Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 19/2021 vom 24.09.2021
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Sachverhalt
Die Beteiligten – die klagende GmbH und die beklagte Rentenversicherung – streiten darüber, ob die Tätigkeit des beigeladenen Gesellschafter-Geschäftsführers der klagenden GmbH in der Zeit von 2010 bis 2013 in Form der Beschäftigung gem. § 7 SGB IV ausgeführt wurde Unternehmensgegenstand der klagenden GmbH ist die Kfz-Reparatur und der Verkauf von Kfz. Vom Stammkapital von 25.000 EUR hielt der Beigeladene zunächst 6.400 EUR und ab 2012 8.500 EUR. Für Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung greift die gesetzliche Regelung. Der Beigeladene schloss im Jahre 2009 eine nicht notariell beurkundete Stimmrechtsbindungsvereinbarung zu seinen Gunsten mit zwei weiteren Gesellschaftern, die jeweils 6.200 EUR anteilig hielten. Der Beigeladene war seit Gründung der Gesellschaft im Dezember 2005 zum einzigen Geschäftsführer bestellt. Zum 01.07.2009 schloss er mit der klagenden GmbH einen Geschäftsführervertrag, in dem unter anderem eine Aufwandsentschädigung und Provision für den Neuwagenverkauf vereinbart wurden.
Die BG Metall stellte fest, dass der Beigeladene nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung pflichtversichert sei. Als Gesellschafter-Geschäftsführer habe er eine beherrschende Stellung inne und könne mit seinen Stimmen in der Gesellschafterversammlung ihm nicht genehme Beschlüsse verhindern. Die beklagte DRV kam in einer Betriebsprüfung im Jahre 2015 zu dem Ergebnis, dass der Beigeladene ab dem 01.01.2010 in einem Beschäftigungsverhältnis zur GmbH stand und verpflichtete die Klägerin dazu, Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung nachzuzahlen. Klage und Berufung blieben erfolglos. Der Beigeladene habe Kraft seiner Gesellschafterstellung nicht die Möglichkeit gehabt, Weisungen an sich zu verhindern. Eine Sperrminorität sei ihm nicht eingeräumt gewesen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die vor allem darauf abstellt, dass sie auf die Richtigkeit des Bescheides der BG vertraut habe und hätte vertrauen können.
Entscheidung
Das BSG weist die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zurück. Es fehle eine hinreichende Darlegung, inwiefern die Rechtsprechung des Senats zur Elementen-Feststellung sowie zur kontextabhängigen und bereichsspezifischen Auslegung des Beschäftigungsbegriffs die vom Kläger gestellte Rechtsfrage nach der Tatbestandswirkung des Bescheides der BG beantworte. Die Klägerin verkenne die unterschiedlichen Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der GUV und GRV und deren Folgen für eine eventuelle Bindungswirkung von Verwaltungsakten zur Versicherungspflicht.
Nach der Rechtsprechung des Senats dürften die Beitragspflichtigen nicht für eine zurückliegende Zeit mit einer Beitragsnachforderung überrascht werden, die im Widerspruch stehe zu dem vorangegangenen Verhalten der Verwaltung, auf deren Rechtsmäßigkeit sie vertraut hätten und hätten vertrauen dürfen (BSG vom 19.09.2019 – B 12 KR 21/19 R). Fraglich sei schon, ob dem Bescheid der BG der gleiche Sachverhalt zugrunde gelgen habe und die BG auch über die Frage entschieden habe, die für die hier angefochtenen Bescheide maßgeblich gewesen seien.
Praxishinweise
1. Die Fallkonstellation taucht öfter auf: Die Berufsgenossenschaften sind hinsichtlich der Selbständigkeit von Geschäftsführern jedenfalls in der Vergangenheit deutlich großzügiger gewesen als dies für den 12. Senat galt und gilt, obwohl § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII exakt an den gleichen Tatbestand knüpft, nämlich den einer „Beschäftigung“. Es gibt keiner Anzeichen dafür, dass der Gesetzgeber mit dem Wort „Beschäftigte“ in § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII etwas anderes meint als mit dem gem. § 7 SGB IV maßgeblichen Begriff „Beschäftigung“. So gesehen ist das Anliegen der Klägerin, jedenfalls für die Vergangenheit nicht mit Beiträgen belegt zu werden, durchaus nachvollziehbar und seriös. Dies auch unter dem Gesichtspunkt, dass es hier um die Jahre 2010 bis 2013 geht, also einen lange zurückliegenden Zeitraum, in dem oft genug auch seitens der Krankenkassen noch auf Selbständigkeit erkannt wurde, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer in der Firma „das Sagen“ hatte – einerlei, ob er über die Mehrheit der Anteile verfügte oder nicht.
2. Der 2. Senat des BSG hat allerdings Öl ins Feuer gegossen: Mit Urteil vom 15.12.2020 – B 2 U 4/20 R hat er entschieden, dass Vorstandsmitglieder einer nicht beherrschten AG in dieser Funktion bei typisierender Betrachtung wie Unternehmer selbständig tätig und deshalb generell nicht als Beschäftigte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert sind. Das ergebe sich – so der 2. Senat – aus § 6 Abs. 1 SGB VII, wonach sich Personen, die in Kapitalgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind, freiwillig in der gesetzlichen Unfallversicherung versichern können. Daraus lasse sich im Umkehrschluss folgern, dass diese Personen von vornherein keine Beschäftigten seien und deshalb – anders als im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und dem der Arbeitsförderung – auch nicht durch Sondervorschriften von der Versicherungspflicht befreit werden müssten. Ob Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft auf den Schutz der Sozialversicherung wirklich angewiesen sind, darüber lässt sich trefflich streiten. Gesetzgeber und 12. Senat des BSG verfolgen das Ziel einer „flächendeckenden“ Versicherung, jedenfalls im Bereich der Kranken- und Rentenversicherung. Historisch zielt die gesetzliche Unfallversicherung auf den Schutz der gewerblichen Arbeitnehmer, auch wenn sie daraus längst herausgewachsen ist und insbesondere durch die unechte Unfallversicherung weit in das soziale Entschädigungsrecht ausstrahlt.
BSG, Beschluss vom 01.06.2021 - B 12 R 6/21 B (LSG Bayern), BeckRS 2021, 22282