Urteilsanalyse
Aufstockung der Altersteilzeit ist beitragsfrei
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Nach § 3 Nr. 28 EStG sind Aufstockungsbeträge i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1a AltTZG 1996 einkommensteuerfrei. Dies gilt unabhängig davon, wie hoch die Aufstockung ist und hat nach einem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen gem. § 1 SvEV zur Folge, dass diese Aufstockungsbeträge nicht dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen sind.

15. Apr 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 07/2021 vom 09.04.2021

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Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie zahlte 43 bei ihr beschäftigen Arbeitnehmern, die sich im Jahr 2011 in Altersteilzeit befanden, aufgrund einer Dienstvereinbarung mit der Mitarbeitervertretung freiwillige Aufstockungsbeträge i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1a AltTZG, die zusammen mit dem während der Altersteilzeit bezogenen Nettoarbeitslohn monatlich 100 % des maßgebenden Arbeitslohnes überstiegen. Die beklagte DRV gelangt im Rahmen einer Betriebsprüfung gem. § 28p SGB IV zu dem Ergebnis, dass die für die Jahre 2008 bis 2011 gezahlten Aufstockungsbeträge als Arbeitsentgelt gem. § 14 SGB IV anzusehen sind mit der Folge der Beitragspflicht zur Sozialversicherung. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Begründung, es handele sich um gem. § 3 Nr. 28 EStG steuerfreie Vergütungen, unabhängig davon, ob sie zusammen mit dem während der Altersteilzeit bezogenen Nettoarbeitslohn monatlich 100 % des maßgebenden Arbeitslohnes überstiegen. Dagegen kann auch nicht eingewandt werden, dass in der Lohnsteuerrichtlinie 2011 (R 3.28 Abs. 3 Satz 2) die Steuerfreiheit auf solche Aufstockungsbeträge begrenzt ist, die unterhalb des Nettolohns liegen. Eine etwaige Beschränkung der Steuerfreiheit ergebe sich auch nicht aus dem in dem Gesetzgebungsverfahren dokumentierten Willen des Gesetzgebers.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Unter Bezug auf R 3.28 Abs. 3 Satz 2 LStR hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das EStG und die SvEV enthalten keine solche Einschränkung, so dass hier von Beitragsfreiheit auszugehen ist.

Entscheidung

Das LSG gibt der Berufung statt und hebt die Bescheide über die Beitragsnachforderung auf. Die von der Klägerin gezahlten Aufstockungsbeiträge sind nicht als beitragspflichtige Einnahme in den jeweiligen Zweigen der Sozialversicherung anzusehen. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 SvEV i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1a AltTZG sowie § 3 Nr. 28 EStG. Steuerfrei sind danach die Aufstockungsbeträge „im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AltTZG“. Diese im Gesetz geregelte Steuerfreiheit betrifft die Aufstockungsbeträge, unabhängig davon, ob sie zusammen mit den übrigen Vergütungen das Nettoentgelt überschreiten oder nicht. Die davon abweichenden Lohnsteuerrichtlinien sind von den Gerichten auf ihre Vereinbarkeit mit dem materiellen Recht zu überprüfen. Dies folgt aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG. Das förmliche Gesetz hat danach Vorrang. Den Lohnsteuerrichtlinien kommt als norminterpretierenden Steuerrichtlinien nach der ständigen Rechtsprechung des BFH keine Rechtsnormqualität zu; sie bieten keine Rechtsgrundlage für Verwaltungsakte und binden Gerichte grundsätzlich nicht.

Abschließend verweist der Senat auf die Gesetzgebungshistorie zu § 3 Nr. 28 EStG. Auch daraus lässt sich für eine betragsmäßige Begrenzung nichts herleiten. Auch bei der Schaffung des Altersteilzeitgesetzes ging man von einer Steuer- und Beitragsfreiheit aus. Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck des Instruments der Altersteilzeit.

Praxishinweis

1. Das LSG hat die Revision zugelassen. Nach Auffassung der Spitzenverbände sind in der Tat Aufstockungsbeträge i.S.d. Altersteilzeitgesetzes steuerfrei und damit auch beitragsfrei, vgl. dazu u.a. Figge, Beitragsrecht 5.4, Stichwort „Aufstockungsbeträge“. Die Entscheidung des LSG überzeugt also.

2. Man könnte einwenden, dass hier eine Ungleichbehandlung vorliegt, also eine Art Privilegierung von Versicherten, die für reguläre Einkünfte niedrigere Beiträge zahlen als der vergleichbare Vollzeitbeschäftigte. Die Aufstockungsbeträge dürften eine gewisse „Anreizfunktion“ gehabt haben. Bei Geringverdienern gibt es eine vergleichbare Privilegierung, nämlich soweit es um Einkünfte im Rahmen der „Gleitzone“ geht, § 20 SGB IV. Die Altersteilzeit spielt – unabhängig von den früheren Zuschüssen seitens der BA – auch heute noch eine nicht unerhebliche Rolle im Rahmen der „Personalwirtschaft“. Ob man vor diesem Hintergrund die Beitragsfreiheit in den Jahren 2008 bis 2011 kritisiert, ist die eine Frage, die andere Frage ist, wie man in Zukunft mit diesem Instrument umgeht.

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.12.2020 - L 12 R 82/16, BeckRS 2020, 44712