Urteilsanalyse
Außerordentliche Kündigung unverzüglich nach Zustimmung des Integrationsamts
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Nach einem Urteil des BAG vom 27.02.2020 kann nach § 174 V SGB IX eine außerordentliche Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 II 1 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes erklärt wird.

16. Jun 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Sebastian Ernst, Gleiss Lutz,, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 23/2020 vom 10.06.2020

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Sachverhalt

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 16.3.2016 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos. Die Klägerin informierte die Beklagte mit Schreiben vom 28.3.2016 über ihren am 3.2.2016 beim Landesamt für Gesundheit und Soziales gestellten Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung und auf Gleichstellung. Die Beklagte beantragte am 8.4.2016 die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer weiteren außerordentlichen Kündigung. Dieses erteilte die Zustimmung mit Bescheid vom 20. 4.2016, der beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 22.4.2016 einging. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 26. 4.2016, der Klägerin am 28.4.2016 zugegangen, das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut außerordentlich fristlos.

Das ArbG gab der Klage statt. Das LAG wies die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Frist nach § 626 II BGB zurück.

Entscheidung

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.

Die Kündigung sei nicht schon deshalb unwirksam, weil sie nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 626 II BGB erklärt wurde. Nach seinem Wortlaut überwinde § 174 V SGB IX den Ablauf der Frist des § 626 II 1 BGB stets dann, wenn die außerordentliche Kündigung unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes erklärt wurde. Zweck dieser Vorschrift sei es zu verhindern, dass der Arbeitgeber aufgrund des Zustimmungsverfahrens vor dem Integrationsamt die Ausschlussfrist zur außerordentlichen Kündigung nicht wahren könne. Ob die Vorschrift die Frist auch dann überwinde, wenn das Fristsäumnis nicht auf den Besonderheiten des Zustimmungsverfahrens beruhe, konnte das BAG in diesem Fall im Ergebnis offenlassen.

Entsprechend der Legaldefinition des § 121 I BGB bedeute unverzüglich auch i.S.d. § 174 V SGB IX „ohne schuldhaftes Zögern“. Der Begriff bedeute weder „sofort“, noch schreibe er einen genauen Zeitraum vor. Vielmehr folge er einer verständigen Abwägung der beiderseitigen Interessen. Nach mehr als einer Woche sei aber ohne besondere Umstände grds. nicht mehr von Unverzüglichkeit zu sprechen. Die Frist zur Stellung des Zustimmungsantrags beim Integrationsamt bestimme sich dagegen nach § 174 II SGB IX und sei der Prüfung durch die Arbeitsgerichte entzogen. Die Arbeitsgerichtsbarkeit sei an die Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt gebunden, solange sie nicht nichtig oder rechtskräftig aufgehoben sei.

Praxishinweis

Beim Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nach Zustimmung des Integrationsamts muss der Arbeitgeber nicht sofort, doch aber zügig und bedacht handeln. Maßgeblich ist die (erste) sichere Kenntnis von der Entscheidung des Integrationsamts. Wartet der Arbeitgeber nach der (fern-)mündlichen Mitteilung der Entscheidung erst den Eingang des schriftlichen Zustimmungsbescheids ab, zögert er bereits schuldhaft (BAG, BeckRS 2005, 42333).

Bei der Frage, ob eine Kündigung unverzüglich nach der Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochen wurde, kommt es zudem auf den Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer und nicht nur auf die unverzügliche Absendung des Kündigungsschreibens an (BAG, BeckRS 9998, 180015).

BAG, Urteil vom 27.02.2020 - 2 AZR 390/19 (LAG Berlin-Brandenburg), BeckRS 2020, 8389