Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 21/2022 vom 27.10.2022
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StVG §§ 7, 17; SGB VII §§ 2, 104, 105
Sachverhalt
Die Klägerin ist Krankenversicherer eines Halters eines Rauhaardackels. Der Hundehalter ist Jagdpächter. Er und der Beklagte kennen sich seit Jahren. Ab und zu hilft der eine dem anderen. Am Tag des Unfalls brachte der Beklagte Materialien in den Wald. Er hatte Bretter auf seinem geländegängigen Pickup geladen. Der Jagdpächter wollte daraus einen Hochsitz errichten, hieran sollte der Beklagte nicht mitwirken. Der Hundehalter und sein Hund warteten an der vereinbarten Stelle. Der Hund wurde an der langen Leine geführt. Als der Beklagte sein Fahrzeug umsetzen wollte, über sah er beim Anfahren den Hund, der vom rechten Vorderrand des Fahrzeugs des Beklagten überfahren wurde. Als der Hundehalter unmittelbar nach dem Unfall seinen wie leblos daliegenden Hund aufhob, biss dieser plötzlich tief in das linke Handgelenk des Mannes.
Die Verletzung entzündete sich und musste operiert werden. Rund fünf Monate war der Hundehalter arbeitsunfähig, es entstanden Heilbehandlungskosten, die die Klägerin getragen hat und jetzt vom Beklagten ersetzt haben möchte. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen und erläutert, dass dem Beklagten die Haftungsprivilegierung nach § 104 ff. SGB VII zugutekomme. Der Beklagte habe unter arbeitnehmerähnlichen Umständen dem Hundehalter geholfen. Diese Arbeit habe auch einen wirtschaftlichen Wert gehabt. Der Beklagte habe über das erforderliche geländegängige Fahrzeug verfügt, dass der Zeuge sich sonst hätte anmieten oder sonst besorgen müssen.
Rechtliche Wertung
Die Klägerin behauptet in der Berufung, dass kein arbeitnehmerähnliches Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe. Es habe sich bei der Hilfe des Beklagten um eine reine Gefälligkeit im Rahmen einer langjährigen Freundschaft gehandelt. Bei der Verabredung habe sich nicht um eine Weisung gehandelt, sondern um eine gemeinsame Terminfindung. Im Übrigen sei der Schaden nicht bei einer «Wie-Beschäftigung» entstanden, sondern allenfalls bei der Gelegenheit dazu. Bei der Hinfahrt habe es sich nur um das Hinkommen zum Arbeitsort gehandelt. Im Übrigen sei der Hundehalter nicht Pächter der Fläche gewesen, sondern ihm sei aufgrund eines unentgeltlichen Begehungsscheins erlaubt gewesen, einmalig zum Unfallort zu fahren.
Die Berufung erweist sich nach dem hier vorgelegten Urteil als jedenfalls überwiegend erfolgreich. Die Klägerin habe Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz, so das OLG. Zunächst einmal habe sich der Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs ereignet. Ein Haftungsausschluss nach §§ 8, 17 StVG liege nicht vor. Die durch das Benutzen des Fahrzeugs einmal geschaffene Gefahrenlage habe hier noch fort- und nachgewirkt.
Der Unfall stehe auch im nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Betrieb des Fahrzeugs. Der Biss sei noch vor Ort erfolgt, nachdem der Hund gerade überrollt worden war. Dies stelle keinen eigenen Gefahrenkreis dar, den sich die Klägerin zurechnen lassen müsse. Der Hund habe schockbedingt in dieser Ausnahmesituation nicht zwischen feindlicher und freundlicher Berührung unterscheiden können. Das Überfahren sei auch Ursache für den Biss gewesen.
Der Haftung aus Betriebsgefahr stehe nicht entgegen, dass sich der Unfall auf einem Waldweg ereignet habe, der ohne besondere Erlaubnis nicht hätte befahren werden dürfen. Ein unabwendbares Ereignis liege nicht vor. Ein Idealfahrer hätte sich vor dem Anfahren versichert, dass der Hund hinreichend Abstand zum anfahrenden Fahrzeug hält.
Die Klägerin habe hier allerdings die Gefährdungshaftung zu tragen. Die Tiergefahr habe sich in typischer Weise verwirklicht. Es sei Ausdruck tierischer Unberechenbarkeit, so zu reagieren.
Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung müsse geprüft werden, ob den Beklagten ein Verschulden treffe. Dazu allerdings fehlten Feststellungen. Es liege auch keine bewiesene Sorgfaltspflichtverletzung durch unterlassene Beaufsichtigung des Hundes vor. Unter Abwägung der beiderseitigen Gefährdungshaftungen erachtet der Senat vorliegend eine Haftungsquote 75:25 zu Lasten der Beklagten für angemessen.
Haftungsprivilegien könnten demgegenüber nicht geltend gemacht werden. Der Beklagte sei nicht betrieblich für den Hundehalter tätig geworden. Eine betriebliche Tätigkeit scheide schon deshalb aus, weil der Beklagte nicht beim Hundehalter angestellt war. Er könne aber auch nicht als «Wie-Beschäftigter» eingestuft werden. Voraussetzung dafür wäre eine Tätigkeit von gewissem wirtschaftlichem Wert. Und die Tätigkeit müsse konkret unter arbeitnehmerähnlichen Umständen vorgenommen werden. Gerade daran aber fehle es. Die Freundschaft, Bekanntschaft und Geschäftsbeziehung der beiden untereinander seien Ausdruck dessen, was unter solchen persönlichen Verhältnissen geleistet werde.
Praxishinweis
Die Entscheidung wird hier vorgestellt, weil Kfz- und Tiergefährdungshaftung aufeinandertreffen. Für die Praxis ist die Entscheidung von Bedeutung.
OLG Celle, Urteil vom 05.10.2022 - 14 U 19/22 (LG Lüneburg), BeckRS 2022, 26257