Rechtsanwalt Stefano Buck, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwalt
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 07/2023 vom 13.04.2023
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Sachverhalt
Die Klägerin hält Orderschuldverschreibungen, welche die zwischenzeitlich insolvente Schuldnerin ausgegeben hat. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wurde der Beklagte durch Mehrheitsbeschluss der Gläubigerversammlung, an welcher die Klägerin nicht teilnahm, zum gemeinsamen Vertreter der Gläubiger bestellt.
In der Folgezeit zahlte der Insolvenzverwalter an den Beklagten einen Abschlag auf die zu erwartende Quote. Der Beklagte leitete den auf die Klägerin entfallenden Betrag an diese weiter, behielt jedoch einen Betrag in Höhe von 1,1% der Nominalhöhe der Schuldverschreibung zuzüglich Mehrwertsteuer, insgesamt 655 EUR als Abschlag auf seine Vergütung ein.
Die Klägerin hat die Auszahlung des einbehaltenen Betrages nebst Zinsen, die Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung verlangt, dass ihr Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Beklagten stamme. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung zur Zahlung von 655 EUR nebst Zinsen verurteilt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Amtsgerichts erreichen.
Im Ergebnis mit Erfolg.
Entscheidung
Grundlage des Begehrens der Klägerin sei § 767 BGB analog. Das Rechtsverhältnis zwischen dem nach § 19 Abs. 2 SchVG von der Gläubigerversammlung bestellten gemeinsamen Vertreters und den Gläubigern richte sich, soweit das Schuldverschreibungsgesetz keine abweichende Bestimmung treffe, nach den Vorschriften der §§ 675, 667 ff. BGB (vgl. BGH, WM 2022, 617). Der Beklagte sei verpflichtet, das, was er aus seiner Tätigkeit nach § 19 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SchVG erlangt habe, an die Klägerin herauszugeben.
Der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten bestellte gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger sei jedoch berechtigt, die ihm zustehende angemessene Vergütung nebst Auslagen der auf den einzelnen Anleihegläubiger entfallenden Quote zu entnehmen (vgl. BGH, a.a.O.).
Der von der Gläubigerversammlung bestellte gemeinsame Vertreter habe Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Dieser Anspruch richte sich zwar grundsätzlich gegen den Schuldner (vgl. § 7 Abs. 6 SchVG). Das gelte auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Auch dann stehe dem gemeinsamen Vertreter kein selbständig durchsetzbarer Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung gegen den einzelnen Gläubiger zu (vgl. BGH, a.a.O.).
Der Vergütungsanspruch berechtige den gemeinsamen Vertreter jedoch, die angemessene Vergütung und seine Auslagen der auf den einzelnen Gläubiger entfallenden Quote zu entnehmen. Grundlage der Entnahmebefugnis sei der nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG gefasste Mehrheitsbeschluss der Gläubiger. Das Schuldverschreibungsgesetz schütze den einzelnen Gläubiger nicht vor Mehrheitsbeschlüssen, die sich nachteilig auf dessen Hauptforderung auswirken. Die Höhe der geltend gemachten Vergütung sei als Vorschuss nicht zu beanstanden (vgl. BGH, a.a.O.).
Praxishinweis
Das Senatsurteil vom 10.03.2022 (BGH WM 2022, 617) ist überwiegend kritisch aufgenommen worden (vgl. die Anm. von Bork, ZKI 2022, 845; Kienle/Vos, NZI 2022, 454; Borowski, ZInsO 2022, 1033; Wilcken/Winzer, EWiR 2022, 371; hinsichtlich der Begründung auch Cranshaw, WuB 2022, 277). Der Senat hat die Kritik schon damals zur Kenntnis genommen, hält aber auch in dieser Entscheidung an seiner Auffassung fest. Demnach ist die Aufrechnung des gemeinsamen Vertreters von Abschlagszahlungen mit seinem Vergütungsanspruch weiterhin zulässig.
BGH, Urteil vom 17.11.2022 - IX ZR 42/22 (LG Nürnberg-Fürth), BeckRS 2022, 45572