Urteilsanalyse
Auflösungsantrag nach § 9 I KSchG in der Berufungsinstanz
Urteilsanalyse
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Der Antrag gemäß § 9 I 1 bzw. 2 KSchG kann nach einem Urteil des BAG bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden. § 9 I 3 KSchG ist lex specialis zu § 533 ZPO. 

8. Dez 2022

Anmerkung von
RA Dr. Thomas Winzer, Gleiss Lutz, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 47/2022 vom 01.12.2022

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Auflösungsanträgen sowie über einen Zahlungsanspruch. Die Auflösungsanträge stellten die beklagten Arbeitgeber nachdem das ArbG Düsseldorf den Kündigungsschutzanträgen des Klägers stattgegeben hatte. Durch ein zwischenzeitliches Schreiben des Klägers an den Geschäftsführer der Muttergesellschaft sei die den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit als ausgeschlossen anzusehen.

Daneben bestand Streit, welche Auswirkung § 533 ZPO auf § 9 I 1 bzw. 2 KSchG hat und welche Rolle § 12a I 1 ArbGG für die Verteilung der außergerichtlichen Kosten spielt.

Entscheidung

Das BAG bestätigt die Entscheidung des LAG, das den Anträgen der Beklagten nach § 9 I 2 KSchG stattgegeben hatte.

Der Auflösungsantrag war nicht nach § 13 II KSchG ausgeschlossen. Dies kann der Fall sein, wenn die Kündigung maßregelnd i.S.v. § 612a BGB ist, weil dies ein Fall der Sittenwidrigkeit ist. § 612a BGB (Maßregelungsverbot) greift aber nicht, wenn ein Motivbündel vorliegt. Nach Ansicht des BAG war das Schreiben des Klägers an den Geschäftsführer der Muttergesellschaft nicht alleiniger oder wesentlicher Grund der Kündigung, sodass der Maßregelungscharakter nicht überwiegt. Zudem verneinte das BAG einen Schutz des Klägers im Hinblick auf eine etwaige Vertraulichkeit der Äußerungen. Der Kläger hat keine Vertraulichkeit ausbedungen, sondern es sogar darauf angelegt, dass der Geschäftsführer der Muttergesellschaft aktiv würde.

Gleichzeitig habe sich der Kläger durch das Schreiben angemaßt, den beklagten Arbeitgebern vorzugeben, wie diese sich zu verhalten hätten. Dies führt in Kombination mit der Uneinsichtigkeit des Klägers bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung sogar zur Entbehrlichkeit einer etwaigen Abmahnung durch die Arbeitgeber.

Bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ist es dem Arbeitgeber möglich, einen Antrag nach § 9 I 2 KSchG zu stellen. § 533 ZPO kommt nicht zu Anwendung, § 9 I 3 KSchG ist lex specialis. Der Antrag nach § 9 I 1 bzw. 2 KSchG kann auch in der zweiten Instanz erstmals gestellt werden.

Weiter führt das BAG aus, dass § 12a I 1 ArbGG im ersten Rechtszug nicht die Erstattung aller außergerichtlichen Kosten ausschließt, sondern lediglich einen Entschädigungsanspruch der obsiegenden Partei wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten.

Praxishinweis

Das BAG folgt mit diesem Urteil seiner eigenen Rspr. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers ist in der Praxis ein wichtiges Instrument, um sich trotz fehlender Kündigungsgründe ggf. vom Arbeitsverhältnis zu lösen. Dabei ist bei der Begründung des Auflösungsantrags große Sorgfalt geboten. Sich (nur) auf den Verlust des Vertrauens zu berufen, reicht nicht aus. Als Auflösungsgrund sind z.B. Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Mitarbeitende geeignet. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können, wenn die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen werden (Stichwort: üble Nachrede, Prozessbetrug), eine künftige Zusammenarbeit in Frage stellen

Den Arbeitgeber trifft die volle Darlegungs- und Beweislast für die tatbestandlichen Voraussetzungen des Auflösungsantrags. Da es sich bei der Auflösungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 KSchG um eine Ausnahme vom bestandsschutzrechtlichen Gedanken des KSchG handelt, werden an die Begründung des Arbeitgebers hohe Anforderungen gestellt.


BAG, Urteil vom 27.09.2022 - 2 AZR 5/22 (LAG Düsseldorf), BeckRS 2022, 30491