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Auslieferung aus dem Steuerparadies
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Schweiz
Ben Burger / Adobe
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Nun kommt eine zentrale Figur der Cum/Ex-Deals tatsächlich vor Gericht: Der Steuer­anwalt Hanno Berger, der sich vor fast zehn Jahren in die Schweiz abgesetzt hat, wird ausgeliefert. Das oberste Gericht der Alpenrepublik hat dem jetzt zugestimmt. Zuvor hatte schon Ende Dezember das Bundesstrafgericht der Eidgenossenschaft in Bellinzona die Übergabe an Deutschland, wo sich gleich zwei Landgerichte mit Anklagen gegen ihn befassen, gebilligt.

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 22. Feb 2022.

Bundesweit läuft eine Welle von Strafverfahren, wie es sie wohl noch nie gegeben hat: Seit der Bundesgerichtshof im vergangenen Sommer in einem ersten Verfahren die komplexen Geschäfte mit Aktien rund um den Dividendenstichtag als kriminelle Steuerhinterziehung eingestuft hat, hat etwa Nordrhein-Westfalen die Kapazitäten aufgestockt – allein in Köln kümmern sich inzwischen fast 100 Strafverfolger um 1.350 Beschuldigte. Der dortigen Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker wird eine maßgebliche Rolle als „Cum/Ex-Jägerin“ zugeschrieben. „Die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer zur Steueranrechnung bzw. Steuererstattung gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage von Cum/Ex-Leerverkaufsgeschäften stellt eine unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne des § 370 I Nr. 1 AO dar“, hatte der 1. Strafsenat geurteilt (NJW 2022, 90).

Vielerlei Varianten

Wobei sich noch weisen muss, ob tatsächlich alle Fallkonstellationen als Steuerhinterziehung einzustufen sind – mal lief die „Rückerstattung“ nie gezahlter Abgaben mit Transaktionen über die Börse, mal direkt („over the counter“); nicht immer waren Leerverkäufer oder ausländische Finanzdienstleister eingebunden; mal gab es zusätzliche Kurssicherungsgeschäfte, mal nicht. Vor allem könnten Verteidiger auf das Argument setzen, ihre Mandanten hätten nichts von den dahinter stehenden Absprachen zum Austricksen des Fiskus gewusst – so wie erst vergangene Woche (zunächst) beim Strafprozess gegen einen früheren Fondsmanager einer Investmenttochter der Hamburger Privatbank M. M. Warburg vor dem Landgericht Bonn. Ein Untersuchungsausschuss in Hamburg befasst sich derweil damit, ob der damalige Bürgermeister und jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz seinen einstigen Finanzsenator und nunmehrigen Nachfolger Peter Tschentscher (beide SPD) dazu veranlasst hat, Warburg 2016 mutmaßliche Steuerschulden in Höhe von 47 Millionen Euro zu erlassen. In den Medien gilt Hanno Berger, dessen steile Karriere als Finanzbeamter begann – er war der ranghöchste Steuer-Bankprüfer in Hessen – , als „spiritus rector“ dieses Abkassiermodells. Den deutschen Staat hat es mehrere Milliarden Euro gekostet, wie auch ein Untersuchungsausschuss des Bundestags längst zutage gefördert hat. Nicht wenige Geldinstitute sind allerdings unterdessen eingeknickt und haben mehr oder weniger freiwillig Steuern nachgezahlt. Wobei allerdings bisher nur zwei Finanzgerichte, nicht aber der Bundesfinanzhof die steuerrechtliche Seite abschließend geklärt hat.

Seitenwechsel auf hohem Niveau

Nach seinem Ausstieg aus dem Beamtenverhältnis setzte der heute 71-jährige Berger seine Karriere auf der Gegenseite fort. Seine Stationen: Partner der Rechtsanwaltskanzlei Pünder, Volhard, Weber & Axster (heute: Clifford Chance); dann Wechsel zur amerikanischen Sozietät Shearman & Sterling; Managing-Partner der mittlerweile insolventen US-Law Firm Dewey Ballantine (später: Dewey & LeBoeuf). Und schließlich die Gründung einer eigenen Kanzlei unter dem Label Berger Steck & Kollegen. Dass deren Büroräume im 32. Stock des Frankfurter Skyper-Hochhauses im November 2012 von Staatsanwälten und Steuerfahndern durchsucht wurden, habe der „passionierter Porsche-Fahrer“ – so berichtete das Handelsblatt – übers Telefon am Steuer erfahren. Daraufhin habe er sofort seine Route geändert und sich in die Schweiz abgesetzt. Sein engster Kanzleipartner von einst hat sich unterdessen zum Kronzeugen gewandelt und tritt nicht nur vor Gericht, sondern mit Tarnname und skurril anmutender Maske auch im Fernsehen auf. Beruflich residiert dieser Anwalt inzwischen selbst in der Schweiz.

Angeklagt vor zwei Gerichten zugleich

Mit einer Kaskade an Strafanzeigen ging Berger zunächst seinerseits gegen die deutschen Ermittler vor, beteuerte aber in Interviews, zu einem etwaigen Prozess gegen ihn werde er erscheinen. Doch als es soweit war, meldete er sich krank; das Landgericht Wiesbaden musste ohne ihn mit der Hauptverhandlung beginnen. Dort geht es um den Vorwurf der besonders schweren Steuerhinterziehung mit einem Schaden von 113 Millionen Euro unter Mitwirkung der Hypo-Vereinsbank (HVB); zu den Investoren gehörte der längst verstorbene Immobilienmilliardär Rafael Roth, der sich selbst betrogen wähnte. Das Landgericht Bonn hat eine weitere Anklage gegen Berger zugelassen: Ein über die Warburg-Bank erzeugtes Loch in der Staatskasse soll 279 Millionen Euro betragen haben. Die Justizministerien von Hessen und Nordrhein-Westfalen haben im vergangenen August beim Bundesamt für Justiz in Bern einen sogenannten Auslieferungsbescheid erwirkt: Der mutmaßliche Architekt der Cum/Ex-Deals musste sein Exil in einem Bergdorf mit einer Zelle in einer Haftanstalt tauschen.

Ein unschönes "Weihnachtsgeschenk"

Das Bundesstrafgericht in Bellinzona gab dem auch statt. Vier Tage vor Weihnachten befanden die Richter: Bei den vorgeworfenen Taten handele es sich nicht um bloße Fiskaldelikte, wegen derer das Land normalerweise niemanden ausliefert. Sondern augenscheinlich um Sachverhalte, die nach dem Recht der Alpenrepublik als ein „qualifizierter Betrug zum Nachteil des Gemeinwesens“ durch Täuschung der Steuerbehörden anzusehen seien. „Die im Auslieferungsersuchen geschilderten besonderen Machenschaften können nicht anders als arglistig bezeichnet werden“, schreiben sie: „Es kann offensichtlich nicht richtig sein, dass eine einbehaltene Steuer zweimal ausgezahlt wird. Ebenso kann es offensichtlich nicht richtig sein, dass eine gar nicht abgelieferte Steuer ausgezahlt wird.“ Für den Einwand der Verteidiger, es handele sich um ein politisch motiviertes Verfahren, sehen sie keine Berechtigung. Bezahlte Gutachter aus Universitäten und Großkanzleien hatten die anrüchigen Geschäfte damit gerechtfertigt, der Gesetzgeber habe zu Zeiten des Bundesfinanzministers Peer Steinbrück (SPD) bewusst eine Lücke im System der Quellensteuerbescheinigungen gelassen; durch geschickten Lobbyismus soll die Kreditbranche dies eingefädelt haben. Bis die Politik aufwachte und auch etwa sein Nachfolger Wolfgang Schäuble (CDU) von kriminellen Taten sprach.

Eine Arabeske deutscher Rechtsprechung

Auf eine Sonderlichkeit auf deutscher Seite kam es dabei nicht an: Das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. sah offenbar die Gefahr, die Schweiz werde den aus seiner Sicht flüchtigen Berger nicht wegen eines Steuerdelikts zwangsweise in seine Heimat zurückschicken. Im Zuge einer Haftbeschwerde entschied es daher, überdies liege ein gewerbsmäßigen Bandenbetrug am Steuerzahler vor (NZWiSt 2021, 229). Was auf harsche Kritik von BGH-Strafrichter Andreas Mosbacher stieß: „Für das weitere Verfahren kann eine solche bewusste und (…) begründungslose Abkehr von der Gesetzessystematik und der die Rechtspraxis seit fast 100 Jahren prägenden höchstrichterlichen Rechtsprechung keinen Bestand haben“, tadelte er in der NJW (2021, 1916). „Jedes andere Ergebnis würde richterlicher Beliebigkeit und Willkür Tür und Tor öffnen.“ Keinen Eingang in den juristischen Diskurs fand zumal der in reißerischen Medienberichten häufig verwendete und rechtsdogmatisch abwegige Begriff des Steuerraubs.

Niederlage vor letzter Instanz war absehbar

Bergers Beschwerde vor dem Bundesgericht in Lausanne gegen die Entscheidung des Bundesstrafgerichts schien von vornherein wenig Erfolgschancen zu haben. Dort neige man sehr stark dazu, Auslieferungen zuzustimmen, sagte der Züricher Rechtsanwalt Thomas Sprenger im Januar der NJW: „Meistens ist nach der Entscheidung des Bundesstrafgerichts das Feuer durch.“ Auch wenn man sich als Verteidiger darüber manchmal grün ärgere – dort wolle man meist helfen, die „böse Straftat aufzuklären“. Die höchste Instanz lege üblicherweise einen „sehr helvetischen Maßstab“ an die Schilderungen der ersuchenden Behörde und übernehme sie oft unkritisch, zumal wenn man wie bei Begehren aus Deutschland dieselbe Sprache spreche. Nicht immer tauche alles von diesem Austausch in den Akten auf, weiß Sprenger aus eigener Erfahrung. Nach zwei bis drei Monaten erwartet er den finalen Entscheid.

"Schweiz hat sich geändert"

Nach seiner Beobachtung hat es in seinem Land nicht nur in der Bankenbranche einen Paradigmenwechsel gegeben: Seit einst Finanzminister Steinbrück im Kampf gegen Steuerhinterzieher indirekt mit einem Einmarsch der „Kavallerie“ gedroht hat, kündigen die Geldinstitute aus eigener Initiative mutmaßlichen Schwarzgeldbesitzer Konten und Depots. Für Bürger und Medien sei die Causa Berger übrigens kein Thema: „Das ist aus Schweizer Sicht ein deutscher Staatsbürger, der in Deutschland kriminelle Dinge gemacht haben soll – da ist es nicht weiter schlimm, wenn er auch dort vor Gericht kommt.“