Urteilsanalyse
Auskunftsverlangen ist kein Fordern des Pflichtteils im Sinne einer Sanktionsklausel in einem gemeinschaftlichen Testament
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Bei einer Sanktionsklausel für den Fall des Forderns des Pflichtteils reicht es nach Ansicht des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. nicht aus, dass der Pflichtteilsberechtigte allein Auskunft begehrt.

2. Mai 2022

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
       
Aus beck-fachdienst Erbrecht 04/2022 vom 27.04.2022

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Sachverhalt

Aus der Ehe der Erblasserin mit ihrem vorverstorbenen Ehemann gingen vier Kinder hervor, nämlich die Beteiligten 2), 3) und 5) sowie ein 2015 vorverstorbener Sohn; dessen Kinder sind die Beteiligten zu 1) und 4).

Die Eheleute errichteten 2007 ein handschriftliches Testament. Darin setzten sie sich gegenseitig zu Alleinerben und ihre vier Kinder als Schlusserben ein. Ferner enthält die letztwillige Verfügung folgende Pflichtteilsverwirkungsklausel:

„Sollte eines unser Kinder nach dem Tode des Erstverstorbenen den Pflichtteil fordern, so erhält es beim Tode des Letztverstorbenen ebenfalls nur das Pflichtteil“.

Nach dem Tod des Ehemanns hat sich die Beteiligte zu 1) mit Schreiben ihrer damaligen Verfahrensbevollmächtigten an die Erblasserin gewandt und zur Vorbereitung einer Auseinandersetzung des Nachlasses nach dem verstorbenen Ehemann der Erblasserin einen Auskunftsanspruch als gesetzliche Miterbin des Ehemanns geltend gemacht. Diesen Auskunftsanspruch wiederholte sie nach Kenntnisnahme des gemeinschaftlichen Testaments, diesmal gestützt auf ihre Stellung als Pflichtteilsberechtigte. 2018 übersandten die damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Erblasserin der Beteiligten zu 1) ein Nachlassverzeichnis, das diese als unzureichend zurückwies und Nachbesserung bis zum 19. Oktober 2018 anmahnte sowie zugleich einen Wertermittlungsanspruch hinsichtlich einer im Nachlass sich befindenden Immobilie geltend machte. Darauf machten die Verfahrensbevollmächtigten der Erblasserin ihrerseits Gegenansprüche gegen die Beteiligte zu 1) geltend und schlugen eine gütliche Einigung vor. Mit Schreiben vom 30. November 2018 wies der Verfahrensbevollmächtigte der Erblasserin gegenüber den Rechtsanwälten der Beteiligten zu 1) darauf hin, dass man längere Zeit nichts mehr gehörte habe und man daher davon ausginge, dass die Beteiligte zu 1) die Sache nicht weiterbetreiben wolle. Weiterer Schriftverkehr erfolgte nicht.

Nach dem Tod der Erblasserin hat die Beteiligte zu 5) einen Erbschein beantragt, der sie und die Beteiligten zu 2) bis 4) als Erben zu gleichen Teilen ausweisen soll. Zur Begründung hat sie sich auf die letztwillige Verfügung der Eheleute berufen und vorgebracht, die Beteiligte zu 1) habe ihren Pflichtteil geltend gemacht, weswegen sie aufgrund der Pflichtteilsverwirkungsklausel von der Erbfolge ausgeschlossen sei. Dem Antrag ist die Beteiligte zu 1) mit dem Argument entgegengetreten, der Pflichtteil sei von ihr nicht geltend gemacht worden und der Auskunftsanspruch löse die Sanktion der Klausel noch nicht aus.

Das Nachlassgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss, die für die Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.

Der Beschwerde hiergegen hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen, sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Entscheidung: Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat in der Sache Erfolg, weil das Nachlassgericht zu Unrecht von einem Ausscheiden als Miterbin ausgegangen ist.

Bei der umstrittenen Klausel handelt es sich um eine Pflichtteilsverwirkungsklausel üblichen Zuschnitts. Der in der Klausel verwandte Begriff des „Forderns“ des Pflichtteils ist mit den ebenfalls häufig benutzten Begriffen des Verlangens oder Geltendmachens gleichbedeutend (OLG Rostock NJW-RR 2015, 776). Die Verwirkung setzt dabei ein Fordern des Pflichtteils gegenüber dem Längstlebenden seitens des Pflichtteilsberechtigten voraus. Dazu muss der Pflichtteilsberechtigte gegenüber dem Überlebenden ausdrücklich und ernsthaft deutlich machen, dass er seinen Pflichtteil geltend machen will.

Hierfür ist es (noch) nicht ausreichend, dass der Pflichtteilsberechtigte Auskunft begehrt. Zwar wird der Erbe auch durch die Erstellung des Nachlassverzeichnisses im Wege der Auskunft schon durch die Auseinandersetzung mit dem Pflichtteilsberechtigten belastet. Der Pflichtteilsberechtigte benötigt die Auskunft über den Umfang des Nachlasses hingegen, um sich entscheiden zu können, ob er seine Schlusserbeneinsetzung bestehen lassen oder lieber seinen Pflichtteil in Anspruch nehmen möchte (vgl. BayObLG MDR 1991, 252; Sarres ZEV 2004, 407). Diese Differenzierung ergibt sich bereits daraus, dass der Gesetzgeber mit dem Auskunftsanspruch in § 2314 BGB und dem Pflichtteilsanspruch in § 2303 BGB zwei unterschiedliche Ansprüche geregelt hat.

Demgegenüber ist es für ein Verlangen in dem vorgenannten Sinne nicht erforderlich, dass die Pflichtteilsberechtigte diesen bereits gerichtlich eingefordert hat oder der Pflichtteil bereits an sie ausgezahlt ist (vgl. OLG Hamm ZEV 2013, 397; OLG Düsseldorf NJW-RR 2011, 1515).

Danach lässt sich nicht feststellen, dass die Beteiligte zu 1) gegenüber der Erblasserin ihren Pflichtteil nach dem Ehemann der Erblasserin im Sinne der Pflichtteilsverwirkungsklausel gefordert hat.

Ein Fordern des Pflichtteils mit dem ersten Schreiben ihrer Anwälte kommt schon deshalb nicht in Betracht, da die Beteiligte zu 1) zu diesem Zeitpunkt unstreitig keine Kenntnis von dem Testament hatte, die Kenntnis der Pflichtteilsklausel aber Voraussetzung für die Verwirkung der Klausel ist. Ferner ist trotz der danach seitens der Beteiligten zu 1) erlangten Kenntnis von dem Testament ebenfalls in dem zweiten Schreiben kein Verlangen des Pflichtteils zu sehen, da hiermit lediglich Auskunft über den Nachlass verlangt wurde. Auch mit dem weiteren Schreiben, in dem die Richtigkeit des übersandten Nachlassverzeichnisses angezweifelt und zugleich ein Wertermittlungsanspruch hinsichtlich einer zum Nachlass gehörenden Immobilie geltend gemacht wurde, wird die Grenze zum Verlangen des Pflichtteils noch nicht überschritten, obwohl eine Belastung für den durch die Klausel zu schützenden Erben hierin unverkennbar ist und insoweit das Ziel der Pflichtteilsverwirkungsklausel nicht in vollem Umfang erreicht wird. Trotzdem ist an der gesetzlichen Trennung zwischen den Ansprüchen aus § 2303 BGB und § 2314 BGB schon aus Gründen der Rechtssicherheit festzuhalten. Finanzielle Nachteile für den Erben sind hiermit nicht verbunden, da ein etwaiger Verzug mit der Zahlung des Pflichtteils durch ein gesteigertes Auskunftsverlangen ebenfalls in Form der Erhebung eines Wertermittlungsanspruchs nach § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht begründet wird.

Sofern die Testierenden hingegen bereits das bloße Auskunftsverlangen als besondere Form der Belastung für den Überlebenden ausschließen wollen, steht es ihnen frei, die Pflichtteilsverwirkungsklausel weiter zu fassen und nicht nur das Verlangen des Pflichtteils, sondern bereits die Auskunft über die Höhe des Nachlasses als entsprechend zu ahndendes Verhalten festzuschreiben.

Praxishinweis

Die Senate sowohl des OLG Frankfurt a. M. als auch des OLG Rostock hatten über eine gängige Pflichtteilssanktionsklausel zu entscheiden und kommen dabei übereinstimmend zu dem für viele überraschenden Ergebnis, dass das Auskunftsverlangen gemäß § 2314 BGB noch kein Fordern des Pflichtteils gemäß § 2303 BGB im Sinne dieser Bestimmung in einem gemeinschaftlichen Testament darstellt.

Der Senat des OLG Frankfurt erkennt dabei jedoch selbst, dass dieses Auslegungsergebnis aus der Sicht des überlebenden Beteiligten des gemeinschaftlichen Testaments höchst unbefriedigend ist, weil die mit der Errichtung eines Nachlassverzeichnisses verbundenen psychischen Belastungen dem Sinn und Zweck der Pflichtteilssanktionsklausel erkennbar widersprechen.

Doch genau aus diesem Grund verdienen beide Entscheidungen auch Kritik. Bei der Auslegung von letztwilligen Verfügungen, hier einer gemäß § 2075 BGB auflösend bedingten Schlusserbeneinsetzung, kommt es nämlich keineswegs darauf an, ob der Gesetzgeber zwischen dem Auskunftsverlangen einerseits und dem Pflichtteilsverlangen andererseits unterschieden hat. Nach den allgemeinen Regeln der Testamentsauslegung (§§ 133, 157 BGB) ist vielmehr entscheidend, was beide Beteiligten des gemeinschaftlichen Testaments bzw. Erbvertrags mit der Sanktionsklausel übereinstimmend erreichen wollten. Beide Senate haben sich den Auslegungsfragen in diesem Zusammenhang nicht ausreichend gestellt, sondern stattdessen die Klausel einseitig zum Schutz der Interessen des Pflichtteilsberechtigten ausgelegt, obwohl diese für die Auslegung völlig irrelevant sind. Zutreffend weisen beide Senate nämlich darauf hin, dass erst nach der Erfüllung des Auskunftsverlangens der Pflichtteilsberechtigte sich entscheiden kann, ob er den Pflichtteil fordern will oder nicht. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Beteiligten des gemeinschaftlichen Testaments bzw. Erbvertrags in aller Regel nicht erst den Eintritt der finanziellen Belastungen vermeiden, sondern auch schon im Ansatz jede vorbereitende Maßnahme der Pflichtteilsforderung unterbinden wollen, um den Längerlebenden nicht der Angst auszusetzen, Teile des gemeinschaftlichen Vermögens als Bestandteil der Hinterbliebenenversorgung zu verlieren. Nicht erst der Verlust von Vermögen soll unterbunden werden, sondern bereits die Angst davor.

Dieser durch Auslegung zu ermittelnde Zweck der Pflichtteilssanktionsklausel kommt allerdings deutlicher zum Ausdruck, wenn darin auf das Geltendmachen abgestellt wird, weil beim Begriff des Forderns bzw. Verlangens der terminus technicus des § 2303 BGB anklingt. Knüpft die Pflichtteilssanktionsklausel – wie hier - an die Forderung des Pflichtteils an, so steht die Leistung auf den Pflichtteil im Vordergrund (vgl. § 241 BGB), so dass es eher vertretbar erscheint, vorbereitende Maßnahmen wie ein Auskunftsverlangen gemäß § 2314 BGB als nicht tatbestandsmäßig anzusehen. Der Senate betrachten allerdings alle diese Begriffe zu Unrecht als Synonyme für den gleichen Sachverhalt. Insoweit handelt es sich aber nur um obiter dicta, da die Klausel in beiden Sachverhalten ausdrücklich ein „Fordern“ verlangt haben. Jedenfalls bei der Verwendung des Begriffs „Geltendmachen“ in Sanktionsklauseln sind beide Gerichtsentscheidungen deshalb nicht einschlägig.

Beide Entscheidungen verdienen wegen der unzureichenden Auslegung der Klausel auf der Grundlage der allgemein hierzu entwickelten Grundsätze keine Gefolgschaft. Gleichwohl sollte jeder Berater im Erbrecht diese zum Anlass nehmen, die von ihm verwendeten Pflichtteilssanktionsklauseln darauf hin zu überprüfen, ob es nicht besser wäre, bereits das Auskunftsverlangen als zusätzliches Tatbestandsmerkmal für die Enterbung aufzunehmen. Die Klausel im Ausgangsfall hätte dann lauten müssen:

„Sollte einer unserer Abkömmlinge nach dem Tode des Erstverstorbenen den Pflichtteil oder Auskunft über den Nachlass fordern, so erhält er beim Tode des Letztverstorbenen ebenfalls nur das Pflichtteil“.


OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 01.02.2022 - 21 W 182/21, BeckRS 2022, 5544