Urteilsanalyse
Ausschluss haftungsbeschränkender Vereinbarungen
Urteilsanalyse
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Eine Vereinbarung über Ansprüche aus § 64 Satz 1 GmbHG aF unterliegt nach Ansicht des II. Senats des BGH auch dann dem Verzichts- und Vergleichsverbot, wenn ihr der vorläufige Insolvenzverwalter nach Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts zugestimmt hat.

28. Mai 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Dr. Michael Lojowsky, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 11/2021 vom 27.05.2021

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Sachverhalt

Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH und die Beklagte deren Mehrheitsgesellschafterin und Geschäftsführerin. Die Beklagte gewährte der Schuldnerin zwischen November 2013 und Juni 2014 unmittelbar und mittelbar über eine weitere Gesellschaft verschiedene Darlehen zur Überwindung einer angespannten finanziellen Situation. Zur Absicherung der Darlehen vereinbarten die Schuldnerin und die Beklagte eine Sicherungsübereignung und die Abtretung von Kundenforderungen. Am 16.4.2015 stellte der Generalbevollmächtigte der Schuldnerin einen Insolvenzantrag. Zur Vermeidung einer sofortigen Betriebsstilllegung sowie einer späteren Masseverbindlichkeit vereinbarten die Schuldnerin und die Beklagte mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters einen Verzicht auf jegliche vertragliche oder gesetzliche Sicherungsrechte. Weiter vereinbarten die Parteien, dass der Beklagten im Gegenzug der Betrag von den möglichen Haftungsansprüchen der Schuldnerin aus § 64 GmbHG abgezogen wird, den sie theoretisch dadurch verliert, dass sie auf ihre vom vorläufigen Insolvenzverwalter bestrittenen Sicherungsrechte verzichtet. Der Kläger nahm die Beklagte nach Insolvenzeröffnung aus § 64 GmbHG voll in Anspruch und beruft sich auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung. Das Landgericht sowie das Berufungsgericht haben die Vereinbarung als wirksam erachtet und die vereinbarte Verrechnung zugelassen.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat die Vereinbarung als unwirksam erachtet, dass Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes halte der Revision des Klägers nicht in allen Punkten stand.

Zwar sei die Auslegung der Vereinbarung durch das Berufungsgericht nicht zu beanstanden, da die Auslegung von Willenserklärungen grundsätzlich Angelegenheit des Tatrichters sei und Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkanstöße nicht vorgelegen hätten. Auch sei die streitgegenständliche Vereinbarung nicht wegen eines Verstoßes gegen den Verfahrenszweck unwirksam. Es komme für die Frage einer Insolvenzzweckwidrigkeit maßgeblich auf eine Gesamtbetrachtung der sich für die Masse ergebenden Auswirkungen an. Entsprechende Darlegungen zeige die Revision hingegen nicht auf.

Das Berufungsgericht habe allerdings rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Vereinbarung wirksam sei. Eine Vereinbarung zwischen der späteren Insolvenzschuldnerin und einem Geschäftsführer unterliege auch dann dem Verzichts- und Vergleichsgebot gem. § 9b Abs. 1 Satz 1 GmbHG aF, wenn ihr der vorläufige Insolvenzverwalter nach Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts zugestimmt habe. Ob dies auch gelte, wenn ein starker vorläufiger Verwalter bestellt werde, könne in dieser Entscheidung dahinstehen. Das gesellschaftsrechtliche Verzichts- und Vergleichsverbot werde erst durch den mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundenen Beschlag des Schuldnervermögens zu Gunsten der Gläubiger die die insolvenzrechtlichen Bestimmungen überlagert. Die Handlungen des Schuldners unterlägen trotz des Zustimmungsvorbehalts des vorläufigen Insolvenzverwalters weiterhin den gesellschaftsrechtlichen Bindungen.

Dieser Geltungsanspruch des Verzichts- und Vergleichsverbots werde auch nicht durch die mögliche Verweigerung der Zustimmung geschmälert. Zwar habe der Neunte Senat dem Insolvenzverwalter einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Verfolgung der Haftungsansprüche zugebilligt, wenn dies zur weitergehenden Kooperation mit dem Geschäftsführer notwendig sei und dies könne auch bereits im Eröffnungsstadium eintreten, jedoch sei nach Ansicht des entscheidenden Senats im Eröffnungsverfahren noch keine Entscheidung über die Anspruchsverfolgung erforderlich und somit es auch nicht zwingend geboten, bindende Verzichts- oder Vergleichsregelungen zu ermöglichen.

Auch rechtfertige die Anfechtungsmöglichkeit der Vereinbarung nach Insolvenzeröffnung keine andere Betrachtung. Zwar unterlägen auch Rechtshandlungen des Schuldners, denen der vorläufige Insolvenzverwalter zugestimmt habe der Insolvenzanfechtung solange der Leistungsempfänger auf die Rechtsbeständigkeit der Zustimmung vertraut habe und dieses Vertrauen auch schutzwürdig sei. Ein solches Vertrauen des Geschäftsführers sei aber nur dann schutzwürdig, wenn dieser im Vertrauen auf den Bestand der Vereinbarung tatsächlich eine Leistung zu Gunsten der Masse erbringe. Dies sei vorliegend aber nicht hinreichend ermittelt worden, woraufhin die Zurückverweisung erfolge.

Das Verzichts- und Vergleichsverbot böten aber einen gegenüber dem Anfechtungsrecht weitergehenden Schutz, der dem Insolvenzverfahren vorgelagert sei.

Praxishinweis

Mit Spannung wird die Insolvenzpraxis eine Reaktion des Neunten Zivilsenats auf dieses Urteil des Zweiten Zivilsenats erwarten. Trotz Haftung des vorläufigen Verwalters und in Anbetracht der Anfechtungsmöglichkeit bei nicht schutzwürdigem Vertrauen des Geschäftsführers führt diese Entscheidung dazu, dass Unternehmensfortführungen im vorläufigen Verfahren bei ansonsten unkooperativen Geschäftsführern schwieriger werden. Ob das Berufungsgericht die sofortige Verfügungsbefugnis über die Sicherungsrechte als Gegenleistung wertet, die zu einem anfechtungsfesten Vertrauensschutz führt, bleibt abzuwarten.

BGH, Urteil vom 20.04.2021 - II ZR 387/18 (OLG Koblenz), BeckRS 2021, 10929