Anmerkung von
RAin Josefine Chakrabarti, Gleiss Lutz, Berlin
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 17/2022 vom 04.05.2023
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Sachverhalt
Die Arbeitgeberin ist eine Tochter der Deutsche Bahn AG und Mitglied im Arbeitgeberverband. Auf Grundlage tarifvertraglicher Vereinbarungen mit beiden Gewerkschaften wurden nach Inkrafttreten des § 4a TVG sowohl die Tarifverträge der GDL als auch die Tarifverträge der EVG nebeneinander angewendet. Nach dem Auslaufen der tarifvertraglichen Vereinbarung mit der GDL zum 31.12.2020 informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat, dass seit dem 01.01.2021 § 4a TVG gelte und künftig in jedem Betrieb der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft zur Anwendung komme. Für den Betrieb Niedersachsen/Bremen wurde mitgeteilt, dass die GDL als die betriebliche Mehrheitsgewerkschaft anzusehen sei. Dieses Ergebnis wurde durch die Deutsche Bahn AG auf der Grundlage u.a. der Ergebnisse der letzten Betriebsratswahl, vorliegender Personalsystemeinstellungen und Tarifbindungsanzeigen ermittelt. Zudem hatte die EVG Daten für einzelne Betriebe über einen Notar offengelegt, welche ebenfalls in die Bestimmung der Mehrheitsgewerkschaft einflossen.
Der Betriebsrat begehrte mit den zuletzt konkretisierten Anträgen von der Arbeitgeberin jeweils zum Stichtag 01.01.2021 Auskunft über die im Betrieb ermittelten gewerkschaftlichen Mitgliedsverhältnisse, die Anzahl der Tarifbindungsanzeigen sowie die Wertungen, die über die Ergebnisse der letzten Betriebsratswahl, in die Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft einflossen. Das ArbG hat den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen.
Entscheidung
Die Beschwerde des Betriebsrats war zulässig, aber unbegründet.
Voraussetzung für einen Auskunftsanspruch nach § 80 II BetrVG ist zum einen, dass überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben ist und zum anderen, dass im Einzelfall die begehrte Information zur Wahrnehmung der Aufgaben erforderlich ist. Dies hat der Betriebsrat nach Ansicht des LAG nicht ausreichend dargetan.
Der Vortrag des Betriebsrats ließ nach Ansicht des LAG keinen hinreichenden Aufgabenbezug erkennen. Der Betriebsrat sei kein dem Arbeitgeber übergeordnetes Kontrollorgan. Ihm obliege auch nicht die abstrakte Überprüfung, ob die Arbeitgeberin die „richtige“ Entscheidung über die Mehrheitsgewerkschaft des Betriebs getroffen habe. Es könne zudem dahinstehen, ob sich das Überwachungsrecht nach § 80 I Nr. 1 BetrVG auch auf die vorgelagerte Prüfung erstreckt, welche Tarifverträge i.S.d. § 4a TVG kollidieren und im Betrieb anzuwenden seien. Es hätte jedenfalls konkreter Angaben des Betriebsrats bedurft, bezüglich welcher Tarifnormen er die Kollisionslage überprüfen möchte.
Zudem habe der Betriebsrat nach Ansicht des LAG die Erforderlichkeit der beehrten Auskünfte nicht dargelegt. Der Großteil der benannten Tarifverträge seien mit Wirkung zum 01.03.2021 abgeschlossen worden, sodass erst zu diesem Zeitpunkt eine Kollisionslage entstanden wäre. Auskünfte zum Stichtag 01.01.2021 seien damit nicht erforderlich. Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass die begehrte Auskunft dem Betriebsrat eine tragfähige Grundlage für eine eigene Mehrheitsfeststellung verschaffen könnte. Sowohl die notariell ermittelten EVG-Mitgliedschaften als auch die der Arbeitgeberin ggf. vorliegenden Tarifbindungsanzeigen bildeten allenfalls einen Ausschnitt der gewerkschaftlichen Mitgliederzahlen im Betrieb ab. Soweit der Betriebsrat die Auskunft über die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder verlangte, fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass die Daten bei der Arbeitgeberin vorhanden sind.
Praxishinweis
Die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang der Betriebsrat vom Arbeitgeber Auskunft im Zusammenhang mit der Anwendung kollidierender Tarifverträge i.S.d. § 4a II TVG verlangen kann, ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Das LAG Niedersachsen hat daher die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen (anhängig unter 1 ABR 10/23). Es bleibt abzuwarten, wie sich das BAG positioniert.
LAG Niedersachsen, Beschluss vom 16.01.2023 - 17 TaBV 36/22 (ArbG Hannover), BeckRS 2023, 5740