerdings, dass der spontane und auch informelle ­Austausch – etwa durch Zwischen­rufe oder unmittelbare Reaktionen aus dem Publikum – in der virtuellen Hauptversammlung bislang nicht stattfindet.

NJW: Wie ließe sich dieses Defizit beheben?

Stüber: Hier gibt es zwei Ansatzpunkte: Zum einen kann die virtuelle Hauptversammlung durch technische Weiterentwicklungen interaktiver gestaltet werden. Die entsprechenden Tools sind teilweise bereits vorhanden und sollten in der Praxis weiterentwickelt ­werden. Das gelingt aber nur, wenn das virtuelle Format auch tatsächlich genutzt und weiter erprobt wird – am Reißbrett allein funktioniert das nicht. Zum anderen sollten wir weniger über das Format und mehr über die inhaltliche Ausgestaltung der Hauptversammlung der Zukunft sprechen: Was wünschen sich Aktionäre, Investoren und Unternehmen? Hierzu sollten wir einen konstruktiven Dialog führen.

NJW: Tesla hat Mitte Mai für Aufsehen gesorgt, weil das Unternehmen die Klagemöglichkeit von Minderheitsaktionären gegen das Management an eine Mindestaktienquote koppeln will. Wäre es auch in Deutschland denkbar oder möglicherweise sogar sinnvoll, die Wahrnehmung von Aktionärsrechten von einem bestimmten Aktienvolumen abhängig zu machen?

Stüber: Teilweise existieren Quoren im deutschen Recht bereits. Hier könnte der Gesetzgeber durchaus nachjustieren, wenn dies als sinnvoll erachtet wird. ­Allerdings dürfte allein der Blick auf diesen nicht ausreichen. Entscheidend wird der Dialog da­rüber sein, wie die Hauptversammlung der Zukunft aussehen soll. Ich rege diese Debatte immer wieder an und beteilige mich aktiv daran, denn nur so können wir die Bedürfnisse aller Beteiligten angemessen berücksichtigen und die Aktionärstreffen weiterentwickeln.

Neben dem Jurastudium absolvierte die promovierte Volljuristin Dr. Katharina Stüber ein BWL-Studium, das sie als Diplom-Kauffrau abgeschlossen hat. Sie ist Partnerin im Bereich Corporate/M&A bei Baker McKenzie in Frankfurt a.M. Daneben engagiert sie sich für einen starken Kapitalmarkt in Deutschland und ist Gründerin der Initiative FeMale Leaders by ­Baker McKenzie.

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Interview: Monika Spiekermann.